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# taz.de -- Fiktiver Ort in Katalonien: Das Dorf, das es nur auf Twitter gibt
> Der kleine Ort Sant Esteve de les Roures in Katalonien ist im Netz
> beeindruckend aktiv. Der Haken daran: Es gibt ihn gar nicht.
Bild: Wäscheleine in einer Gasse von Sant Esteve de les Roures? Sicher nicht, …
Madrid taz | Der 1. Oktober, der Tag des von Madrid untersagten
Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien, war ein regelrechter Ausbruch der
Gewalt. Auch wenn weltweit nur Bilder von Polizisten, die auf friedliche
WählerInnen einknüppelten zu sehen waren, trug die paramilitärische
spanische Guardia Civil 315 mutmaßliche Fälle von Gewalt seitens des
Wahlvolkes zusammen. Das Dossier landete nicht nur beim Ermittlungsrichter
in Madrid sondern auch bei der konservativen Tageszeitung El Mundo.
„Einige der aggressivsten Zwischenfälle ereigneten sich in Sant Esteve de
les Roures“, [1][berichtete das Blatt] am 28. März. Von einem
Motorradfahrer, der versuchte, einen Beamten zu überrollen und dessen
Dienstwaffe zu stehlen, war da unter anderem die Rede.
Schockierend – hätte das Ganze nicht einen kleinen Schönheitsfehler. Sant
Esteve de les Roures gibt es gar nicht. Oder besser gesagt, gab es nicht.
Denn nur wenige Tage nach besagtem Artikel meldete sich auf Twitter unter
[2][@st_esteveroures] das Rathaus des Ortes zu Wort: „Wir waren von den
neuen Technologien nie besonders angetan, aber aufgrund der jüngsten
Gerüchte über die Inexistenz unseres geliebten Dorfes, sehen wir uns
gezwungen, uns in Sachen sozialer Netzwerke auf den neuesten Stand zu
bringen.“
500 Tweets später folgen der Gemeindeverwaltung knapp 30.000 Menschen und
Maschinen und informieren sich dort über den Verkehr, öffentliche
Ausschreibungen oder Kulturveranstaltungen in Sant Esteve. „Ich möchte in
Sant Esteve de les Roures wohnen, denn dort gibt es alles“, schreibt einer
der Leser.
## Über 80 Konten öffentlicher und privater Einrichtungen
Kein Dorf seiner Größe in Katalonien, ja wohl in ganz Europa, hat so viel
vorzuweisen wie Sant Esteve de les Roures. Über 80 Konten öffentlicher und
privater Einrichtungen aus dem Ort sind mittlerweile bei Twitter aktiv.
Sant Esteve verfügt über ein [3][weitläufiges U-Bahnnetz], dessen rote
Linie 2 den Weg Kataloniens zur Unabhängigkeit aufzeigt. Angesichts der
ständig durch separatistische Protestaktionen verursachten Staus rund um
den Ort ist die Metro wohl das beste Transportmittel, um zu den beiden
Universitäten ([4][@unisedr] und [5][@univ_st_esteve]), dem Markt
([6][@Sanesroures]), der öffentlichen Bibliothek ([7][@BibliotecaLes]) oder
einem im Netz vereinbarten Techtelmechtel ([8][@TindersedeR] ‏) zu
gelangen.
Natürlich darf auch die Privatwirtschaft nicht fehlen: ein Laboratorium für
Molekularbiologie ([9][@LBMsedr]), eine Zahnklinik ([10][@rouresdentista]),
eine Dönerbude ([11][@KebabRoures]‏) oder die Landwirtschaftsvereinigung
([12][@Asc_Roures]) informieren regelmäßig. Ein Verband deutscher
Unternehmer ([13][@alemanes_roures]‏) vertritt die Interessen seiner
Mitglieder. Polizei, Guardia Civil ([14][@CivilRoures]‏),
Staatsanwaltschaft ([15][@FiscaliaRoures]) und ein Richter
([16][@jutgedret]), der den gleichen Nachnamen trägt, wie der Ermittler
gegen die katalanischen Politiker und Aktivisten in Madrid, für den das
fragliche Dossier der Guardia Civil bestimmt war, sowie die Feuerwehr
([17][@bmbrs_SntStvRrs]), sorgen für Ordnung und Sicherheit.
Die Parteien, von JxCat ([18][@PdecatRoures]), der Partei des in
Deutschland auf seine Auslieferung wartenden ehemaligen katalanischen
Regierungschefs Puigdemont, bis hin zu den für die Einheit Spaniens
streitenden Ciudadanos ([19][@Cs_SanEsteban]‏) oder die rechtsradikale Vox
([20][@VoxRoures]), sind alle im Ort vertreten und streiten sich über die
Zukunft Kataloniens.
Sant Esteve de les Roures ist mittlerweile ein beliebtes Ziel für einen
Wochenendausflug. Der durch seine Antikorruptionsfälle bekannte Richter
[21][@elpidiojsilva] bedankt sich für „Ein fantastisches Wochenende,
wunderbare Leute und gutes Essen.“ Bis heute haben weder die Guardia Civil
noch die Tageszeitung El Mundo sich zu den erfundenen Vorfällen am 1.
Oktober geäußert.
Der offizielle Twitterkanal der Guardia Civil weiß mittlerweile selbst
nicht mehr zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden. Als das Rathaus
ein Video verbreitete, auf dem zu sehen ist, wie Grenzschützer an der
Grenze zu Marokko Gummigeschosse abfeuern, [22][beschuldigt] die Guardia
Civil auf Twitter die Gemeindeverwaltung von Sant Esteve des
Amtsmissbrauchs: „Von einem offiziellen Konto @st_esteveroures aus?
…Vertreten sie so ihre Bürger, in dem sie über falsche Einschüsse berichten
… ?“
25 Apr 2018
## LINKS
[1] http://www.elmundo.es/espana/2018/03/28/5abaa60fe5fdea530e8b45a7.html
[2] https://twitter.com/st_esteveroures
[3] https://twitter.com/st_esteveroures/status/988415409769639937
[4] https://twitter.com/unisedr
[5] https://twitter.com/univ_st_esteve
[6] https://twitter.com/Sanesroures
[7] https://twitter.com/BibliotecaLes
[8] https://twitter.com/TindersedeR
[9] https://twitter.com/LBMsedr
[10] https://twitter.com/rouresdentista
[11] https://twitter.com/KebabRoures
[12] https://twitter.com/Asc_Roures
[13] https://twitter.com/alemanes_roures
[14] https://twitter.com/CivilRoures
[15] https://twitter.com/FiscaliaRoures
[16] https://twitter.com/jutgedret
[17] https://twitter.com/bmbrs_SntStvRrs
[18] https://twitter.com/PdecatRoures
[19] https://twitter.com/Cs_SanEsteban
[20] https://twitter.com/VoxRoures
[21] https://twitter.com/elpidiojsilva
[22] https://twitter.com/guardiacivil/status/985101793175785472
## AUTOREN
Reiner Wandler
## TAGS
Katalonien
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