| # taz.de -- Demo gegen Berliner „Kitakrise“: Sie treibt’s auf die Straße | |
| > Christine Kroke steht mit ihrem sieben Monate alten Sohn Carl auf | |
| > Wartelisten von über 100 Kitas. Nun organisiert sie mit anderen Eltern | |
| > eine Demo. | |
| Bild: Christine Kroke mit Sohn Carl und Partner Volker Goß | |
| Für viele werdende Eltern in dieser Stadt wird das Kind bereits zum | |
| Vollzeitjob noch bevor es da ist: Christine Kroke war im vierten Monat | |
| schwanger, als sie anfing, sich in den Kitas vorzustellen. Kroke hatte sich | |
| überlegt, das Thema lieber frühzeitig anzugehen, um später entspannt die | |
| Elternzeit genießen zu können: „Genießt das Jahr, das sagen einem ja immer | |
| alle“, sagt sie lakonisch, ihren inzwischen geborenen Sohn Carl auf dem | |
| Schoß, den leuchtenden Laptop vor sich auf dem Wohnzimmertisch in der | |
| Friedrichshainer Altbauwohnung. | |
| Carl, sieben Monate alt, hat noch immer keinen Kitaplatz. Deshalb macht | |
| seine Mutter nun zwei Tage in der Woche Homeoffice, mit dem Kleinen neben | |
| sich auf der Krabbeldecke. An den übrigen Tagen kümmert sich Krokes Partner | |
| Volker Goß, der noch in Elternzeit ist, um Carl. Klingt eigentlich nach | |
| einem guten Arrangement. „Das ist es auch, für den Moment“, sagt Kroke. | |
| Wenn da nur nicht diese Deadline wäre: Bis Ende August muss ein Kitaplatz | |
| her, dann endet auch die Elternzeit von Goß. | |
| Ist Carl dann immer noch zu Hause auf der Krabbeldecke, wird Vater Goß | |
| weiter Teilzeit arbeiten. Die Familie hätte dann rund 1.500 Euro weniger im | |
| Monat. „Mir ist bewusst, dass das Jammern auf hohem Niveau ist, wenn ich | |
| zum Beispiel eine Alleinerziehende sehe“, sagt Kroke. „Aber es schränkt uns | |
| natürlich ein: Wir würden perspektivisch gerne umziehen. Aber wenn nicht | |
| absehbar ist, ob wir beide wieder in Vollzeit arbeiten werden, kommt das | |
| bei dem Mietenwahnsinn nicht infrage.“ | |
| Carls Name steht jetzt auf mehr als 100 Kita-Wartelisten in vier Bezirken. | |
| Seine Mutter ist inzwischen das Gesicht einer Online-Petition für mehr | |
| Kitaplätze, die binnen wenigen Wochen mehr als 65.000 Menschen | |
| unterschrieben haben. Für Ende Mai mobilisiert sie gemeinsam mit anderen | |
| Eltern und der Gewerkschaft GEW zu einer Demo gegen die Kitakrise. | |
| ## Die Kitaplatzsuche ist seit Langem ein Kampf | |
| Kroke ist wütend, und ihr Ärger stößt auf Widerhall – endlich, möchte man | |
| sagen: Die Kitaplatzsuche ist in Berlin seit Langem ein Kampf um die besten | |
| Wartelistenplätze, doch die Eltern beschränkten sich bisher darauf, sich | |
| einander auf Spielplätzen ihr Leid zu klagen. Jetzt gehen sie auf die | |
| Straße, vernetzen sich, und reiben sich neben Job und Kind und | |
| Kitaplatzsuche in Orga-Teams für Demos auf. Kroke sagt, sie hat ihre | |
| Kitaplatzsuche inzwischen in einer Excel-Tabelle organisiert, zwei bis drei | |
| Stunden täglich verbringt sie mit dem Updaten der Datei. Genauso viel Zeit | |
| steckt sie in die Vorbereitung der Demo, für die sich auf Facebook | |
| inzwischen über 2.000 potenzielle TeilnehmerInnen interessieren. | |
| Was ist passiert, was treibt Mütter wie sie an? Da ist zum einen ein Trend, | |
| der sich in den letzten Jahre weiter verschärft hat. Auch wenn die | |
| Bildungsverwaltung ständig neue Wasserstandsmeldungen heraus gibt, wie | |
| viele Kitaplätze wo neu entstanden sind – knapp 4.000 Plätze wurden 2017 | |
| mit Landesgeldern gefördert – der Ausbau hält mit den wachsenden | |
