| # taz.de -- Gebühr für überlastete Notaufnahmen: Das System ist und bleibt m… | |
| > Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung hat eine Strafgebühr für | |
| > manche Patienten in Notaufnahmen gefordert. Er verkennt die Realität. | |
| Bild: Nur noch für zahlende Patient*innen? Eine Notaufnahme in Düsseldorf | |
| Am Wochenende hat der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung | |
| gefordert, in Notaufnahmen eine Strafgebühr einzuführen: „Wenn sich | |
| bestimmte Patienten dem Angebot der niedergelassenen Ärzte dauerhaft | |
| entziehen und das System nach Gusto nutzen, wie es ihnen gerade einfällt, | |
| muss das finanzielle Sanktionen nach sich ziehen“, sagte Andreas Gassen dem | |
| [1][Redaktionsnetzwerk Deutschland]. „Ziel muss sein, dass wir nur noch | |
| diejenigen in den Notaufnahmen haben, die später auch stationär behandelt | |
| werden müssen.“ | |
| Sich dem Angebot der Ärzte entziehen, das System nach Gusto nutzen. Das | |
| klingt fast schon kriminell. Nur: Welches Angebot? Fakt ist, dass eine | |
| Struktur abseits der Notaufnahme in der Nacht und am Wochenende kaum | |
| existiert. Aus Bequemlichkeit sieben Stunden in der Notaufnahme abhängen? | |
| Das machen wohl die wenigsten. | |
| Ich war schon öfter in der Notaufnahme, Freunde von mir auch. Wohin soll | |
| man auch gehen, wenn ein Hund die Freundin an einem Samstagabend in den | |
| Kopf beißt, sie blutet und ohnmächtig wird? Oder wenn man an einem Sonntag | |
| nicht mehr laufen kann – wegen einer Nierenbeckenentzündung, aus der | |
| schnell eine Sepsis wird? Oder wenn man sich in der Küche am Abend so | |
| heftig schneidet, dass das Blut aus dem Arm spritzt? | |
| Waren das Notfälle? Ich weiß es nicht. Sicher ist, niemand von uns wurde in | |
| den genannten Fällen stationär aufgenommen. Wir wurden verbunden, haben | |
| Medikamente bekommen und haben uns danach zuhause in unser eigenes Bett | |
| gelegt. Ginge es nach Herrn Gassen, hätten wir dafür womöglich eine Strafe | |
| zahlen müssen. | |
| Aber wäre es wirklich sinnvoll gewesen, mit der Behandlung bis zum nächsten | |
| Tag abzuwarten? Um dann mit einer entzündeten Wunde oder einer | |
| Blutvergiftung beim Hausarzt zu sitzen? | |
| Klar ist: Auch Menschen mit Lappalien suchen die Notaufnahme auf. Man kann | |
| diese Berichte von merkwürdigen Knubbeln und einem unangenehmen Ziehen in | |
| der Brust immer wieder lesen, wenn Ärztinnen oder Krankenpfleger von ihrem | |
| Arbeitsalltag berichten. Aber wo verläuft die Grenze? Sollte man sich eine | |
| stark blutende Wunde im Zweifel selbst verbinden und eine Nacht drüber | |
| schlafen? | |
| ## Das Gesundheitssystem ist marode | |
| Viele nennen dann den ärztlichen Bereitschaftsdienst. Unter der Nummer | |
| 116117 ist er rund um die Uhr erreichbar und macht auch Hausbesuche. Ich | |
| habe diese Nummer einmal gewählt. Und zwar, als mein Freund mit über 40 | |
| Grad Fieber im Bett lag und kaum ansprechbar war. Ich wollte einen | |
| ärztlichen Rat, meinetwegen auch am Telefon. Aber den bekam ich nicht. | |
| Der Bereitschaftsdienst kam nicht, obwohl ich ihn schon am Morgen | |
| kontaktiert hatte. Er kam mittags nicht und auch nicht nachmittags. Gegen | |
| 18 Uhr, kurz bevor auch die letzten Hausarztpraxen schlossen, hatte ich die | |
| Hoffnung aufgegeben, schleppte meinen Freund die Treppe hinunter und | |
| steckte ihn in ein Taxi. In der Praxis musste er mit dreißig anderen | |
| Menschen warten, fix und fertig, drei Stunden lang, bis ihn ein übermüdeter | |
| junger Arzt untersuchte, der eigentlich längst Feierabend haben sollte. | |
| Das Gesundheitssystem ist marode – und eine Gebühr für Notaufnahmen würde | |
| daran nichts ändern. Sie würde nur eine Tendenz verstärken, die ohnehin | |
| schon besteht: Gut versorgt werden diejenigen, die zahlen. | |
| Wirklich helfen würde eine Struktur, wie sie manche Kliniken schon | |
| erproben: Notdienstpraxen, die rund um die Uhr geöffnet haben. Strategien | |
| gegen den Ärztemangel, wie ein leichterer Zugang zum Medizinstudium. Und, | |
| auch wenn das wie eine Binse klingt: Ein Gesundheitssystem, das nicht die | |
| Bilanzen, sondern die Menschen im Blick hat. | |
| 17 Jul 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Steffi Unsleber | |
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