# taz.de -- Petition der Woche: Kinder, besser nicht krank werden | |
> Im Landkreis Kleve brauchen Kinder gute Abwehrkräfte. Denn es gibt dort | |
> zu wenige Kinderärzte. Engagierte Mütter wollen das nun ändern. | |
Bild: Was ist, wenn das Kind zum Arzt muss, aber kaum einer Zeit hat? | |
Das Kind ist krank, es braucht einen Arzt, doch die Eltern werden von jeder | |
Praxis an die nächste verwiesen. In Kleve, einem Landkreis an der Grenze zu | |
den Niederlanden in Nordrhein-Westfalen, ist das keine Seltenheit. Es drohe | |
ein Versorgungsnotstand, urteilen betroffene Mütter. In [1][ihrer | |
Online-Petition] heißt es: „Kinderärzte auf dem Land sterben aus und das | |
muss gestoppt werden.“ | |
Gestartet wurde die Petition von 14 Müttern, die sich schon seit mehr als | |
zwei Jahren mit einer Elterninitiative für mehr Kinderärzte in ihrer Region | |
stark machen. Eine von Ihnen ist Nicole Tenbrink. Sie weiß von dramatischen | |
Fällen: „Zwei Mütter haben über ein ganzes Jahr keinen Kinderarzt für ihre | |
schwerkranken Kinder gefunden.“ Online tauschen sich die Eltern über die | |
Situation in den Arztpraxen aus. „Aufgenommen werden oft nur Neugeborene. | |
Andere erhalten vielleicht mal einen Termin, danach müssen sie sich aber | |
eine neue Praxis suchen“, sagt Tenbrink. | |
Bekräftigt wird die Kritik durch eine „Evaluation der Bedarfsplanung“ der | |
Elterninitiative. Darin wurden 20 Kinderarztpraxen im Kreis Kleve nach | |
einem Termin gefragt, bei 14 war die Antwort: Aufnahmestopp, bitte | |
versuchen sie es woanders. Lediglich vier Praxen ermöglichten einen Termin | |
binnen sieben Tagen. Zum Vergleich wurden auch 21 Kinderärzte in Düsseldorf | |
angerufen. Elf von ihnen vereinbarten einen Termin in den nächsten sieben | |
Tagen, ein Aufnahmestopp wurde bei keiner Praxis festgestellt. | |
Das Paradoxe: Aus Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung und der | |
Krankenkassen sind sowohl Kleve als auch Düsseldorf mit Kinderärzten | |
überversorgt. Der Versorgungsstand wird mit jeweils gut 120 % beziffert. | |
Die Prozentzahl ergibt sich aus einem Vergleich der tatsächlichen | |
Ärzteversorgung mit dem gewünschten Versorgungsstand. Sowohl in Kleve als | |
auch in Düsseldorf soll die Versorgung mit Kinderärzten also sogar noch gut | |
20 % besser sein als erwünscht. Die Realität in den Arztpraxen zeichnet | |
aberein deutlich anderes Bild. Wie kann es dazu kommen? | |
Entscheidend sind sogenannte Verhältniszahlen. Diese bestimmen die | |
gewünschte Relation von Ärzten und Patienten in einer Region. Vereinfacht | |
gibt diese Zahl an, um wie viele Patienten aus seiner Region sich ein Arzt | |
kümmern soll. Für Kinderärzte in Düsseldorf liegt die Verhältniszahl bei | |
2.398, für den Kreis Kleve aber bei 3.857, also gut 60 % höher. So kann es | |
dann dazu kommen, dass ein unterschiedliches Verhältnis von Ärzten und | |
Patienten in zwei Regionen trotzdem mit dem gleichen Versorgungsstand | |
bewertet wird. Denn die Soll-Werte sind unterschiedlich. | |
## Diskriminierung der Provinz | |
Doch wer bestimmt, wie das Verhältnis von Patienten und Ärzten sein soll, | |
woher kommen die Verhältniszahlen? Verantwortlich dafür ist der Gemeinsame | |
Bundesausschuss (G-BA), das höchste Gremium der Selbstverwaltung im | |
Deutschen Gesundheitswesen. Der G-BA hat die Regionen in Deutschland in | |
fünf Kategorien unterteilt. Typ 1 steht für eine Großstadt und hat eine | |
niedrige Verhältniszahl, bei einer ländlichen Region – Typ 5 – ist sie | |
hoch. Hier müssen sich Ärzte um viele Patienten aus ihrer Region kümmern. | |
Die Logik des G-BA: In Großstädten versorgen Ärzte auch Patienten aus dem | |
Umland, auf dem Lande behandeln Ärzte hingegen nur die Menschen aus ihrer | |
eigenen Region. So werden die stark variierenden Verhältniszahlen | |
begründet. Sie sind der Ausgangspunkt für die regionale Bedarfsplanung und | |
diese entscheidet darüber, ob überhaupt neue Arztpraxen eröffnet werden | |
dürfen. In Kleve liegt der Versorgungsstand bei gut 120 %, erst ab der | |
Marke von 110 % dürfen neue Praxen entstehen. | |
Für Nicole Tenbrink und ihre Mitstreiterinnen gibt es bereits Grund zur | |
Hoffnung, denn der G-BA will die Verhältniszahlen zum Januar 2019 | |
tatsächlich aktualisieren. Es sei ein Gutachten in Auftrag gegeben worden, | |
man wolle dem Ergebnis aber nicht vorgreifen, erklärt Josef Hecken, | |
Vorsitzender des Gremiums. An der Unterteilung der Republik in fünf | |
Kategorien wird aber wohl nicht gerüttelt. Die Diskriminierung der Provinz | |
wird somit fortgeschrieben, die Kritik der engagierten Mütter aus Kleve | |
bleibt aktuell. | |
24 Sep 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.openpetition.de/petition/online/aerztemangel-nicht-mit-uns-wir-… | |
## AUTOREN | |
Björn Struß | |
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