# taz.de -- Commonwealth-Gipfel in London: Auf Wunsch Ihrer Majestät | |
> Beim Commonwealth-Gipfel wurde die Fassade gewahrt. Doch die Empörung | |
> über den britischen Umgang mit karibischen Einwanderern war groß. | |
Bild: Commonwealth-Staatsgäste spazieren durch Windsor Castle | |
LONDON taz | Graue Luxuskleinbusse und Limousinen pendeln zwischen | |
abgeriegelten Schutzzonen. Hinter getönten Autoscheiben starren Delegierte | |
aus aller Welt, unterwegs zwischen Sehenswürdigkeiten wie Windsor Castle, | |
Lancaster House, London Guildhall und Buckingham Palace, auf die Londoner | |
Normalbevölkerung, die derweil das ungewöhnlich heiße Sonnenwetter genießt. | |
Eine Kabul-ähnliche Sicherheitspolitik prägt den | |
Commonwealth-Staatengipfel, zu dem Tausende Delegierte aus 53 Staaten | |
angereist sind. | |
In seinem Umfang und Aufwand erinnert das Treffen, das am Wochenende zu | |
Ende ging, fast an die Londoner Olympischen Spiele von 2012, auch weil in | |
der Vorwoche des Gipfels die Commonwealth Games stattfanden, eine Art | |
alternative Olympiade. Die Unkosten dieses Riesenaufgebots sind noch nicht | |
bekannt, aber mit tickender Brexit-Uhr erwartete sich die Regierung von | |
Premierministerin Theresa May wohl einiges an Gewinn. | |
In den Worten ihres Handelsministers Liam Fox: „Unsere gemeinsamen Werte, | |
Regulationssysteme und gemeinsame Sprache haben das Potenzial, | |
unseren Handel um 20 Prozent auszubauen – ein Handel, der bis 2020 500 | |
Milliarden Pfund (570 Milliarden Euro) umfassen wird – und die Kosten für | |
Mitgliedstaaten hierfür um 19 Prozent zu reduzieren.“ Dabei warb Fox | |
ausgerechnet mit der Verlängerung des britischen Zugangs zum EU-Binnenmarkt | |
während der Brexit-Übergangszeit bis Ende 2020. | |
Das Commonwealth, von Zynikern auch „Empire 2.0“ genannt, umfasst heute 2,4 | |
Milliarden Menschen, ein Drittel der Weltbevölkerung, darunter auch | |
Länder wie Ruanda und Mosambik, die keine koloniale Vergangenheit mit den | |
Briten hatten. Inzwischen gibt es sogar ein Washington-Büro und einen | |
„nordisch-baltischen Hub“ in Helsinki. Simbabwe und Gambia, einst | |
ausgetreten oder ausgestoßen, kehren dieses Jahr zurück. Einige Staaten wie | |
Myanmar, Israel, Ägypten, Irak und andere arabische Staaten, die als | |
Exkolonien zur Mitgliedschaft berechtigt wären, sind nicht dabei, aber | |
manche sind inzwischen nicht mehr ganz uninteressiert. | |
Es geht um Handel und um Dinge wie Demokratie, Menschenrechte, | |
Frauenrechte, Umweltrichtlinien, Jugendförderung. Bevor sich die Spitzen | |
trafen, diskutierten Delegationen in Spezialforen zu diesen Schwerpunkten. | |
Wollte die Regierung Großbritannien hier als Gastgeber glänzen, wurde sie | |
jedoch zum Objekt scharfer Kritik. Zum einen waren LGBTQ-Gruppen | |
enttäuscht, dass die Illegalität der Homosexualität in zahlreichen Staaten, | |
ein Überbleibsel britischer Kolonialgesetzgebung, nicht zu einem Hauptthema | |
gemacht wurde. Doch es kam schlimmer. | |
## Die Windrush-Generation | |
Seit Monaten kursieren Berichte über behördliche Schikanen und sogar | |
Abschiebungen der sogenannten Windrush-Generation – die erste Generation | |
von Migranten aus der englischsprechenden Karibik, benannt nach dem ersten | |
Schiff, welches solche 1948 nach London brachte. Obwohl per Gesetz alle | |
diese Einwander*innen, die vor 1971 ins Land gekommen waren, automatisch | |
die britische Staatsbürgerschaft haben, mussten viele in den letzten Jahren | |
ihr Aufenthaltsrecht immer wieder neu nachweisen, denn mangels | |
Ausweispflicht haben sich unter den Älteren viele nie um Papiere bemüht und | |
