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# taz.de -- Morde an Studenten: Deutsche Waffen, tote Mexikaner
> Heckler & Koch soll ohne Genehmigung tausende Gewehre nach Mexiko
> geliefert haben. Nun stehen Ex-Mitarbeiter in Stuttgart vor Gericht.
Bild: Heckler & Koch-Gewehre vom Typ G36 im Einsatz einer Bürgermiliz im mexik…
Oaxaca taz | Eine Stunde lang liegt Aldo Gutiérrez auf dem Boden. Um ihn
herum fallen Schüssen, Sirenen heulen, Blaulichter durchdringen die
Dunkelheit. „Wir dachten, er sei tot“, erinnert sich später ein
Kommilitone, der neben ihm stand. „Doch plötzlich sahen wir, dass Aldo sich
bewegte und Blut spuckte.“ Kurz darauf bringt ein Rettungswagen den
Studenten ins Krankenhaus. Er überlebt – und liegt seit dreieinhalb Jahren
im Koma. „Sie haben ihm direkt in den Kopf geschossen“, sagt sein Bruder
Leonel. „Die Kugel hat den Kopf durchdrungen und die Hälfte des Gehirns
zerstört.“
Die Kugel, die das Leben von Aldo Gutiérrez zerstörte, stammte mit großer
Wahrscheinlichkeit aus einem Sturmgewehr vom Typ G36 des deutschen
Rüstungsunternehmens Heckler & Koch (H&K). Mindestens sechs Polizisten und
eine Polizistin trugen die Waffen in dieser Nacht in der Stadt Iguala im
südmexikanischen Bundesstaat Guerrero. Es war der 26. September 2014.
Polizisten und Söldner der Mafiaorganisation „Guerreros Unidos“ griffen
Studenten des Lehrerseminars Ayotzinapa mit Tränengas, Schlagstöcken und
Schusswaffen an. Die Studenten hatten sich gegen das organisierte
Verbrechen in der Region engagiert. Sechs Menschen starben. 43 der
angehenden Lehrer wurden verschleppt. Der Fall der entführten Studenten aus
Iguala machte auch in Europa monatelang Schlagzeilen. Immer wieder wurden
sie für tot erklärt – bis heute fehlt jedoch von ihnen jede Spur.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit werden ab Dienstag auch sechs ehemalige
Mitarbeiter von Heckler & Koch stehen: Dann beginnt gegen sie nämlich der
Prozess vor dem Landgericht in Stuttgart.
Am Morgen nach dem Massaker fanden Ermittler 38 der deutschen Sturmgewehre
im Polizeirevier von Iguala. Eines davon kam an der Stelle zum Einsatz, an
der Aldo Gutiérrez schwer verletzt wurde. „Wir können zwar nicht mit
absoluter Sicherheit sagen, ob die Kugel in Aldos Gehirn aus einer
Heckler-&-Koch-Waffe stammt“, erklärt der Rechtsanwalt Santiago Aguirre vom
Menschenrechtszentrum Prodh und verweist auf fehlende ballistische
Untersuchungen. „Außer Zweifel aber steht, dass in genau dieser Situation
mit G36-Gewehren geschossen wurde.“
## Keine Exportgenehmigung
Ebenso unbestritten ist, dass die Mörder des Studenten Julio Cesar
Mondragón mit der deutschen Waffe im Einsatz waren. Sie haben ihr Opfer vor
dem Tod gefoltert und ihm die Augen ausgerissen. Was all die Patronen des
G36-Kalibers, deren Hülsen auf den Straßen liegen geblieben sind, sonst
noch angerichtet haben, ist nicht mehr nachvollziehbar. Die Beweissicherung
sei schlecht gewesen, erklärt Aguirre. Bei dem Prozess geht es moralisch
also um mehr als den juristischen Vorwurf „Verstoß gegen das
Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz“, wie es in der
Anklageschrift steht. „Es geht um Beihilfe zum Mord“, sagt Jürgen Grässli…
Der Friedensaktivist und Buchautor aus Freiburg gehört zu den
profiliertesten Kritikern der Rüstungsindustrie in Deutschland und ist
Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros und Bundessprecher der DFG-VK.
Immer wieder deckte er auf, wie Heckler & Koch und andere Unternehmen
illegal in Entwicklungsländer Waffen lieferten.
Im April 2010 erstattete er im Fall der mexikanischen Studenten bei der
Stuttgarter Staatsanwaltschaft Anzeige gegen Heckler & Koch. Dort gab er
an, dass die Waffenbauer zwischen 2006 und 2009 Tausende G36-Sturmgewehre
in mexikanische Bundesstaaten lieferten, für die das Bundesamt für
Ausfuhrkontrolle wegen der schwierigen Menschenrechtslage keine
Exportgenehmigungen ausgestellt hatte. In Deutschland soll das Gesetz
eigentlich regeln, dass in Krisengebieten keine deutschen Waffen für
Verbrechen missbraucht werden.
Diese Anschuldigung bestätigte später der Kunde, das mexikanische
Verteidigungsministerium „Sedena“. Von 9.652 gekauften Gewehren seien 4.796
in die „verbotenen“ Regionen gegangen, erklärt die Behörde auf Anfrage.
Knappe 2.000 davon landeten in der Region Guerrero, wo große Landstriche
von kriminellen Banden kontrolliert werden, die eng mit Polizisten,
Politikern und Unternehmern zusammenarbeiten.
Grässlin erfuhr von dem illegalen Deal, weil sich ein H&K-Mitarbeiter an
ihn gewandt hatte. „Ich selbst wurde gegen Ende des Jahres 2006 in den
mexikanischen Bundesstaat Guerrero geschickt, um vor Ort Präsentationen und
Geräteausbildungen vorzunehmen“, erklärte der Waffenausbilder, der als
Kronzeuge im Prozess auftritt, aber nicht namentlich genannt werden will.
