| # taz.de -- Unterfinanzierte Theaterszene: Verschenkte Vielfalt | |
| > Hamburgs freie Theater- und Tanz-Szene fordert eine kulturpolitische | |
| > Wende. Beim Off-Festival „Hauptsache frei“ zeigt sie, welches Potenzial | |
| > in ihr steckt. | |
| Bild: Freie Szene am Boden? Das inklusive Ensemble „Meine Damen und Herren“ | |
| Hamburg taz | Sie ist ein vielschichtiger und absolut unverzichtbarer Teil | |
| der Hamburger Kulturlandschaft: In der sogenannten freien Szene arbeiten | |
| Schauspieler*innen und Regisseur*innen, Tänzer*innen und Choreograf*innen, | |
| Musiker*innen und Bühnenbildner*innen. Sie machen Sprech- und Musiktheater, | |
| entwickeln Jugend- und Kinderstücke, machen Theater mit Laien oder Menschen | |
| mit Behinderungen. Sie bespielen Orte wie das Lichthof- und das | |
| Monsun-Theater, das Sprechwerk und Kampnagel oder führen ihre Produktionen | |
| in einer Kneipe im Gängeviertel oder einem Lagerschuppen im | |
| Oberhafenquartier auf. | |
| Eine Szene, die „für die Vielfalt und Weiterentwicklung der Kultur in | |
| Hamburg von großer Bedeutung“ sei, findet auch die Hamburger Behörde für | |
| Kultur und Medien. Und dennoch ist die freie Szene der Stadt seit Jahren | |
| unterfinanziert. Denn die Behörde setzt auf eine jährliche | |
| Einzelprojektförderung, die sich in Produktions-, Basis-, Nachwuchs- und | |
| Konzeptionsförderung unterteilt. Letztgenannte ist der Hauptgewinn: Sie ist | |
| auf drei Jahre angelegt und sieht eine Zuwendung von jährlich 35.000 Euro | |
| vor – für maximal zwei Künstlergruppen. | |
| Gerade mal 675.000 Euro umfasste das Budget, um das für die kommende | |
| Spielzeit insgesamt 149 Anträge konkurrierten. Über eine Million Euro mehr | |
| betrug allein das Gesamtvolumen der Anträge aus dem Teilbereich | |
| „Sprechtheater, Musiktheater, Performance“. Und diese 149 Anträge sind nur | |
| die jener Künstler*innen und Gruppen, die für die beratende Jury sichtbar | |
| werden. Denn wer einen Antrag einreicht, muss auch eine Spielstätte | |
| nachweisen. Wer das nicht kann, realisiert Projekte mit sehr wenig oder gar | |
| keinem Budget. Oder macht eine Zwangspause. | |
| 30 Projekte und eine Basisförderung haben für dieses Jahr den Zuschlag | |
| bekommen. Für die Künstler*innen bedeutet das aber noch nicht, dass sie mit | |
| ihrem Projekt auch beginnen können. Dies ist nur ein erster Schritt, um | |
| Drittmittel einzuwerben. Und der Nachwuchs muss seit der Spielzeit 2012/13 | |
| spartenübergreifend mit gerade mal je 5.000 Euro auskommen, die „die | |
| Realisierung eines ersten Projektes ermöglichen“ sollen, heißt es. Eine | |
| unrealistische Einschätzung. Zum Vergleich: Etwa 20.000 Euro Budget – nur | |
| für Regieteam und Ausstattungskosten – veranschlagt das Thalia Theater für | |
| eine kleine Produktion eines Regieassistenten in seiner kleinsten | |
| Spielstätte in der Gaußstraße. | |
| Insgesamt seien im vergangenen Jahr 929.000 Euro für die freien | |
| darstellenden Künste inklusive Kinder- und Jugendtheater veranschlagt | |
| worden, heißt es aus der Pressestelle der Kulturbehörde. Dazu kommen zwar | |
| noch weitere Gelder aus dem Bereich Privattheater sowie Förderungen aus dem | |
| Referat Kulturprojekte. Aber ein Vergleich mit den beiden großen Theater | |
| der Stadt macht deutlich, wie wenig das ist: In der Spielzeit 2017/18 wurde | |
| das Schauspielhaus mit mit fast 27 Millionen Euro, das Thalia Theater mit | |
| gut 22 Millionen Euro gefördert. | |
| Seit fünf Jahren gibt es noch eine weitere Fördermöglichkeit für die freie | |
| Szene. Jährlich 500.000 Euro stellt der Elbkulturfonds zur Verfügung. Dafür | |
