# taz.de -- Im Alter aufs Land: Trügerische grüne Idylle | |
> AussteigerInnen fürchten den Ärztemangel in der Provinz. Immerhin: Die | |
> Notfallversorgung an Kliniken soll verbessert werden. | |
Bild: Rückenschmerzen? Einfach mit ein bisschen Natur ablenken, zum Arzt ist e… | |
Ein Bündnis der Immobilienlobby empfahl kürzlich, im Alter doch einfach die | |
sündhaft teuren Metropolen zu verlassen und sich ein Häuschen im Umland zu | |
kaufen, preisgünstig, ruhig, im Grünen. Es ist verdächtig, wenn die | |
Immobilienwirtschaft linke Aussteigerträume kapert. Dabei sorgt die | |
Fantasie eines ländlichen Idylls schon lange nicht mehr für Seelenfrieden. | |
Nicht wegen Artensterben, Monokultur, Landgrabbing. Nein, vor allem der | |
Gedanke an einen Facharztbesuch oder gar einen medizinischen Notfall auf | |
dem Land jagt Angstschauer durch die Aussteigerseele. | |
Da hilft es wenig, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der | |
Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) am Donnerstag Gutachten beziehungsweise | |
einen Beschluss vorstellten, nach denen die Notfallversorgung auch in | |
ländlichen Regionen künftig besser ausgestaltet werden soll. | |
Die KBV hatte ein Gutachten in Auftrag gegeben, das zu dem Schluss kam, | |
dass in den Notaufnahmen der Krankenhäuser zunehmend auch Patienten sitzen, | |
die objektiv gar keine Notfälle seien. Es seien darunter Leute, denen ein | |
Arztbesuch in einer Praxis nicht in den Terminkalender passe oder die beim | |
Facharzt erst einen Termin in drei Monaten bekommen würden. | |
## Patienten besser umleiten | |
Diese PatientInnen will man künftig besser steuern, indem sie sich | |
möglichst schon vor dem Aufsuchen einer Notaufnahme bei einer Vermittlung | |
telefonisch melden sollen. Dann können sie eventuell umgeleitet werden in | |
eine Bereitschaftspraxis. | |
Auch die stationäre Notfallversorgung soll qualitativ verbessert werden. | |
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) präsentierte am Donnerstag ein | |
gestuftes System der stationären Notfallversorgung, nach dem Krankenhäuser, | |
die offiziell als „Notfallkrankenhaus“ deklariert sind, zumindest eine | |
Station für Innere Medizin, eine für Chirurgie und eine | |
Sechs-Betten-Intensivstation anbieten müssen und innerhalb einer halben | |
Stunde nach Einlieferung ein Facharzt verfügbar sein muss. Nur dann sollen | |
diese Krankenhäuser entsprechende Zuschüsse erhalten. | |
Ein Drittel der Krankenhäuser erfüllt die Kriterien nicht, viele sind auch | |
jetzt schon nicht an der Notfallversorgung beteiligt. Die Deutsche | |
Krankenhausgesellschaft warnte allerdings davor, dass Rettungswagen | |
möglicherweise bestimmte Krankenhäuser nicht mehr anfahren würden und | |
weitere Wege hätten. | |
## Die Arztdichte erfragen | |
Wie sich aus dem KBV-Gutachten schließen lässt, wollen allerdings viele der | |
PatientInnen in den Notaufnahmen, etwa mit Bandscheibenschaden oder | |
Augenproblemen, gar nicht unbedingt in eine Klinikambulanz, auch nicht zum | |
Bereitschaftsdienst, sondern wären froh, wenn sie zeitnah einen Termin bei | |
einem Facharzt bekämen. | |
Doch auf dem Land kann genau das schwierig werden, wie Aussteiger wissen, | |
die sich ein Häuschen im Wendland, in Mecklenburg-Vorpommern oder in | |
Brandenburg kauften und sich in einer 30 Meter langen Schlange vor einer | |
Facharztpraxis in Luckenwalde oder sonst wo wiederfinden, wenn sich ein | |
Rückennerv verklemmt hat oder im Gesichtsfeld plötzlich schwarze Flocken | |
auftauchen. Die Jagd nach Terminen ist erst recht berüchtigt in manchen | |
Regionen. | |
[1][Die Karte der Kassenärztlichen Bundesvereinigung] (KBV), die etwas | |
aussagt über die Arztdichte in den Regionen, sollte man vielleicht | |
konsultieren und mit dem eigenen Gesundheitszustand abgleichen, bevor man | |
die Flucht in die Abgeschiedenheit erwägt. | |
## Drei Augenärzte auf 100.000 Leute | |
In München beispielsweise kommen 74 HausärztInnen auf 100.000 Einwohner, in | |
Uckermark-Barnim aber nur noch 62 HausärztInnen auf diese Einwohnerzahl. In | |
Berlin gibt es neun AugenärztInnen pro 100.000 Einwohner, in Barnim nur | |
sechs, im Emsland etwas über drei. Was die Orthopäden betrifft, | |
praktizieren in München 15 pro 100.000 Einwohner, in Berlin elf, in Stendal | |
in Sachsen-Anhalt aber nur sechs und im pfälzischen Alzey bei Worms nur | |
vier Orthopäden für diese Einwohnerzahl. | |
In der Provinz kann man sich auf lange Warteschlangen, langfristige | |
Terminvergabe und lange Fahrtzeiten zum Arzt einstellen. Aber man zieht ja | |
auch nicht aufs Land wegen des Arztes, sondern wegen der Natur – und hofft, | |
dass das stressarme Leben in der grünen Idylle wie durch ein Wunder so | |
manchen Arztbesuch im Alter erspart. Schließlich hängt alles mit allem | |
zusammen. Auch die Immobilienpreise. | |
So kann man laut Immowelt in Stendal ein 100-Quadratmeter-Reihenmittelhaus | |
für 30.000 Euro kaufen. In Alzey gibt es ein 120-Quadratmeter-Haus für | |
115.000 Euro. In Berlin kriegt man dafür nicht mal eine Einzimmerwohnung. | |
Und auch in dieser Metropole sitzen Leute in den Notaufnahmen, die | |
eigentlich nur zu einem Facharzt wollen. | |
19 Apr 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/16402.php | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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