# taz.de -- Prekäre Ausbildungen: Arme Erzieher*innen | |
> Erzieher*innen werden dringend gesucht, doch viele Auszubildende leben am | |
> Rande des Existenzminimums. Die GroKo berät eine Gesetzesreform. | |
Bild: Viel Bedarf für Erzieher*innen, aber die Ausbildungsverhältnisse sind w… | |
BERLIN taz | Erzieherin wollte ich eigentlich schon immer werden“, erzählt | |
Nadine Sturm. „Es ist einfach toll, junge Menschen zu begleiten – da kann | |
ich etwas bewegen.“ Doch die 41-jährige Magdeburgerin ging zunächst einen | |
anderen Weg. Die vierfache Mutter lernte Friseurin, konnte aber aufgrund | |
einer Hautkrankheit nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten. Als ihre älteste | |
Tochter im Kindergarten ausgegrenzt wurde, zog sie erstmals ernsthaft in | |
Erwägung, tatsächlich eine Ausbildung zur Erzieherin zu beginnen. | |
Schließlich entschied sie sich dazu. „Das muss doch auch anders gehen!“ | |
Nadine Sturm machte sich damit auf den Weg zu einem Berufsfeld, das derzeit | |
dringend Fachkräfte braucht. [1][Schon jetzt fehlen bundesweit | |
Erzieher*innen] in Kitas und Schulen. Ab dem Jahr 2025 tritt dazu der | |
gesetzliche Anspruch auf Ganztagesbetreuung für Grundschulkinder in Kraft. | |
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft geht davon aus, dass für die | |
Umsetzung bis 2030 mehr als 300.000 Erzieher*innen fehlen. | |
Aber: Die Ausbildungsbedingungen für Erzieher*innen sind weiter prekär. Die | |
Ausbildung bedeutet, drei Jahre lang die ganze Woche in einer Fachschule | |
oder Ausbildungseinrichtung zu verbringen – und zwar in den meisten Fällen | |
ohne Einkommen. [2][Die Bundesregierung ersann deshalb das sogenannte | |
Aufstiegs-Bafög.] Es soll Menschen unterstützen, die sich nach einer | |
abgeschlossenen Berufsausbildung weiterbilden möchten. Aber auch das | |
erreicht viele Betroffene nicht. Das könnte sich jetzt ändern. Denn die | |
Große Koalition berät dieser Tage eine Novellierung des zuständigen | |
Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes. | |
Kein Geld fürs Busticket | |
Nadine Sturm hofft auf eine Verbesserung des Status quo: Denn sie gehört zu | |
denjenigen, die bisher nicht vom Aufstiegs-Bafög profitieren – obwohl die | |
Förderhilfe eigentlich für Menschen wie sie angelegt ist. Auch die | |
41-Jährige suchte nach Beginn ihrer Erzieherinausbildung finanzielle Hilfe, | |
wurde vom Wohngeldamt über das Bafög-Amt zum Jobcenter und wieder zurück | |
geschickt. Dann beantragte sie das Aufstiegs-Bafög. | |
Aber das Bafög-Amt macht Sturm keine großen Hoffnungen: Der Praxisanteil | |
ihrer Ausbildung sei zu hoch, als dass sie gefördert werden könne. Zurzeit | |
erhält Sturm weder Vergütung noch Unterstützungsleistungen. „Ich fühle mi… | |
ziemlich alleingelassen“, klagt sie. | |
Auch Jeannette Quaas kennt das Problem. Viele Auszubildende seien knapp bei | |
Kasse, sagt die Koordinatorin von Sturms Berufsschule in Aschersleben. „Es | |
ist schon hart, wenn ich wieder mal einen Schüler vor mir sitzen habe, der | |
mich fragt, wie er sein Busticket bezahlen soll.“ Quaas sieht das Problem | |
im Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz begründet. Es schreibt vor, dass | |
die sogenannte „Fortbildungsdichte“ einer Ausbildung bei mindestens 70 | |
Prozent liegen muss, damit eine Förderfähigkeit durch das Aufstiegs-Bafög | |
