| # taz.de -- Medizinische Versorgung: Babys nur noch in der Großstadt? | |
| > In vielen ländlichen Regionen schließt eine Geburtsstation nach der | |
| > anderen. Die Bewohner kämpfen dagegen. Zu Recht? | |
| Bild: Selbst Babys protestieren manchmal schon für Hebammen. | |
| Während die Bevölkerung auf dem Land schrumpft, nehmen die Einwohnerzahlen | |
| in deutschen Großstädten weiter zu. Das aufregende Großstadtleben zieht vor | |
| allem junge Leute an. Auch die Berufsaussichten scheinen dort oft besser. | |
| Auf dem Land allerdings fehlen dann die Leute. In einer Gesellschaft, die | |
| zusehends vergreist, wird das am Beginn des Lebens zum Problem. In den | |
| Krankenhäusern in verlassenen Regionen fehlen immer häufiger Ärzte und | |
| Hebammen, die die Babys dort zur Welt bringen. | |
| Schlagzeilen machte Anfang 2014 etwa die letzte Geburtsstation auf der | |
| Insel Sylt – als sie schloss. | |
| Als die ehemalige CSU-Landrätin Gabriele Pauli für den Bürgermeisterposten | |
| regierte, versprach sie eine neue Entbindungsstation. Allerdings wurde das | |
| nichts. Pauli verlor. Schwangere Frauen sollen von nun an, wenn alles nach | |
| Plan läuft, zwei Wochen vor der Entbindung in Flensburg oder Niebüll | |
| kostenlos untergebracht werden. Kommt ein Kind doch einmal früher, wird es | |
| gefährlich, denn ein Notfallplan existiert nicht. Hebammen haben somit | |
| keine Rufbereitschaft und sind daher nicht rund um die Uhr erreichbar. | |
| ## Jede dritte Station macht dicht | |
| Auch das beschauliche Traben-Trarbach an der Mittelmosel hat seine letzte | |
| Geburtsstation verloren, weil einer der beiden Gynäkologen kündigte und | |
| kein Nachfolger gefunden wurde. „Vor Ort bekommen wir jetzt zu spüren, wie | |
| sich der Ärztemangel auf dem Land auswirken kann“, sagt der | |
| [1][Bürgermeister Marcus Heintel im lokalen Wochenspiegel]. | |
| In den vergangenen 13 Jahren musste jede dritte Geburtsstation in | |
| Deutschland schließen. 670 Stationen gab es 2000, doch sieben Jahre später | |
| sind es nur noch 411. | |
| In der [2][taz. am wochenende vom 28./29. März] erzählt taz-Autorin Anne | |
| Fromm, wie die Brandenburger Stadt Bad Belzig, darum ringt, ihre | |
| Geburtsstaion zu erhalten. Vermutlich auch dort: vergeblich. Fromm trifft | |
| eine Schwangere, die jetzt nicht mehr weiß, wo ihr Kind auf die Welt kommen | |
| soll, eine Bürgermeisterin, die fürchtet, aus der Klinik werde ein | |
| Altenheim und Ärzte, die mit eigenen Plänen für die Geburtsstation kämpfen. | |
| Haben die Menschen auf dem Land nicht das gleiche Versorgungsrecht wie die | |
| Menschen in der Stadt? Und wenn ja: Wie viel darf das kosten? | |
| Im unterfränkischen Elisabeth-Krankenhaus in Bad Kissingen spricht man | |
| derzeit von einer Kreißsaalpause, da auch dort die Hebammen fehlten. Von | |
| ehemals sieben ist nur noch eine übrig. Und wenig Hoffnung gab auch die | |
| sinkende Geburtenrate, denn die sank jährlich von rund 300 auf 271 im Jahr | |
| 2014. Zusätzlich sollen die Kinderärzte laut der Regionalzeitung [3][Main | |
| Post die werdenden Eltern in größere Kliniken schicken]. | |
| Wenn jedoch die Geburtenrate in Deutschland jährlich sinkt, Hebammen und | |
| Ärzte auf dem Land fehlen, ist es dann nicht wirtschaftlich sinnvoll, | |
| Geburtsstationen zu schließen? Im Krankenhaus Rating Report 2013 hat das | |
| Rheinisch-Westfälische Insitut für Wirtschaftsforschung (RWI) festgestellt, | |
| dass Deutschland im internationalen Vergleich seine hohe Krankenhausdichte | |
| dazu nutzen sollte, sich auf größere, aber weniger Standorte zu | |
| konzentrieren. | |
| Geburten sind teuer. Für eine Klinik rechnet es sich meist erst, wenn sie | |
| mehr als 500 pro Jahr verzeichnet. In ländlichen Regionen können die | |
| Fallzahlen aber schnell auf 300 oder weniger sinken. | |
| ## „Geburtshilfe gehört zur Grundversorgung" | |
| Einige Wissenschaftler und Klinikchefs befürworten das Konzept. Für die | |
| medizinische Qualität wäre das laut RWI ein Gewinn und die Versorgung der | |
| Bevölkerung würde wohl auch nicht darunter leiden. Auch ein | |
| wissenschaftliches Projekt des RWI mit der Universitätsfrauenklinik Ulm | |
| zeigt, dass von 900 Geburtsstationen 260 schließen könnten, ohne das dabei | |
| ein Versorgungsproblem für Gebärende auftreten könnte. | |
| „Geburtshilfe gehört zur Grundversorgung und sollte flächendeckend | |
| gewährleistet sein“, sagt dagegen der SPD-Politiker und Gesundheitsökonom | |
| Karl Lauterbach in der Titelgeschichte der taz.am wochenende. | |
| Qualitätsprüfungen zeigten immer wieder, dass Geburten auch in kleinen | |
| Häusern größtenteils sicher seien. Er rät zum kreativen Umgang mit dem | |
| Ärztemangel. | |
| In einigen ländlichen Regionen wurden schon neue Konzepte entwickelt. Ärzte | |
| haben sich zu Gemeinschaftspraxen zusammengeschlossen, auch medizinische | |
| Versorgungszentren wurden gebaut. In solchen Zentren gibt es neben | |
| Arztpraxen auch Apotheken oder einen Pflegeheimdienst. Es sind Konzepte, | |
| die den demographischen Wandel auf dem Land entgegenwirken können. Manche | |
| Kliniken holen Ärzte gar mit dem Shuttle-Bus aus der Großstadt ins Umland. | |
| Was meinen Sie? Ist es sinnvoll, dass Kinder fast nur noch in Großstädten | |
| geboren werden ? Weil es sich dann rechnet? Oder fördert man so nur das | |
| Aussterben ganzer Regionen? | |
| Diskutieren Sie mit! | |
| Die Titelgeschichte „Geboren wird nimmer“ lesen Sie in der [4][taz.am | |
| wochenende vom 28./29. März 2015]. | |
| 27 Mar 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.wochenspiegellive.de/mosel/staedte-gemeinden/traben-trarbach/nac… | |
| [2] /Ausgabe-vom-28/29-Maerz-2015/!157081/ | |
| [3] http://www.mainpost.de/regional/bad-kissingen/Eli-in-Bad-Kissingen-schliess… | |
| [4] /Ausgabe-vom-28/29-Maerz-2015/!157081/ | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Simon | |
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