| Kinderzahlen nicht Schritt. | |
| Schuld ist der Fachkräftemangel: Die Jugendverwaltung von Senatorin Sandra | |
| Scheeres (SPD) spricht von „mehreren Tausend Plätzen“ die deshalb nicht | |
| besetzt werden können. Die Quereinsteigeroffensive, auf der Scheeres’ | |
| Hoffnungen ruhen, verpufft dabei zusehends. Kita-Träger sagen, sie wollen | |
| das erlaubte Drittel an SeiteneinsteigerInnen nicht ausschöpfen, weil sie | |
| um die pädagogische Qualität und um den Frieden in ihren Teams fürchten: | |
| die Berufsneulinge brauchten viel Unterstützung – Zeit also, die die | |
| Fachkräfte angesichts der Situation aber kaum haben. | |
| Kroke sagt, sie treibe mehr an als den viele Jahre verschnarchten | |
| Fachkräftemangel, dem eine Senatorin Scheeres nun verzweifelt hinterher | |
| galoppiert. Ihr gehe es um die großen Themen, die mit der Kitaplatzmisere | |
| einhergehen: Um die Teilzeitfalle nach der Elternzeit, die bekanntlich | |
| insbesondere Frauen treffe, um das Problem weiblicher Altersarmut. „Wir | |
| sollen mehr Kinder bekommen, und nun da die Geburtenraten tatsächlich | |
| wieder steigen, wird klar: Da ist etwas überhaupt nicht zu Ende gedacht.“ | |
| ## Das Versprechen ist nach wie vor nicht eingelöst | |
| Kroke, die als Pressereferentin in einem IT-Unternehmen arbeitet, bringt | |
| das in Rage. „Jahrelang hat man uns jungen Frauen versprochen: Ihr könnt | |
| und sollt das beides haben, Kinder und Karriere.“ Dass dieses Versprechen | |
| nach wie vor nicht eingelöst sei, daran sei auch die Kitakrise schuld. Denn | |
| es seien ja meistens die Mütter, die in Teilzeit gehen oder zu Hause | |
| bleiben, wenn es mit dem Kitaplatz nicht klappt – der Mann verdient | |
| schließlich in aller Regel besser. | |
| Kroke hat ein SPD-Parteibuch. Sie sagt, dass „vielen Genossen nicht passt, | |
| was sie hier macht“: ihre Mobilisierung für die Demo, die Petition, die | |
| sich vor allem auch gegen ihre Parteigenossin Scheeres richtet. Aber es | |
| könne doch nicht angehen, findet Kroke, dass nun die Kitas ihre Gruppen | |
| überbelegen dürfen, wie Scheeres es kürzlich verkündet hatte. „Damit | |
| verschlechtere ich die Arbeitsbedingungen doch nur weiter, das lockt doch | |
| keinen in den Job.“ Kroke sagt: „Ich kritisiere so laut, weil ich will, | |
| dass meine Partei es besser macht.“ | |
| Die Petition fordert bessere Arbeitsbedingungen und mehr Geld für die | |
| ErzieherInnen: Berlin zahlt rund 300 Euro weniger als im Bundesvergleich, | |
| weil hier ein anderer Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst gilt, an dem | |
| sich wiederum auch die freien Träger orientieren. | |
| In einem Jahr steht die nächste Tarifrunde an, dann müsse Finanzsenator | |
| Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) sich ins Zeug zu legen und die Gehaltslücke | |
| schließen – so wie von Rot-Rot-Grün im Koalitionsvertrag versprochen, | |
| fordert auch die Gewerkschaft GEW. Und: „Wenn die Tarifrunde keine Lösung | |
| bringt, muss der Senat eine Zulage zahlen“, heißt es in einer gemeinsamen | |
| Stellungnahme von Melanie Kühnemann (SPD), Marianne Burkert-Eulitz (Grüne) | |
| und Katrin Seidel (Linke), den jugendpolitischen Sprecherinnen der drei | |
| Regierungsfraktionen im Abgeordnetenhaus. | |
| Rechtlich sei das möglich, betont auch die Berliner GEW-Vorsitzende Doreen | |
| Siebernik: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ | |
| 7 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Klöpper | |
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