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# taz.de -- Geburt & Gerechtigkeit: Randale im Kreißsaal
> Bremer Amtsgericht verurteilt einen 25-Jährigen zu einer Geldstrafe, der
> sich Polizei widersetzt hat, die ihm die Geburt seiner Tochter
> vorenthalten wollte
Bild: Im Kreißsaal dürfen nur Babys schreien.
BREMEN taz | Die größte Strafe hat Mohamad J. schon hinter sich. Weil er im
Kreißsaal randalierte, durfte er im vergangenen Jahr nicht bei der Geburt
seiner Tochter dabei sein. Am Montag verurteilte ihn das Amtsgericht zu
einer Geldstrafe. 850 Euro muss der 25-Jährige dafür zahlen, dass er sich
der Polizei widersetzte, als diese ihn aus dem Krankenhaus bringen wollte.
Zudem beleidigte er sie unter anderem als „deutsche Scheißbullen“. In das
Urteil fließt eine Strafe wegen eines anderes Delikts ein.
Dass er sich nicht ganz korrekt verhalten hat, räumt J. vor Gericht ein.
„Ich war sauer, ich war hilflos, ich bereue das alles, aber man kann es
nicht rückgängig machen.“ Schuld waren aber trotzdem irgendwie eher die
anderen. Die Polizisten – und seine Schwiegermutter. Die wollte ihn am
Morgen des 9. Mai nicht mit ins Krankenhaus nehmen, als die Wehen bei ihrer
Tochter einsetzten. J., der zu dem Zeitpunkt, neun Uhr morgens, noch mit
Freunden „unterwegs“ war, schien ihr nicht die richtige Hilfe bei einer
Geburt zu sein. „Vier bis fünf Flaschen Wodka“ hatte er sich mit vier
Freunden geteilt. „Und ich hab noch was gezogen gehabt, Koks“, berichtet J.
vor Gericht. „Aber ich konnte noch laufen!“ Ob er sich denn noch an die
Nacht davor erinnere, will die Richterin von ihm wissen. „An Abschnitte.“
Im Taxi zur Klinik in Bremen Nord zündete er sich eine Zigarette an – was
die Schwiegermutter erzürnte. „Sie hat was gesagt, ich hab was gesagt“,
erklärt J. Die Situation eskalierte. „Ich wollte, dass meine
Schwiegermutter nach Hause fährt.“ Vor dem Krankenhaus, so rekonstruiert es
das Gericht, stritten die beiden weiter. Personen, die das Geschehen
beobachteten, riefen die Polizei.
Mit „Scheißbullen, was wollt ihr“, seien er und seine Kollegin begrüßt
worden, erzählt ein Polizist. Der Tatort hatte sich mittlerweile in den
Kreißsaal verlagert, wo J.s Lebensgefährtin versuchte, ihr zweites Kind zu
gebären. Auf Rat des Klinikpersonals habe man J. zunächst noch eine Chance
gegeben.
Doch weil auch die GeburtshelferInnen J.s Anwesenheit als störend
empfanden, habe er ihm gesagt, dass er jetzt gehen müsse, so der Polizist.
Eine Mitarbeiterin der Klinik habe diese Einschätzung bestätigt, sagte eine
Sprecherin des Gerichts. „Er ließ nicht mit sich reden und hat sich nicht
beruhigt.“
Also forderte der Polizist Verstärkung an – und die trug ihrerseits
offenbar nicht viel zur Deeskalation bei. „Eine Horde Polizisten“ sei
plötzlich auf ihn zugekommen, erzählt J. vor Gericht. Einer habe ihn zu
Fall gebracht, dann hätten sie ihn an Händen und Füßen gefesselt nach
draußen getragen. Erst am Abend sei er aus dem Gewahrsam entlassen worden.
Vorher hätten ihm die Polizisten mitgeteilt, dass er Vater eines gesunden
Mädchens geworden sei.
Der Einsatzleiter, der ebenfalls aussagte, begründet seine Entscheidung,
mit einer größeren Einheit anzurücken, damit, dass es sich um einen
besonders sensiblen Bereich gehandelt habe. Zudem hätten auch in den
Nebenzimmern Frauen „vor der Niederkunft“ gestanden. Noch ein Jahr später
kann sich der 57-jährige Beamte über den Vorfall aufregen und empört sich
darüber, dass J. sich nicht für sein Verhalten entschuldigt.
Ganz zum Schluss fragt die Richterin seinen Kollegen dann noch, ob er den
Eindruck hatte, J.s Freundin habe J. bei der Geburt dabeihaben wollen. „Sie
hat geweint und war überfordert“, sagt der Polizist. Wie es ihr ging und
was sie brauchte – das haben sie damals offenbar weder ihr Freund noch die
Polizisten gefragt.
14 Jun 2016
## AUTOREN
Eiken Bruhn
## TAGS
Geburt
Väter
Mütter
Geburt
Hebamme
Streitfrage
Gesundheit
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