# taz.de -- Schwarze Briten und der EU-Austritt: Der Brexit, das Votum der Wei�… | |
> Im britischen EU-Austritt sehen Vertreter der Geschäftselite der | |
> afrikanisch-karibischen Gemeinschaft neue Chancen – und Gefahren. | |
Bild: Ein Stadtteil für den Verbleib in der EU: das afrikanisch-karibisch gepr… | |
LONDON taz | Im Konferenzraum der multinationalen Anwaltskanzlei Cameron | |
McKenna Nabarro Olswang (CMS) im Herzen des Londoner Bankenviertels ist die | |
Atmosphäre an diesem Tag leicht gehoben und professionell. | |
Geschäftsführer*Innen, Finanzchefs, Politiker*Innen, | |
Regierungsvertreter*Innen und Akademiker*Innen haben sich zu einer | |
halbtägigen Tagung vereint. „Ich war schon von Anfang an dagegen“, sagt ein | |
Mann mit Oxford-Akzent, über dessen schwarzem Anzug lange Dreadlocks | |
liegen. Das Thema ist der Brexit, allerdings aus einer neuen Perspektive: | |
„Black Brexit“, wie es die Organisatoren Black Cultural Archives (BCA) | |
nennen. | |
BCA ist ein Kultur- und Dokumentationszentrum für Menschen in | |
Großbritannien mit direktem oder entferntem afrikanischem | |
Familienhintergrund. 1981 gegründet, macht es sich derzeit vor allem im | |
afrikanisch-karibisch geprägten Brixton einen Namen – eine der Gegenden, | |
die bei der Brexit-Volksabstimmung von 2016 am stärksten für den Verbleib | |
in der EU stimmten. Landesweit stimmten 68 Prozent der Wähler aus | |
nichtweißen Minderheiten (BAME – Black, Asian, Minority Ethnic) gegen den | |
Brexit und sogar 77 Prozent aller mit dunkler Hautfarbe, referiert zur | |
Eröffnung Professor Trevor Williams, seines Zeichens ehemaliger Chefökonom | |
der Lloyds Bank: Es waren die Stimmen der Weißen, die dem EU-Austritt zum | |
Sieg verhalfen. | |
Williams glaubt zwar, dass sich mit dem Brexit für die schwarze Bevölkerung | |
Möglichkeiten im Commonwealth eröffnen könnten – der Zusammenschluss | |
ehemaliger britischer Kolonien, aus denen viele ihrer Familien | |
beziehungsweise sie selbst stammen. Doch Großbritannien, warnt er, stehe im | |
Handel mit den Commonwealth-Ländern hinter den USA, China und Japan. | |
Für manche hört es sich seltsam an, dass ein Nachkomme der kolonialen | |
Vergangenheit Großbritanniens so gelassen für die Commonwealth-Rolle der | |
ehemaligen Eroberernation wirbt. Wir werden und können unsere | |
Familiengeschichten nicht vergessen, sagt Unternehmerin Maggie Semple. Die | |
nigerianische Rechtsexpertin und Dozentin Emilia Onyema fragt mit | |
Zustimmung anderer im Saal, ob Williams etwa für die Rückkehr der Tage des | |
Empire sei? „Nein“, antwortet Williams. „Nur im Sinne eines Handels und a… | |
völlig gleichberechtigter Basis.“ | |
Henry Obi, Partner der Investmentfirma Helios, sieht in vielen | |
afrikanischen Ländern Investitionspotenzial und beweist es mit Geschichten | |
seiner letzten Ankäufe, von Tee und Finanzen bis hin zu technologischen | |
Pionieren. Die Frage sei nicht, „ob“, sondern „wie“ man das Interesse | |
schwarzer britischer Personen wecke. Doch auch seine Lösung klingt eher wie | |
Wunschdenken: „das Durchbrechen in die Vorstandsetagen britischer Firmen“. | |
## „Der größte Anteil der Weltbevölkerung ist asiatisch“ | |
Das reicht Deborah Williams, eine starke britische Stimme in Fragen der | |
Gleichberechtigung, nicht. „Haben wir denn das Know-how unter unseren | |
jungen Menschen in der Black Community?“, fragt sie. Damit hat sie das | |
Kernthema angesprochen, das die Leute umtreibt. Die Frage, was der Brexit | |
für Londons schwarze Bevölkerung bedeutet, wird zur Frage, wie man | |
überhaupt in Großbritannien Vorurteile abbaut, Bildung verbessert und | |
Menschen richtig fördert. | |
Sorge darüber bedeutet aber nicht, Hoffnungen in die EU zu setzen, so sehr | |
sich der Labour-Abgeordnete Chuka Umunna abmüht, eine der bekanntesten | |
Anti-Brexit-Stimmen überhaupt, der ein flammendes Plädoyer gegen den | |
EU-Austritt hält und ein zweites Referendum fordert. „Wo in der Welt gibt | |
es Politiker, die bewusst eine Richtung einnehmen, welche die Wirtschaft | |
verschlechtert?“, fragt er und erinnert daran, dass viele der Großeltern | |
der Anwesenden als Migranten hierherkamen, so wie jetzt die Osteuropäer: | |
„Wir wissen, welche Gemeinschaft die größten Kosten für den Brexit tragen | |
wird.“ | |
Janet Thomas, Geschäftsführerin einer globalen E-Tech-Firma, überzeugen | |
Umunnas Worte nicht besonders. „Meine persönliche Erfahrung ist, und dies | |
nach vielen Aufenthalten innerhalb der EU, dass die Menschen dort | |
weitgehend nicht bereit sind, Personen wie mich zu akzeptieren.“ | |
Nach Stunden der Diskussion versucht Trevor Williams am Ende | |
zusammenzufassen: Besonders wichtig sei der Zugang zu Stellen in britischen | |
Unternehmen. Mehr Handel mit Commonwealth-Ländern nach dem Brexit müsse auf | |
Basis der Gleichheit betrieben werden statt als Rückkehr zum Empire. | |
Wichtig sei, betont er, dass 90 Prozent der Welt nicht die EU seien. „Der | |
größte Anteil der Weltbevölkerung ist asiatisch. Die geografische | |
Aufteilung der Erde wird sich demnach stark verändern, vielleicht aber erst | |
in den Leben unserer Kinder.“ Und Großbritannien verlasse zwar die EU, aber | |
nicht die Erde. | |
Diese Bemerkung lässt bei Nachgesprächen ein paar kritische Stimmen | |
aufkommen. Adrienne Johnson, Britin und African-American, die viele Jahre | |
in Berlin gelebt hat und jetzt in Großbritannien für die US-Demokraten in | |
den USA mobilisiert, findet, dass die Rolle der schwarzen Gemeinschaft in | |
Großbritannien für Angehörige ethnischer Minderheiten in der EU nicht | |
verstanden wurde. „Großbritannien ist dem Rest Europas in Sachen | |
Repräsentativität voraus. Diese stärkere Stimme innerhalb der EU könnte | |
durch den Brexit gemindert werden.“ | |
17 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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