ihre jahrzehntealten Einreisenachweise, die die Dauer ihres Aufenthalts | |
belegen könnten, wurden ab 2010 von den Behörden vernichtet – auf wessen | |
Veranlassung, bleibt unklar. | |
Auslöser waren Verschärfungen der Maßnahmen gegen illegale Einwanderer, | |
nachdem Theresa May 2010 Innenministerin wurde. Bei Passanträgen und | |
Überweisungen im Gesundheitssystem musste erstmals der Aufenthaltsstatus | |
nachgewiesen werden. Schwarze Briten, die seit Jahrzehnten in | |
Großbritannien lebten, standen urplötzlich unter Verdacht, illegal im Land | |
zu sein. | |
Theresa May, seit 2016 Premierministerin, unterschätzte den Grad der | |
Empörung bei Regierungschefs karibischer Staaten völlig. Als deren | |
Verlangen nach einem Gespräch mit May am Wochenende vor dem Gipfel | |
abgewiesen wurde, platzte ihnen der Kragen. Mit einer wütenden Anklage des | |
schwarzen Labour-Abgeordneten David Lammy wuchs die Wut über den Umgang mit | |
der Windrush-Generation zu einem Shitstorm. | |
Schockierende Schicksale zwischen 55 und 90 Jahre alter Migranten, die fast | |
ihr Leben lang in Großbritannien gelebt hatten, wurden öffentlich: Einem | |
wurde lebensrettende Krebshilfe verweigert, ein anderer verpasste die | |
Heirat seiner Tochter, weil das Innenministerium ihm keinen Pass gab und | |
ihn ausweisen wollte. | |
Nicht einmal das Erscheinen der königlichen Prinzen William und Henry samt | |
ihrer Gemahlinnen beim Commonwealth-Gipfel vermochte die Stimmung zu | |
retten. Erst Entschuldigungen sowohl von Innenministerin Amber Rudd und | |
danach auch von Theresa May höchstpersönlich, glätteten die Windrush-Wogen | |
ein wenig. | |
## Maßnahmen gegen Einwegplastik | |
„Während eines Treffens mit den Staatsoberhäuptern der Karibik | |
verpflichtete ich mich dazu, dass die britische Regierung alles Nötige tun | |
wird, um die Ängste und Probleme, welche einige der Windrush-Generation | |
erlitten, aufzulösen“, versprach May und stellte klar, dass die Betroffenen | |
britisch seien und entschädigt würden. Für dieses Jahr geplante weitere | |
Verschärfungen des Einwanderungsgesetzes im Zeichen des Brexit stehen nun | |
infrage. | |
Unter diesen Umständen positive Gipfelschlagzeilen zu machen, war nicht so | |
einfach: Maßnahmen gegen Einwegplastik, etwa ein Verbot von | |
Plastikstrohhalmen, oder eine Commonwealth-weite SheTrade-Initiative für | |
Frauen in der Wirtschaft brachten wenig Aufmerksamkeit. | |
Die galt am Ende des Gipfels fast nur der Frage der zukünftigen Führung des | |
Commonwealths, die seit 1952 bei der inzwischen 92 Jahre alten Queen liegt. | |
Zwar steht der Posten des „Head of the Commonwealth“ im Grunde allen offen, | |
doch nachdem die betagte Dame mit der Krone sich vor den versammelten | |
Staatsoberhäuptern persönlich für ihren Sohn Prinz Charles aussprach, | |
fügten sich alle, darunter auch Staatsführer von Republiken wie Südafrika | |
und Indien, in einer Abstimmung hinter verschlossenen Türen inmitten des | |
Prunks des Windsor Palastes ihrem Wunsch. | |
Zuvor hatte Oma Elizabeth ihrem Enkel Harry noch das Amt des | |
Commonwealth-Jugendbotschafters verliehen, ganz im demokratischen Geiste | |
der Organisation. | |
Und während am Freitagabend in Brixton Hunderte von Menschen gegen die | |
schlechte Behandlung der Windrush-Generation demonstrierten, genossen schon | |
am Samstag viele Staatsgäste die britische Gastfreundschaft, um im | |
Buckingham Palace zu „God Save The Queen“ den 92. Geburtstag Ihrer Majestät | |
zu feiern. | |
22 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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