# taz.de -- Medizinethiker über Hebammen: „Geburt braucht Raum“ | |
> Keine Hebamme kann eine Garantie für eine problemlose Geburt geben, sagt | |
> Giovanni Maio. Der Medizinethiker findet aber: Das müssen sie auch nicht. | |
Bild: Es braucht ein gesundes Maß an Kontrolle bei einer Geburt, sagt Giovanni… | |
taz: Herr Maio, es stellt sich zunehmend die Frage, wer in Zukunft das | |
Risiko bei außerklinischen Geburten tragen soll: die Hebamme, die gebärende | |
Frau oder doch die gesamte Gesellschaft. Was meinen Sie? | |
Giovanni Maio: Man muss unterscheiden zwischen Risiken, die man vorhersehen | |
und minimieren kann, und Risiken, die nicht absehbar sind. Wenn während der | |
Geburt das Kind einen Schaden erleidet, bedeutet das nicht automatisch, | |
dass jemand Schuld hat, denn selbst die größte Sorgfalt und Kompetenz | |
ergeben keine Garantie für ein gesundes Kind. Es ist daher einerseits | |
wichtig, im Vorfeld der Geburt eine gute Diagnostik zu betreiben, damit man | |
schwerwiegende Risiken bei einer Hausgeburt ausschließen kann. Aber | |
andererseits dürfen wir eine Schwangerschaft nicht pathologisieren. Wir | |
müssen es schaffen, einen unbefangenen Umgang mit dem Schwangersein zu | |
ermöglichen, denn Schwangersein und Geburt sind existenzielle Erfahrungen, | |
denen man – nicht zuletzt im Interesse des Kindes – Raum geben muss und die | |
man nicht als „gefährliche Sache“ von vornherein brandmarken sollte. Der | |
Schwangerschaft mit einem exzessiven Kontrollimperativ zu begegnen kann | |
jedenfalls nicht die Lösung sein. | |
Wenn wir das Leben nicht planen können und damit auch nicht die Geburt, | |
dann haftet am Ende keiner für die Risiken? | |
Keine Hebamme kann uns eine Garantie geben für eine problemlose Geburt. | |
Denn wir haben es hier mit Menschen zu tun. Das Wichtigste ist, dass ein | |
Vertrauensverhältnis, eine Beziehung besteht zwischen der Schwangeren und | |
der Hebamme, und die zentrale Aufgabe der Hebamme besteht gerade darin, | |
sensibel auf die Schwangere zu hören, um durch ihr Können und durch ihre | |
Gegenwart der Schwangeren die Angst zu nehmen. Gerade das Ausbleiben von | |
Angst ist wichtig für eine gute Geburt. | |
Aber wie sollen wir lernen, einfach anzunehmen, was kommt, wenn es scheint, | |
als hätte die Medizin für alles eine Lösung? | |
In medizinischen Hochglanzmagazinen wird uns suggeriert, dass die Medizin | |
alles restlos im Griff hat. Das stimmt aber nicht. Es ist wichtig, sich | |
nicht von einem Kontrollwahn beherrschen zu lassen. Wir müssen besonnen mit | |
den technischen Möglichkeiten umgehen und dürfen uns nicht von der Technik | |
versklaven lassen. | |
Wenn wir krank sind, schauen viele von uns zuerst nach alternativen | |
Heilmethoden. Gleichzeitig haben wir das Bedürfnis nach größtmöglicher | |
Kontrolle im Leben. Wie passt das zusammen? | |
Durch den rein technisierten Umgang mit dem Menschen wird der Kontrollwahn | |
gefördert, was letzten Endes Ausdruck eines mechanistischen Menschenbildes | |
ist. Daher ist es wichtig, den Menschen ganzheitlich zu sehen. Die | |
Schwangere braucht nicht nur Technik, sie braucht eine professionelle und | |
zugleich persönliche Begleitung. Es geht um ein gesundes Maß an Kontrolle, | |
ohne in einen Kontrollzwang zu schlittern. | |
Wie sieht ein solch maßvoller Umgang aus? Wie können Natur und Technik in | |
Zukunft ineinandergreifen? | |
Die Technik per se abzulehnen hat etwas Irrationales. Es ist wichtig, | |
Technik anzuwenden, aber man darf nicht in Schematismen und Automatismen | |
hineinschlittern. Es geht immer darum, einen Mittelweg zu finden. Die | |
sogenannte Schulmedizin muss sich für die komplementärmedizinischen Ansätze | |
noch weiter öffnen und ihnen je nach Wunsch der Schwangeren mehr Raum | |
bieten. Es gilt, in der Zukunft den stellenweise schon jahrhundertealten | |
Traditionen eine neue Bedeutung zu geben und sie in die Schulmedizin zu | |
integrieren, statt sie einfach abzutun. Vor allem die Selbstheilungskräfte, | |
die inneren Ressourcen, die Heilkräfte, die jeder Mensch in sich schlummern | |
hat, dürfen nicht außer Acht gelassen werden. | |
Kann man jemandem ab einem gewissen Punkt eine medizinische Behandlung | |
aufzwingen? | |
Nein. Jeder Mensch muss selbst wissen, was er verantworten kann. Die | |
Medizin muss absoluten Respekt vor dem Menschen haben. Automatisierte | |
Untersuchungen darf es nicht geben, sondern sie bedürfen der Zustimmung des | |
Patienten. Auch im Fall einer Schwangerschaft. Die Frau muss respektiert | |
werden als autonomes Wesen mit eigenen Werten, die man nicht übergehen | |
darf, auch nicht durch einen subtilen gesellschaftlichen Zwang, der in | |
unserer ökonomistischen Gesellschaft immer stärker wird. | |
12 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Franziska Grillmeier | |
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