# taz.de -- Hebammen und Politik: Wer haftet für das Risiko Geburt? | |
> Der Beruf der Hebamme ist gefährdet. Die Politik sucht nach Lösungen. Die | |
> wichtigste Frage ist, wer zahlt, wenn etwas schiefläuft. | |
Bild: In der Klinik oder zu Hause? Bis jetzt kann das noch jede Frau selbst ent… | |
Timo soll auf natürliche Art zur Welt kommen. Doch die Hebamme, die ihn im | |
Geburtshaus entbindet, macht viele Fehler. Am Ende wird er im Krankenhaus | |
per Kaiserschnitt geholt. 3980 Gramm, 54 Zentimeter, Herzschlag: 0, Atmung: | |
0, Reflexe: 0. Der Kinderarzt kämpft um sein Leben, nach fünf Minuten | |
endlich: erste schwache Herzschläge. | |
Heute ist Timo acht Jahre alt. Er kann seine Muskeln nicht kontrollieren. | |
Er kann nicht sitzen, nicht stehen, nicht laufen. Versicherungstechnisch | |
gesehen ist Timo ein „Personengroßschaden“. | |
Anne Fromm, Redakteurin im Ressort taz2/medien, hat Timos Familie | |
getroffen. In der [1][taz.am wochenende vom 13./14. Dezember] erzählt sie | |
ihre Geschichte und sucht Antworten auf die Fragen, die damit verbunden | |
sind. | |
Für Kinder wie Timo sind die Kosten für Schmerzensgeld, Therapie, Pflege | |
und hypothetischem Verdienstausfall heute so hoch wie nie zuvor. Nicht, | |
weil Hebammen immer mehr Fehler machen. Sondern weil die Lebenserwartung | |
für sie dank moderner Medizin immer höher wird. | |
## 6.274 Euro Haftpflichtprämie | |
Deshalb sind in den vergangenen Jahrzehnten die Versicherungsprämien der | |
freien Hebammen immens gestiegen. Zahlten sie 1981 noch 30,68 Euro im Jahr | |
für die Versicherung, sind es heute 5.092 Euro. Im kommenden Jahr könnte | |
die Haftpflichträmie dem [2][deutschen Hebammenverband] zufolge auf 6.274 | |
Euro steigen. | |
Immer wieder gingen Hebammen deshalb auf die Straße. Sie fürchteten, ihr | |
ganzer Berufsstand sei gefährdet, wenn sie sich diese Prämien nicht mehr | |
leisten können. Hunderttausende unterstützten eine Online-Petition des | |
Hebammenverbandes. Es scheint eine große Sympathie für die natürliche | |
Geburt zu geben, außerhalb von Kliniken. Das stellte auch die taz.am | |
wochenende fest, als Sie in dieser Woche etliche Zuschriften [3][zur | |
Streitfrage "Hausgeburt oder Krankenhaus?"] erhielt, teils mit flammenden | |
Plädoyers für die Hausgeburt von Müttern, die selbst zu Hause entbunden | |
haben. | |
## „Technik per se ablehnen ist irrational“ | |
Wie erklärt sich der Wunsch nach einer natürlichen Geburt in einer | |
Gesellschaft, die in der High-Tech-Medizin großgeworden ist? „Wenn die | |
Medizin immer technischer wird, werden die Menschen automatisch wieder | |
traditioneller“ sagt die Medizinethikerin Diana Aurenque. Einerseits sehnen | |
wir uns danach, natürlich behandelt zu werden, andererseits haben wir auch | |
das Bedürfnis nach größtmöglicher Kontrolle. | |
Das richtige Maß sei eben wichtig, betont ihr Kollege Giovanni Maio. | |
„Technik per se abzulehnen hat etwas Irrationales“, sagt er in der taz.am | |
wochenende. Aber die Hebamme sei weiterhin unersetzbar. „Die zentrale | |
Aufgabe der Hebamme besteht darin, sensibel auf die Schwangere zu hören, um | |
durch ihr Können und durch ihre Gegenwart der Schwangeren die Angst zu | |
nehmen.“ | |
## Wer haftet? | |
Unentbehrlich ist der Berufsstand der Hebamme also, doch stellt sich | |
weiterhin die Frage, wer das Risiko für außerklinische Geburten in Zukunft | |
tragen soll: die Hebamme, die gebärende Frau oder doch die gesamte | |
Gesellschaft? | |
Die Politik will nun eine Lösung finden. Der Gesundheitsminister will | |
kommende Woche einen Gesetzesentwurf im Kabinett diskutieren. Demnach | |
sollen Hebammen nur dann haften, wenn sie vorsätzlich oder grob fahrlässig | |
Fehler bei der Entbindung gemacht haben. Für Schäden wie bei Timo würden | |
die Krankenkassen aufkommen, die Gesellschaft also. | |
Ist das der richtige Weg? Was meinen Sie? Wenn Frauen weiterhin frei | |
entscheiden sollen, wie sie Kinder auf die Welt bringen, wer haftet dann | |
für das Risiko? Oder sollte eine außerklinische Geburt in Zukunft ein | |
„Luxus“ sein, den Eltern privat bezahlen müssen? | |
Diskutieren Sie mit! | |
Die Ganze Geschichte „Timo will leben. Dann soll er“ lesen Sie in der | |
[4][taz.am wochenende vom 13./14. Dezember 2014]. | |
12 Dec 2014 | |
## LINKS | |
[1] /!p4662/ | |
[2] http://www.hebammenverband.de/aktuell/pressemitteilungen/pressemitteilung-d… | |
[3] /Die-Streitfrage/!150968/ | |
[4] /!p4662/ | |
## AUTOREN | |
Franziska Grillmeier | |
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