| bewerben sich neben Theatermacher*innen auch bildende Künstler*innen und | |
| Literaturschaffende. Mehr als acht Projekte können aus diesem Topf nicht | |
| gefördert werden. Eine komplementäre Förderung durch Drittmittel ist zwar | |
| möglich, eine Doppelförderung durch einen Fachtitel der Kulturbehörde | |
| jedoch nicht, auch keine Förderung aufeinander folgender Projekte. Wieder: | |
| keine Kontinuität. | |
| Eine jährliche Mittelerhöhung auf 3,2 Millionen Euro und eine einmalige | |
| Aufwendung von 23.000 Euro fordert deshalb jetzt der Dachverband freie | |
| darstellende Künste Hamburg e. V. (DfdK) und hat ein Konzeptionspapier | |
| erstellt, „einen konkreten Empfehlungskatalog, um dem in jedem Jahr | |
| wachsenden, nicht genutzten Potential gerecht zu werden und für die | |
| freischaffenden Künstler*innen Hamburgs langfristig bessere | |
| Arbeitsbedingungen bereitzustellen“. „Wir wollen keine Kosmetik, sondern | |
| eine kulturpolitische Wende“, betont Barbara Schmidt-Rohr, Choreografin und | |
| stellvertretende Vorsitzende des Dachverbands. | |
| Für Matthias Schultze-Kraft, künstlerischer Leiter des Lichthof-Theaters, | |
| dessen Arbeit im vergangenen Jahr mit dem Theaterpreis des Bundes | |
| ausgezeichnet wurde, liegt das Problem darin, dass es „nicht wirklich ein | |
| Bewusstsein für das Potenzial der freien Szene“ gebe. | |
| Seinen Spielplan bestreitet das Lichthof-Theater mit von der Behörde | |
| geförderten Produktionen, permanenter zermürbender Drittmittelakquise und | |
| ohne eigenen Produktionsetat. „Das Widerständige oder das Experimentelle, | |
| das Neue, das hat es wirklich schwer in dieser Stadt“, sagt er. Wenn sich | |
| jetzt nicht deutlich etwas ändere, „dann wird es einen Sog geben, weg von | |
| Hamburg“, prognostiziert Schulze-Kraft. | |
| ## Durchhaltevermögen und langer Atem | |
| Wer bleiben will, muss sich mit den Umständen arrangieren. „Man muss ein | |
| enormes Durchhaltevermögen haben und sich die freie Arbeit leisten können, | |
| man braucht noch irgendwie andere Einnahmequellen“, sagt etwa die | |
| Theatermacherin Susanne Reifenrath vom Duo „Meyer & Kowski“. | |
| Und auch Antje Pfundtner, die derzeit als am besten geförderte freie | |
| Künstlerin der Stadt gilt, sagt, es brauche einen „wahnsinnig langen Atem“. | |
| Im März vergangenen Jahres legte sie im Magazin Brand eins ihre Finanzen | |
| offen: „Ich arbeite seit 2001 als freie Künstlerin und entwickle meine | |
| eigenen Tanzstücke, seit 2012 produziere ich meine Arbeiten mit einem Team. | |
| Ich habe Preisgelder bekommen, kriege Fördergeld und verdiene pro Jahr | |
| trotzdem nur rund 25.000 Euro vor Steuern.“ Ohne öffentliche Förderung habe | |
| man keine Chance. „Nur kannst du dich auf Förderung nicht verlassen“, sagt | |
| Pfundtner. „Und dieser Druck droht dich auszubrennen.“ | |
| Einmal im Jahr präsentieren sich die freien darstellen Künste der Stadt | |
| beim Festival „Hauptsache frei“, von Dienstag bis Samstag findet die vierte | |
| Ausgabe statt. Aber auch dessen Finanzierung ist prekär. Die bisherigen | |
| drei Ausgaben wurden mit je 60.000 Euro von der Kulturbehörde finanziert, | |
| dazu kamen je etwa 20.000 Euro durch Drittmittel. Julian Kamphausen, der es | |
| dieses Jahr gemeinsam mit Susanne Schuster leitet, hat sich deshalb für | |
| einen Vorgriff entschieden und zwei Etats zusammengelegt. „Es bedarf | |
| mindestens einer Verdopplung“, sagt er. „Aber auch dadurch ist die | |
| längerfristige Zukunft des Festivals noch nicht gesichert.“ Nur eine | |
| Zwischen-, eine Notlösung. | |
| 21 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Ullmann | |
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