besteht. Heißt konkret: Mindestens 70 Prozent der Ausbildungszeit muss in | |
der Fachschule stattfinden. | |
Besteht die Ausbildung aber aus zwei Jahren Schule und einem praktischen | |
Anerkennungsjahr, sind die Auszubildenden im 3. Ausbildungsjahr nicht mehr | |
Bafög-berechtigt. Ein ganzes Jahr stehen sie dann ohne Einkommen da. | |
Knapp unter der vorgeschriebenen „Fortbildungsdichte“ | |
Noch gravierender ist die Situation für Auszubildende in der | |
„praxisintegrierten Ausbildung“. Bei dieser Ausbildungsform wechseln sich | |
Theorie- und Praxisphasen ab. Zusammengerechnet verbringen die | |
Auszubildenden zwei Drittel ihrer Zeit in der Schule, ein Drittel in der | |
Einrichtung und bleiben somit knapp unter den gesetzlich vorgeschriebenen | |
70 Prozent „Fortbildungsdichte“. Für sie besteht deshalb über die gesamten | |
drei Ausbildungsjahre kein Anspruch aufs Aufstiegs-Bafög. | |
Von der Regelung sind neben Erzieher*innen auch Auszubildende anderer | |
fachschulischer Ausbildungsberufe in Vollzeitform betroffen. Dazu gehören | |
angehende Heilerziehungspfleger*innen und Heilpädagog*innen. | |
Wird der bisher geplante Gesetzentwurf verabschiedet, gehen die betroffenen | |
Auszubildenden jedoch weiterhin leer aus. Die Reduzierung der | |
„Fortbildungsdichte“ – und damit die Möglichkeit, praxisintegrierten | |
Ausbildungen zur Förderfähigkeit zu verhelfen – ist in der Novellierung | |
nicht vorgesehen. Und das, obwohl der bundesweite Trend klar zu diesem | |
Ausbildungsmodell geht. | |
Aus guten Gründen, wie Silke Mertens, Geschäftsführerin des Paritätischen | |
Wohlfahrtsverbands Sachsen-Anhalt, sagt. „Wenn sich Theorie- und | |
Praxisphasen abwechseln, kann in der Schule Erlerntes unmittelbar | |
angewendet werden.“ Würden die Auszubildenden hingegen nach zwei Jahren | |
Fachschule zum ersten Mal in die Kita geschickt, sei die Überforderung | |
programmiert. Praktische Phasen zugunsten von mehr Theorie zu ersetzen, sei | |
keine erstrebenswerte Lösung, so Mertens. Das führe zu einem | |
Qualitätsverlust in der Ausbildung, der nicht hinzunehmen sei. „Es geht | |
hier um das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen!“ | |
Doppelschichten bis zur Gesetzesänderung | |
Nadine Sturm bleibt, bis sich die Gesetzeslage ändert, nichts anderes | |
übrig, als neben der Ausbildung selbst für den Lebensunterhalt ihrer | |
Familie zu sorgen. Von 8 bis 15 Uhr besucht sie derzeit die | |
Erzieher*innenfachschule in Aschersleben, von 16.30 Uhr bis 21 Uhr | |
arbeitet sie in einer Mutter-Kind-Einrichtung in Magdeburg. Dazwischen | |
liegen 45 Minuten Fahrzeit. Um ihre Kinder kümmert sich Sturm, bevor sie | |
aus dem Haus geht. Danach ist ihr Partner zuständig, der gerade nicht | |
berufstätig ist. | |
„Wenn meine fünfjährige Tochter mich um sieben Uhr früh mit ‚Tschüss, b… | |
morgen‘ verabschiedet, macht mich das schon nachdenklich“, erklärt Sturm. | |
Und: „Ohne meinen Mann könnte ich das niemals schaffen. Der schmeißt gerade | |
den kompletten Haushalt.“ | |
Sturm hofft deshalb, dass sich die Bundesregierung doch noch auf eine | |
Gesetzesreform einigt, die auch in Fällen wie ihrem helfen würde. „Es wäre | |
schon traumhaft, wenn wir Quereinsteiger*innen endlich besser | |
unterstützt werden.“ Aber: „Aufgeben ist keine Option!“ | |
30 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Franziska Schindler | |
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