| # taz.de -- Ärztemangel in Berlin: Kinder, Kinder, wo ist denn euer Arzt? | |
| > Obwohl es auf dem Papier genug Kinderärzte in Berlin gibt, finden Eltern | |
| > in manchen Bezirken kaum noch eine Praxis. Wie kann das sein? | |
| Bild: Muss untersucht werden: Baby beim Kinderarzt | |
| Julia L. aus Adlershof ist gerade zum ersten Mal Mutter geworden – am 10. | |
| Dezember kam ihr Kind zur Welt. Da auch Julia L. von den manchmal etwas | |
| längeren Wartezeiten gehört hatte, auf die man sich in Berlin einstellen | |
| muss, fing sie schon im Mai an, in ihrem Bezirk Treptow-Köpenick nach einem | |
| Kinderarzt zu suchen. | |
| Dass ihre Suche bis dato erfolglos bleiben würde, damit hatte die gebürtige | |
| Bonnerin aber dann doch nicht gerechnet: „Rund 30 Ärzte habe ich angerufen | |
| – entweder hob keiner ab, oder die Praxis nahm keinen neuen Patienten auf, | |
| oder man konnte nicht garantieren, dass ich schnell nach der Geburt einen | |
| Termin bekomme“, zeigt sich die 32-Jährige ratlos. Die Hoffnung auf einen | |
| Arzt in ihrer Nähe hat sie ohnehin schon länger aufgegeben. „Ich habe die | |
| Suche auf die Nachbarbezirke ausgedehnt, wobei ich dann oftmals zu hören | |
| bekam, ich solle mich an die Ärzte in meinem eigenen Bezirk wenden“, sagt | |
| Julia L. resigniert. | |
| Einer solchen Empfehlung steht freilich entgegen, dass sich natürlich jeder | |
| seine Ärzte frei aussuchen kann – unabhängig vom Bezirk. | |
| Allerdings müsse ein Arzt keine Patienten mehr annehmen, wenn er sie nicht | |
| versorgen könne, wie Dörthe Arnold, Pressesprecherin der Kassenärztlichen | |
| Vereinigung (KV) Berlin, erläutert. | |
| Und da ist Julia L. bei Weitem kein Einzelfall. Die Patientenbeauftragte | |
| des Landes Berlin, Karin Stötzner, sagt auf taz-Nachfrage: „In meinem Büro | |
| liegen mir Anfragen von Frauen und jungen Müttern vor, die keinen | |
| Kinderarzt oder Kinderärztin finden.“ Das sei etwa aus Mitte, Steglitz oder | |
| Neukölln der Fall. Zwar führt Stötzner weiter aus, dass solche Anfragen | |
| nicht repräsentativ seien, aber: „Man kann sie als Indikator für | |
| Versorgungsprobleme in ganz Berlin verstehen.“ | |
| ## Ein Versorgungsgrad von 128,7 Prozent | |
| Schaut man sich die reinen Versorgungszahlen an, dürfte es solche Probleme | |
| eigentlich nicht geben. In Berlin gibt es 308 Kinder- und Jugendarztsitze – | |
| das entspricht einem Versorgungsgrad von knapp 128,7 Prozent. Liegt die | |
| Zahl bei über 110 Prozent, spricht man von einer Überversorgung. Und auch | |
| in Treptow-Köpenick, dem Bezirk von Julia L., liegt der Versorgungsgrad mit | |
| Kinderärzten bei 112,4 Prozent. | |
| Dass zwischen den Fakten und der Realität aber eine Diskrepanz liegt, sehen | |
| auch die Verantwortlichen. „Trotz der objektiv vorhandenen ausreichenden | |
| Versorgung in Berlin scheinen viele Kinder- und Jugendärzte sowie Teile der | |
| Bevölkerung die reale Situation anders zu erleben“, wie Dörthe Arnold von | |
| der KV bestätigt. | |
| Woran aber kann es liegen, dass es zu solchen Engpässen kommt? Christoph | |
| Lang, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und | |
| Gleichstellung, sieht eine Ursache in den vielen neuen Aufgaben, die für | |
| Kinderärzte hinzugekommen sind: „Die grundsätzliche Berechnungsgrundlage | |
| der Ärzteversorgung, wie sie im Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegt | |
| wurde, ist aus unserer Sicht veraltet, weil mittlerweile viele Aufgaben zum | |
| Beispiel für Kinderärzte hinzugekommen sind.“ | |
| Diese Mehrbelastung sieht auch KV-Sprecherin Arnold. An zusätzlichen | |
| Aufgaben hinzugekommen in den letzten Jahren seien etwa die verpflichtende | |
| Untersuchung vor dem Kita-Start, Bescheinigungen für das Nichtvorliegen von | |
| ansteckenden Erkrankungen, wie zum Beispiel Kopflausbefall, und ein | |
| größeres Spektrum an zusätzlichen Vorsorgeuntersuchungen. | |
| ## Bezirke unterschiedlich gut versorgt | |
| Ein weiteres Problem ist, dass es im Bezirksvergleich zu ungleichen | |
| Verteilungen von Ärzten kommen könne, sagt Arnold. Um diesem Missstand | |
| entgegenzuwirken, haben die zuständige Senatsverwaltung, die | |
| Kassenärztliche Vereinigung und weitere Versicherer 2013 einen „Letter of | |
| Intent“ vereinbart. Ein Ziel des Abkommens, heißt es in schönstem | |
| Beamtendeutsch, sei, eine „Versorgungssteuerung“ zu unterstützen, „die | |
| Praxisverlegungen in bislang unterdurchschnittlich gut versorgte Bezirke | |
| erleichtert, während sie Praxisverlegungen in ohnehin schon | |
| überdurchschnittlich gut versorgte Bezirke verhindert“. | |
| Das bedeutet nichts anderes, als dass Ärzte für Praxisverlegungen oder die | |
| Eröffnung von Zweigstellen höchst wahrscheinlich keine Zulassung bekommen, | |
| wenn sie zum Beispiel vom schlechter versorgten Reinickendorf | |
| (Versorgungsgrad: 96 Prozent) ins besser versorgte | |
| Charlottenburg-Wilmersdorf (172,7 Prozent) wandern möchten – umgekehrt | |
| sollte das aber kein Problem sein. | |
| Ob es schon Erfolge gab, wird gerade untersucht. „Die Arbeitsgruppe ‚letter | |
| of intent‘ befindet sich aktuell in einer Bestandsaufnahme“, erklärt | |
| KV-Sprecherin Arnold. | |
| Julia L. hat auch nach der Geburt ihres Kindes keine Ärztin gefunden. Nach | |
| Medienberichten über den Fall bot zwar eine Kinderärztin an, sie | |
| aufzunehmen – allerdings hat diese ihre Praxis in Kaulsdorf, mit den | |
| öffentlichen Verkehrsmitteln rund eine Stunde von Adlershof entfernt. Für | |
| Julia L. und ihr Baby keine befriedigende Situation im Berliner Winter. | |
| 18 Dec 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Sophie-Isabel Gunderlach | |
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