# taz.de -- Männliche Geburtshilfe: Er ist Hebamme | |
> In Berlin gibt es nur einen Mann, der Babys ins Leben begleitet. Nicht | |
> alle Frauen begeistert die Idee, sich von ihm helfen zu lassen. | |
Bild: Viele Frauen wollen keine männliche Hebamme. | |
Hell ist es im Geburtshaus am Treptower Park in Berlin. Die Sonne wirft | |
Flecken auf den Boden des Altbaus. Es riecht nach Lavendel und Kerzen. In | |
der Küche trinken zwei Frauen Tee und reden leise miteinander. An den | |
Wänden hängen Fotos von Babys, Grußkarten, Willkommenskarten, Blumen. Eine | |
schwangere Frau geht zur Tür, begleitet von Peter Wolf. Er verabschiedet | |
sich und streicht dabei über ihren Bauch. „Passt auf euch auf!“, sagt er. | |
Peter Wolf ist Hebamme. Die einzige „männlich definierte Hebamme in | |
Berlin“, wie er das sagt. | |
Wenn Frauen Kinder bekommen, stehen Männer meist nur daneben, halten | |
Händchen, sind verschwitzt, blass, aufgeregt. Wenn Wolf einer Frau bei der | |
Entbindung beisteht, bleibt er ruhig, gelassen und professionell. In den | |
vergangenen vier Jahren hat er fast achtzig Mal bei einer Geburt | |
mitgemacht. Wenn das Kind da ist und vor Freude bei allen Tränen fließen, | |
das sei der schönste Moment, sagt er. | |
Selbst wurde Wolf, der eigentlich Ethnologe ist, vor 34 Jahren geboren, in | |
einem kleinen Kreiskrankenhaus am Rhein. Zufällig ergab es sich im Laufe | |
seines Studiums und danach, dass mehrere seiner Bekannten Hebammen waren. | |
Er hat miterlebt, wie sie arbeiten, was ihre Rolle für werdende Eltern ist. | |
Seine Faszination wurde größer. Hebamme, das war mehr angewandtes Wissen | |
und weniger Theorie. | |
## Drei männliche Hebammen in Deutschland | |
Heute arbeitet er in seinem Traumberuf. Der Weg dahin war nicht einfach. In | |
Deutschland fand er keinen Ausbildungsplatz, er musste nach England dafür. | |
Unter 18.500 Mitgliedern ist Wolf einer der drei männlichen Hebammen im | |
Deutschen Hebammenverband. Von den 900 Mitgliedern aus Berlin ist er der | |
einzige Mann. | |
Eine Frauendomäne ist der Beruf, sagt Susanna Rinne-Wolf, Vorsitzende des | |
Berliner Verbands. Vielen jungen Männern sei gar nicht bewusst, dass sie | |
Hebamme werden können, was auch an den Rahmenbedingungen liege: | |
„Pflegerische soziale Berufe sind grundsätzlich nicht gut bezahlt und | |
Männer finden das unattraktiv.“ | |
Kinder kriegen und schlecht bezahlt werden ist also Frauensache? „Wäre es | |
von vornherein ein männlicher Beruf gewesen, wäre die Bezahlung nicht so | |
niedrig“, sagt Wolf. Für ihn ist das geringe Einkommen dennoch kein Grund, | |
die Arbeit nicht zu machen. Auch nicht die schwierige Lage für | |
freiberuflichen Hebammen, die sich kaum ihre Haftpflichtversicherung | |
leisten können, hält ihn ab. Von 2002 bis heute haben sich die | |
Versicherungsprämien verzehnfacht. Über 5.000 Euro pro Jahr müssen Hebammen | |
dafür bezahlen und ab dem 1. Juli erhöhen die Versicherer die Prämien noch | |
einmal um 20 Prozent. | |
„Von vier Geburten ist eine nur, um die Versicherung decken zu können“, | |
sagt Wolf. Dennoch fühlt er sich privilegiert. „Ich habe keine Familie zu | |
ernähren. Ich kann als Freiberufler so viel arbeiten, wie ich will.“ Viele | |
seiner Kolleginnen, die Kinder haben, kommen mit der Situation nicht klar. | |
Ab Juni 2016 läuft das Angebot des einzigen Versicherers aus. Ohne | |
Versicherung dürfen Hebammen nicht arbeiten. Peter Wolf möchte trotzdem | |
weiter daran glauben, dass die, die wirklich Hebamme werden wollen „nicht | |
vom Geld abgehalten werden, egal ob Mann oder Frau“. | |
