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# taz.de -- „Windrush“-Skandal in Großbritannien: Kampf um Bürgerrechte
> In Brixton wehren sich Einwanderer gegen Behördenwillkür. Denn plötzlich
> müssen sie ihren Aufenthaltsstatus nachweisen.
Bild: JamaikanerInnen wie Eileen Johnson und ihre Kinder reisten auf dem Schiff…
LONDON taz | In Brixton ist immer etwas los. Auf dem Weg zum Black Cultural
Institute (BCA) in dem afrikanisch-karibischen Stadtviertel im Süden
Londons geht es vorbei an ein paar Zeugen Jehovas und einem islamischen
Prediger mit Megafon. „Solidarität mit Windrush!“ steht schließlich auf d…
Banner vor dem Tor des schwarzen Kulturzentrums.
Anwälte und Freiwillige sind in den BCA-Versammlungssaal gekommen, um
Angehörige der sogenannten „Windrush“-Generation zu beraten – Einwanderer
aus Commonwealth-Staaten, die vor dem 1. Januar 1972 kamen und damit bei
der Einreise britische Staatsbürger waren, aber deren Bürgerrechte heute
mangels Papieren – in Großbritannien gibt es keine Personalausweise, und
wer nicht verreist, braucht auch keinen Pass – von vielen Behörden nicht
anerkannt werden.
Es wird angenommen, dass 57.000 dieser Zuwanderer bis heute nicht als
Briten registriert sind, weil sie sich nicht darum kümmern mussten – bis
sie plötzlich nachweisen sollten, dass sie vor 1972 im Land waren, sogar
für die Routineuntersuchung im örtlichen Krankenhaus. Jenen, die das nicht
beweisen können, droht die Verweigerung einer Sozialwohnung oder
medizinischer Versorgung, oder gar Abschiebung. Dutzende Fälle von
Menschen, alles Männer und Frauen ab Mitte 50, hat der Guardian publik
gemacht.
Der BCA-Saal ist inzwischen rammelvoll. Zum Auftakt läuft ein alter
Nachrichtenfilm aus den späten 40er Jahren: In London ankommende karibische
Männer und Frauen in bestem Sonntagsstaat, die eifrig erklären, wie sie dem
Mutterland helfen wollen. Die Realität, die folgte, kennt hier jeder:
„Keine Schwarzen, Iren und Hunde“, erfuhren viele schon in den ersten Tagen
bei der Wohnungssuche.
Dazugehören ist nicht selbstverständlich
1958 gab es in Notting Hill Aufstände gegen die Schwarzen, worauf diese mit
der Gründung des Notting Hill Carneval antworteten. Der Karneval hat
inzwischen Weltruhm, die Kinder der Migranten sitzen in Parlamenten und
Vorstandsetagen. Doch auch sie konnten nicht sicherstellen, dass das
Dazugehören selbstverständlich ist.
Im BCA erzählt Sentina Bristol von ihrem Sohn Dexter, 57. Von ihm hatte das
Innenministerium ausführliche Beweise verlangt, dass er mit seiner Mutter
1968 ins Land gekommen sei. Seine Anwältin Jacqueline McKenzie erzählt: die
archivarische Dokumentensuche in Grenada und Großbritannien, darunter das
Aufspüren alter Schulzeugnisse, die Ausstellung eines Passes aus Grenada,
um überhaupt den Behördenlauf angehen zu können. Ausgerechnet am Tag, als
McKenzie der Familie schrieb, dass wohl alles gut werde, brach Dexter auf
offener Straße zusammen und starb; zwei Tage später kam der Brief mit der
positiven Botschaft.
„Wir sind britisch, wir gehören zu diesem Land, deswegen richtet euch auf
und kämpft!“, sagt die alte Sentina Bristol. Peter Herbert von der
Lobbygruppe schwarzer Rechtsanwälte fasst die Situation zusammen: „Das
Recht wurde von Theresa May 2014 ohne Konsultation oder Garantien
verändert.“ Zwei Tage später antwortet er der taz auf die Frage, was er von
dem [1][neuen Innenminister Sajid Javid] halte: „Sajid ist nur ein braunes
Gesicht über ein größeres Problem.“
Anwältin McKenzie will Javid Zeit geben, seine Versprechen einzulösen,
betont aber, das Problem sei größer als allgemein bekannt. Die Regierung
hat zugesagt, dass alle Probleme kostenlos gelöst werden. Seit der
Einrichtung einer staatlichen Anlaufstelle für Betroffene am 17. April sind
dort laut Sajid Javid über 6.000 Anrufe eingegangen, davon 2.500 von der
Windrush-Generation. Über 100 Fälle seien inzwischen geklärt. Aber am Ende
des Beratungstages in Brixton zählt McKenzie 42 neue Personen, die um Hilfe
bitten.
2 May 2018
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## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn
## TAGS
Jamaika
Großbritannien
Migration
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