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# taz.de -- Debatte Kopftuchzwang für Mädchen: Ein Verbot verschleiert nur Pr…
> Wer muslimischen Mädchen helfen will, die in einer toxischen Umgebung
> aufwachsen, wird mit einem Kopftuchverbot nichts bewirken.
Bild: Über das Kopftuch sollten Musliminnen selbst entscheiden können
Das Kopftuch ist mittlerweile ein so präsentes Thema, dass es sogar mir,
die ich selbst eins trage, auf die Nerven geht. Eigentlich möchte ich weder
darüber lesen noch schreiben noch diskutieren. Aber gerade jetzt, wo wir
uns die täglichen Themen immer mehr vom rechten Rand der Gesellschaft
vorschreiben lassen, lässt es sich nicht vermeiden. Denn wenn man den
Debatten glaubt, hat das Kopftuch jetzt auch noch unsere Kinder erreicht.
Und damit scheint die Grenze wohl endgültig überschritten.
Ich habe das Kopftuch mit 13 Jahren freiwillig aufgesetzt, trage es heute
noch. Im Rückblick finde ich, dass es damals zu früh war. Das Kopftuch hat
an Kindern nichts zu suchen, und auch mit 13 Jahren war ich noch ein Kind.
Mit 14 ebenso, mit 15, mit 16 auch – aber das ist ein anderes Thema. Heute
habe ich eine vierjährige Tochter. Sollte sie sich jemals für das Kopftuch
entscheiden, werde ich ihr nicht im Weg stehen – aber ich werde es ihr mit
aller Strenge verbieten, solange sie noch ein viel zu junges Mädchen ist.
Für eine erwachsene Frau ist das Kopftuch eine Entscheidung, die wohl
durchdacht sein muss, ihr ganzes Leben beeinflusst. Für Kinder bedeutet ein
Kopftuch Einschränkungen im Spiel, Spaß und Sport. Sie dürfen diese
Verantwortung nicht aufgebürdet bekommen. Ein Kind kann nicht abschätzen,
was das Kopftuch bedeutet. Im Islam ist das Kopftuch für Kinder deshalb
auch nicht vorgesehen, warum sollten wir Muslime es also einführen?
Fundamentalisten, die normalerweise Veränderungen im Glauben immer strikt
als „Sünde“ ablehnen, haben aber mit einer solchen Neuerung oft gar kein
Problem. Wenn man sie auf dieses Paradox aufmerksam macht, suchen sie nach
Ausreden. In islamischen Ländern laufen gerade die jungen Mädchen
farbenfroh und – sehr genderkonform – in glitzernden, bunten Kleidchen und
Krönchen rum –, weil sie Kinder sein dürfen. Trotzdem gibt es immer wieder
Erwachsene, die „päpstlicher als der Papst“ sein wollen und ihren Kindern
damit nur schaden.
## Weil wir uns der AfD anbiedern
Über all das muss man reden, wenn man über den Schutz von Kindern aus
muslimischen Familien spricht. Nur: Das tun wir überhaupt nicht. Wir
diskutieren nicht über Kinder. Wir diskutieren über Gesetzesentwürfe und
Verbote, die entweder nur eine Religion zur Zielscheibe haben oder aber den
Umgang des Staates mit allen Religionen dauerhaft verändern werden.
Und warum tun wir das? Weil wir uns einer Partei anbiedern, die natürlich
auch, wenn sie das Kopftuchverbot für Kinder durchgesetzt sieht, immer noch
nicht zufrieden sein wird. Eine Partei, die vor Kurzem eine Kleine Anfrage
im Bundestag stellte, um zu insinuieren, dass insbesondere inzestuöse
Muslime für die sozialen Ausgaben im Bereich Behindertenfürsorge
verantwortlich wären.