## „Über mein Geschlecht denke ich nicht nach“ | |
Egal indes ist es nicht allen Hebammen, einen Mann als Kollegen zu haben. | |
„Viele mögen das nicht und dann wird die Atmosphäre im Kreißsaal kälter�… | |
sagt eine Leiterin des Geburtshauses, in dem Wolf arbeitet. „Als Mann kann | |
man dort häufiger gemobbt werden.“ | |
Als Wolf seinen Freunden erzählte, dass er Hebamme werden wollte, | |
reagierten sie extrem kritisch. „Das tat mir weh, aber zum Glück hat es | |
mich nicht demotiviert.“ Und bei der Ausbildung in England musste er seiner | |
Tutorin beweisen, dass er dieselben Ansprüche wie seine Kolleginnen hat, | |
wenn er eine Frau betreut. Als er fertig war und bereits als Hebamme | |
praktizierte, warf ihm eine Kollegin auf einer Konferenz vor, sich „in die | |
letzte Bastion der Frauen reinzudrängen“. Wolf sagt: „Ich habe dann | |
erklärt, dass ich mit einem feministischen Anspruch in den Beruf reingehe. | |
Ich will nicht irgendeine Art Geburt machen, sondern eine, bei der Frauen | |
alles selbst bestimmen können.“ | |
Das war nicht das einzige Mal, dass er sich rechtfertigen musste. „Wie das | |
so ist, in einem Frauenberuf zu arbeiten“, werde er immer wieder gefragt. | |
„Es sollte selbstverständlich sein, dass mein Geschlecht in meinem Beruf | |
keine Rolle spielt.“ Eine Frau habe ihm gesagt, „ich brauche dich hier | |
einfach in der Rolle der Hebamme und als solche bist du geschlechtsfrei“. | |
So sehe er sich auch. „Ich bin professionell dabei und über mein Geschlecht | |
denke ich in dem Moment nicht nach.“ | |
So selbstverständlich klingt es für viele Schwangere nicht. Katharina ist | |
froh, ihr erstes Kind im Februar mit Hilfe einer weiblichen Hebamme | |
bekommen zu haben. „Ich gehe auch lieber zu einer Frauenärztin, da es um | |
etwas Intimes geht“, sagt sie. „Männer kriegen keine Kinder und können | |
nicht aus eigener Erfahrung wissen, wie das ist. In diesem Prozess geht es | |
viel darum, wie es dir geht und wie sich das anfühlt. Das kann ein Mann | |
nicht nachvollziehen.“ | |
## Einfühlungsvermögen und Intuition | |
Peter Wolf versteht, dass Frauen während der Geburt verwundbar sind und | |
sich mit einer Frau wohler fühlen. Aber aus eigener Erfahrung zu sprechen, | |
findet er nicht passend. „Wenn die Hebammen sagen ‚bei mir war es so und | |
so‘ oder ‚da müssen wir alle mal durch‘, habe ich das Gefühl, dass sie … | |
Anspruch verwaschen.“ | |
Das Thema „Selbsterfahrung“ kommt bei der Stillphase auch häufig vor. Er | |
sieht sich dabei als Pendant einer kinderlosen weiblichen Hebamme. „Viele | |
Kolleginnen wollen oder können keine Kinder kriegen, und ich denke nicht, | |
dass sie deswegen schlechter in ihrem Beruf sind.“ | |
Eine gute Hebamme muss Einfühlungsvermögen, Intuition und guten Umgang mit | |
Menschen besitzen, sagt die Leiterin des Geburtshauses in ihrem Büro. | |
„Diese Qualitäten hat Wolf, und die Frauen, die bei ihm sind, sind | |
begeistert.“ Es klingelt. Am Telefon sagt die Leiterin, dass es auch Peter | |
als Hebamme gebe. Die Reaktionen sind verschieden, erklärt sie. „Es gibt | |
Frauen, die sagen direkt Ja, und andere, die überlegen erst.“ | |
Dennoch: Offenbar hat es sich herumgesprochen. Wolf erzählt, dass in | |
Tübingen ein Mann Hebamme wird. Und in Erfurt fängt ein Sechzehnjähriger, | |
Sohn einer Hebamme, der schon in seinen Praktika vier Geburten miterlebt | |
hat, eine Ausbildung an. Wie Wolf ist der junge Mann überzeugt, dass Kinder | |
zur Welt zu bringen sein Beruf ist. „Da ist eine Art Wandel“, sagt er. | |
27 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Luciana Ferrando | |
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