# taz.de -- Protest gegen fehlende Kitaplätze: Suche ErzieherIn, biete Burn-out | |
> Trotz Rechtsanspruch warten Eltern oft vergeblich auf einen | |
> Betreuungsplatz für ihr Kind. Am Samstag gehen deshalb Berliner Eltern | |
> auf die Straße. | |
Bild: Ist da noch Platz? In der Kinderbetreuung fehlt es an allen Enden an Kapa… | |
BERLIN taz | Tamina Fabienne Baugatz ist wenige Wochen alt, schon steht ihr | |
Name auf Dutzenden Wartelisten. Am liebsten hätten ihre Eltern, Raik und | |
Katja, ihre Tochter schon vor der Geburt für einen Kitaplatz angemeldet. | |
Denn die Betreuung entscheidet über die Zukunft der Familie. Raik Baugatz | |
arbeitet im Schichtdienst bei der Bundeswehr, seine Frau geht ab November | |
wieder arbeiten. „Wir brauchen das Geld“, sagt Raik Baugatz. „Ich könnte | |
heulen, wenn ich daran denke, was für uns auf dem Spiel steht. Wir müssen | |
endlich wissen, wie es weitergeht.“ | |
Mehr als dreißig Einrichtungen in Berlin-Treptow-Köpenick haben die Eltern | |
besucht. Vergeblich. Fast täglich stellen sie sich in Einrichtungen vor. | |
Füllen Bewerbungsbögen aus. Und treffen auf Eltern, die so verzweifelt | |
sind, dass sie zum Schnuppertag einen Kuchen mitbringen. | |
Wie Raik und Katja Baugatz geht es vielen Familien in Deutschland. Seit dem | |
1. August 2013 haben sie einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. | |
Theoretisch. Er gilt für alle Kinder ab dem ersten Geburtstag und kann auch | |
schon vorher greifen, wenn die Eltern arbeiten oder eine Beschäftigung | |
suchen. Seither schaffen Städte und Kommunen im Eilverfahren | |
Betreuungsplätze, stellen Kita-Container auf oder errichten | |
Schnellbau-Kitas. Doch das hilft wenig, wenn das Personal fehlt. Tausende | |
Plätze bleiben unbesetzt. Darauf hat Ende Februar auch das | |
Verwaltungsgericht Berlin reagiert und entschieden, dass Eltern den | |
gesetzlichen Anspruch nicht in einem gerichtlichen Eilverfahren erzwingen | |
können, wenn den Kitas die ErzieherInnen fehlen. | |
In ganz Deutschland mangelt es laut Bertelsmann-Stiftung bereits an über | |
100.000 Vollzeitkräften. Das sagt auch Doro Moritz, Landesvorsitzende der | |
GEW Baden-Württemberg. „In fast allen Regionen des Landes besteht ein | |
Fachkräftemangel – auch bei uns in Stuttgart. Vor zwei Jahren fehlten uns | |
noch etwa 200 ErzieherInnen, heute gehe ich von doppelt so vielen | |
unbesetzten Stellen aus.“ Der Paritätische Wohlfahrtsverband schätzt, dass | |
auch in Berlin bis zum Sommer etwa 1.500 zusätzliche ErzieherInnen | |
gebraucht werden. Die Folge: verkürzte Öffnungszeiten in den Kitas, | |
verzweifelte Eltern, ausgebrannte Fachkräfte. | |
## Zwei Bewerbungen auf 18 freie Stellen | |
Wie prekär die Situation ist, weiß Sabine Derwenskus-Böhm. Sie ist Leiterin | |
des Bereiches „Kinder und Jugend“ beim AWO-Kreisverband Berlin-Mitte. | |
Notlösungen sind Alltag geworden, sagt die Bereichsleiterin: „Wir behelfen | |
uns mit Leasingkräften von Zeitarbeitsfirmen, vergrößern kurzfristig die | |
Gruppen oder nehmen einfach keine Kinder mehr auf.“ 18 Stellen sind in | |
ihren Kitas seit Monaten offen, zwei Bewerbungen hat die Bereichsleiterin | |
erhalten. Der Nachwuchs muss erst ausgebildet werden. | |
Bundesweit entstehen Fortbildungsprogramme für Quereinsteiger, doch diese | |
können keine Fachkräfte ersetzen. „Auszubildende und Quereinsteiger müssen | |
eingearbeitet werden. Sie brauchen Betreuung und sind nicht dafür da, die | |