Auch wenn es nicht viele sind, selbst ein einziges unters Tuch gezwungene
Mädchen ist eines zu viel. Nur: Wer muslimischen Mädchen helfen will, die
in einer solch toxischen Umgebung aufwachsen, in der ihre Wünsche nicht
zählen und in der die Angst vor der Hölle allgegenwärtig ist, der wird mit
einem Kopftuchverbot nichts bewirken.
Ein Kopftuchverbot ist bestenfalls eine kosmetische Lösung,
schlimmstenfalls bereitet es dem Staat den Weg, noch mehr in die
Kindererziehung einzugreifen. Persönlich finde ich staatliche Kontrolle in
Maßen völlig in Ordnung, aber gerade diejenigen, die am lautesten nach
einem Kopftuchverbot für Kinder schreien, würden aus allen Wolken fallen,
wenn der Staat plötzlich die gleiche Entscheidungsgewalt über ihre eigenen
Kinder bekäme.
Beim Gendermainstreaming oder der Sexualerziehung in Schulen sieht man ja
bereits, wie sehr einige Menschen auf die Barrikaden gehen. Was, wenn die
Eingriffsmöglichkeiten des Staates noch weitreichender wären?
Gesetzesänderungen sind dauerhaft und öffnen Tür und Tor für ganz neue,
vorher völlig unbedachte Möglichkeiten. Was anfangs nur das Leben „der
Fremden“ einschränken soll, könnte irgendwann auch Auswirkungen auf einen
selbst haben.
## Beispiel Österreich
So macht das Burkaverbot in Österreich bereits das Tragen eines Schals
schwer, sobald dieser im Winter auch über den Mund gezogen wird. Kann ich
irgendwann meinem Kind keine Schlupfmütze mehr aufsetzen, weil das zu sehr
nach Kopftuch aussieht? Eine Gesetzesänderung sollte wirklich die letzte
Maßnahme sein, nicht die erste.
Allgemein gilt: Eltern beeinflussen ihre Kinder – immer. Anders geht es
nicht, und es ist auch nichts Schlimmes daran, nennt sich im besten Fall
„Erziehung“. Wichtig ist nur, dass wir ein Auge auf solche Haushalte haben,
in denen die Beeinflussung weit über ein gesundes Maß hinausgeht, in denen
mit Hass, Intoleranz und Angst gearbeitet wird. In denen Kinder nicht nur
Kopftuchzwang, sondern auch Zwangsheiraten und Ehrenmorde zu befürchten
haben. Durch ein Kopftuchverbot für kleine Kinder lösen wir die Probleme
dieser Kinder nicht, wir – so paradox das klingt – verschleiern sie
lediglich.
Die meisten Eltern lieben ihre Kinder und wollen nur das Beste für sie –
das müssen wir sogar den ach so bösen Muslimen attestieren. Meine
konservativen Eltern, die sehr stolz auf mich waren, weil ich das Kopftuch
bereits so früh und vermeintlich durchdacht aufsetzte, waren es, die mir
das Kopftuch drei Jahre zuvor ausredeten, als ich den ersten Versuch
startete. Sie sagten mir damals, dass ich noch ein Kind sei und, auch wenn
ich mich schon sehr groß und erwachsen fühle, die Entscheidung noch nicht
treffen dürfe. Selbst konservative Eltern sind in den meisten Fällen
einfühlsam und weitsichtig. Greifen wir doch nur dann ein, wenn Eltern
beweisen, dass sie es eindeutig nicht sind.
Meine Tochter wird übrigens kein Kopftuch tragen. Und das wird hoffentlich
kein Staat für sie entscheiden, sondern erst einmal meine elterliche
Beeinflussung – und später sie selbst, ganz allein, so hoffe ich.
Vorschreiben kann ich es ihr natürlich irgendwann nicht mehr.
18 Apr 2018
## AUTOREN
Jasamin Ulfat
## TAGS
Kopftuch
Muslime
Kinder
Schwerpunkt Europawahl
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Kopftuchverbot
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