Zudem habe der H&K-Handelsvertreter in Mexiko-Stadt, Markus B., gemeinsam
mit dem Käufer Dokumente manipuliert. Damit sollte verschleiert werden,
dass die Gewehre in Guerrero, Chiapas, Chihuahua und Jalisco gelandet sind,
Gebiete, die nicht von der Ausfuhrkontrolle genehmigt worden waren. So
steht es in der Anklageschrift.
## Unterschiedliche Aussagen
Markus B. weist die Vorwürfe weit von sich. Nie habe es Einschränkungen
gegeben, betont der Waffenhändler im Gespräch mit der taz in Mexiko-Stadt.
Fast nie. Einmal sei beim Militärattaché in der Botschaft von „unerlaubten
Bundesstaaten“ die Rede gewesen, „die besser nicht auf der
Endverbleibserklärung erscheinen sollten“. In den Akten liest sich das
anders: B. soll in Absprache mit der Oberndorfer Geschäftsführung mehrfach
dafür gesorgt haben, dass der Kunde die Erklärungen zum Endverbleib der
Waffen umformulierte, wenn eine Region heikel wurde. So gingen Gewehre, die
in Wirklichkeit nach Chiapas geliefert wurden, auf dem Papier in den
unverdächtigen Bundesstaat Colima.
Zu diesem Deal gehört natürlich auch die andere Seite: der für das
Verteidigungsministerium verantwortliche Einkäufer, der mittlerweile
pensionierte General Humberto Alfonso Guillermo Aguilar. Für den lang
gedienten Armeeangehörigen hatte sich der Waffenkauf offensichtlich gut
bezahlt gemacht. Das legen Dokumente der Staatsanwaltschaft nahe, die der
taz vorliegen. Demnach hat Heckler & Koch dem General für jede eingekaufte
G36 ein Bestechungsgeld von 25 US-Dollar bezahlt.
Markus B. fühlt sich inzwischen von H&K „verraten und verkauft“. Wenn es
schlecht läuft, drohen ihm und den anderen Angeklagten mehrere Jahre
Gefängnis, das Unternehmen müsste als Nebenbeteiligte im Prozess eine hohe
Geldstrafe zahlen. Auf der Anklagebank sitzen neben B. eine
Vertriebsmitarbeiterin, zwei frühere Vertriebsleiter sowie zwei ehemalige
Geschäftsführer.
Bis heute ist nicht geklärt, welche Rolle staatliche Vertreter in dem Deal
gespielt haben. Grässlins Rechtsanwalt Holger Rothbauer hat bereits 2012
Anzeige gegen die deutschen Exportbehörden gestellt, weil er vermutete,
dass die widerrechtlichen Ausfuhren in Absprache mit hohen Beamten
vonstattengingen. Doch die Staatsanwälte verfolgten die Spur nicht weiter.
Dabei lagen ihnen Aussagen vor, nach denen sich Mitarbeiter des
Wirtschaftsministeriums gezielt im Interesse von H&K starkgemacht hatten.
So erklärte der Ministerialrat Claus W., man sei mit der „pauschalen
Ablehnung“ der Lieferung nicht einverstanden gewesen und habe „politische
Lösungen“ gesucht, um den Export zu ermöglichen. Dabei setzte er offenbar
darauf, dass niemand den Endverbleib überwacht. Die Möglichkeit einer
Überprüfung, beruhigte W., „entzieht sich den Einflussmöglichkeiten des
Wirtschaftsministeriums und der Bundesregierung“.
Tatsächlich interessierte sich niemand dafür, wo die Gewehre gelandet
waren. Ein einziges Mal, im Jahr 2006, fuhr ein Botschaftsangehöriger nach
Chiapas. Als man ihm erklärt, man schieße nur mit asiatischen Waffen, gab
der Mann sich zufrieden und reiste wieder ab. Von den 561 in den
Bundesstaat gelieferten H&K-Gewehren hatte er keines entdeckt.
## Das G36 war überall
Wer in dieser Zeit Guerrero besuchte, konnte das G36 an jeder zweiten
Straßenecke sehen. In zahlreichen Polizeirevieren zählte das Gewehr zum
Waffenarsenal. Bereits 2011 trugen es Beamte bei einem Einsatz gegen
Ayotzinapa-Studenten, bei dem zwei der Lehramtsanwärter starben. Abel
Barrera vom in Guerrero ansässigen Menschenrechtszentrum Tlachinollan kann
deshalb nur den Kopf schütteln, wenn von „verbotenen“ Bundesstaaten die
Rede ist. Dass ausgerechnet die Streitkräfte garantieren sollen, dass die
Waffen nicht in diese Regionen geliefert werden, kann er nicht
nachvollziehen: „Wie soll das in einer Region funktionieren, in der
Militärs, Polizisten und Verbrecher zusammenarbeiten?“
Auch am 26. September 2014 waren auf den Straßen von Iguala Soldaten,
Bundesbeamte sowie lokale Polizisten und Söldner der Mafia unterwegs. Der
Mann, der Aldo Gutiérrez in den Kopf geschossen hat, diente im örtlichen
Polizeirevier. Die Behörde unterstand dem Bürgermeister José Luis Abarca,
der zugleich führend bei den „Guerreros Unidos“ tätig war. Von ihm ging d…
Befehl zum Angriff auf die Studenten aus. Laut Akten hat das Revier 55
G36-Gewehre erhalten. Nach dem Massaker wurden nur 38 davon gefunden.
15 May 2018
## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
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Mexiko
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