Lücken zu füllen“, sagt Kita-Leiterin Derwenskus-Böhm. Die Berliner | |
Senatsverwaltung hat die Quote für Quereinsteiger, die in einer Kita | |
arbeiten, im vergangenen Jahr erhöht. Jede dritte Fachkraft darf durch | |
einen Quereinsteiger ersetzt werden, zuvor war es jede vierte. Doch | |
Kompromisse sind keine Dauerlösung, findet auch Doro Moritz: „Mit der Zahl | |
der Quereinsteiger erhöht sich schließlich auch die Arbeitsbelastung für | |
die Beschäftigten.“ Sie geht davon aus, dass sich die Situation durch den | |
geplanten Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz in der Grundschule weiter | |
verschlechtern wird. | |
Der Forschungsverbund Deutsches Jugendinstitut/TU Dortmund prognostiziert | |
in einer Studie, dass bis 2025 etwa 300.000 von insgesamt 583.000 | |
benötigten Kita-Fachkräften fehlen werden. Die Statistik rechnet | |
Nachwuchskräfte in Ausbildung ein und berücksichtigt nicht erfüllte | |
Elternwünsche, das Fachkraft-Kind-Verhältnis, ErzieherInnen, die in Rente | |
gehen, Zuwanderung und Geburtenanstieg. „Der Rechtsanspruch auf einen | |
Kitaplatz hat deutschlandweit zu einem massiven Ausbau geführt, für den | |
jetzt aber die Fachkräfte fehlen“, sagt Mario Schwandt von der GEW Bayern. | |
Jahrelang habe die Politik versäumt, das Berufsfeld attraktiver zu machen | |
und die Arbeitsbedingungen an die erhöhten Anforderungen anzupassen. Ein | |
Einstiegsgehalt von etwa 2.500 Euro brutto, kaum Aufstiegschancen, Stress | |
und Burn-out. Mit dem Fachkräftemangel spitzt sich die Lage weiter zu: | |
Viele steigen aus dem Beruf aus oder kommen nach der Babypause nicht mehr | |
zurück. | |
„Zwar werden die Ausbildungsplätze massiv erweitert, doch 25 Prozent der | |
Schüler brechen vorzeitig ab“, sagt Mario Schwandt von der GEW Bayern. Der | |
Grund: Die Bezahlung reicht während der schulischen Ausbildung nicht zum | |
Leben. „Diejenigen, die durchhalten, sind nach der Ausbildung geschockt: | |
Sie gehen in die Kitas und stellen fest, dass sie keine Zeit haben, ihre | |
Ideen umzusetzen. Stattdessen kommen sie kaum mit dem Alltagsgeschäft | |
hinterher.“ | |
Von Stress bis zum Burn-out erzählt auch eine Erzieherin aus München, die | |
nicht namentlich genannt werden möchte. In ihrer Einrichtung gibt es Platz | |
für 100 Kinder, aufgenommen wurden nur 70. Seit Monaten hofft die Kita auf | |
mehr Personal. Zwei Stellen sind ausgeschrieben, beworben hat sich niemand. | |
„Wenn man hin und wieder eine Woche überbrücken muss, weil zwei Leute krank | |
sind, geht das. Aber das ist mittlerweile Dauerzustand. Wir unterstützen | |
uns gegenseitig so lange, bis wir zusammenbrechen“, sagt die Erzieherin. | |
Ein Kind pinkelt in die Hose, im Gruppenraum bricht ein Streit aus und das | |
Telefon klingelt – bei zu wenig Personal fehlt die Zeit für pädagogische | |
Angebote. Darunter leiden ErzieherInnen, Kinder und Eltern. „Regelmäßig | |
sitzen Mütter und Väter vor mir, die verzweifelt sind und weinen, weil sie | |
ihre Kinder nirgendwo unterbringen können. Das ist furchtbar“, sagt die | |
Erzieherin. Für Familie Baugatz gibt es Hoffnung. Bei ihrem letzten | |
Kita-Besuch hat die Leitung ihnen einen Platz in Aussicht gestellt. | |
Allerdings erst ab Februar 2019. Am Samstag demonstrieren Berliner Eltern | |
gegen die Situation: Start ist um 10 Uhr am Bahnhof Friedrichstraße. | |
25 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Raphaela Rehwald | |
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