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# taz.de -- Titelgeschichte der aktuellen „Zeit“: Ganz großes Gejammer
> Jens Jessen beschwert sich in der „Zeit“ über die #MeToo-Debatte. Alles
> was er schreibt, wurde schon tausendmal vom Patriarchat ausgekotzt.
Bild: Der arme Mann
Gespannte Stille im Saal, Scheinwerfer an, Vorhang auf: Auftritt Jens
Jessen auf der ganz großen Bühne. Und dann: Ein Monolog, so kraftvoll, so
leidenschaftlich und männlich, wie er lange vermisst wurde inmitten des
ganzen weiblichen Geblubbers, das da im letzten halben Jahr so zur
Aufführung gebracht wurde.
So ungefähr wird sich der Autor das vorgestellt haben – und zumindest die
große Bühne hat er bekommen, die aktuelle Titelgeschichte der Zeit.
Monatelang, „unentwegt“, wie Jessen perplex schreibt und dafür akribisch
Beispiele anführt, waren die Frauen dran, haben geredet und Raum
eingenommen, den Jessen so ungern hergibt. Aber jetzt dürfen die Männer ran
bei #MeToo, jetzt reden die echten Kerle.
Hauptsächlich, kann man sagen, beklagt sich Jens Jessen, und das ganz
Zeit-angemessen opulent. „Wutausbruch“ hat er seinen Auftritt betiteln
lassen – aber von Wut ist nicht viel zu spüren, eher von etwas Polemik und
viel Larmoyanz. Das steht bei der Zeit in guter alter Tradition; man könnte
glatt Jens Jessen mit Harald Martenstein verwechseln. Was Jessen schreibt,
ist auch ungefähr so neu und aufregend wie das, was Martenstein schreibt:
gar nicht.
In bester misogyner Tradition jammert Jessen, selbsternanntes Opfer von
#MeToo, es gebe ein „rhetorisches Hexenlabyrinth“, in dem sich Männer nun
verirrten. Er beklagt die „ideologische Totalität des neuen Feminismus“,
ein „Willkürregiment“ und einen „feminstischen Volkssturm“, für den es
„keine schuldlosen Männer mehr gebe“.
## Bloß keine Überraschungen
Er lamentiert darüber, das System der feministischen Rhetorik folge „dem
Schema des bolschewistischen Schauprozesses“: Männer „können jederzeit
denunziert werden“. Und er versteigt sich darin zu behaupten, Männer würden
nun die „Diskriminierungserfahrung der Muslime“ machen: „Jeder Muslim ein
potenzieller Terrorist, jeder Mann ein potenzieller Vergewaltiger.“
Das enthält, zugegeben, ein paar hübsch zugespitzte Formulierungen, dafür
ist Jessen ja auch bei der Zeit. Darüber hinaus ist es vor allem eines:
sehr, sehr gewollt. Unbedingt will da einer Erregung, unbedingt
Provokation. Dank der Zeit-Scheinwerfer ist nun auch ein gewisses Maß an
Aufmerksamkeit garantiert – nur die Aufregung, die bleibt aus. Da zündet
nichts mehr, noch nicht mal ein Shitstorm auf Twitter. Worüber soll man
sich auch noch aufregen, wenn das, was der Mann schreibt, vom Patriarchat
schon gefühlte tausendmal ausgekotzt wurde.
Für die Leserschaft, die dieser Text bedient – älteres Semester,
konservative Ecke, hat vielleicht schon den einen oder anderen Leserbrief
geschrieben über Frauen oder Geflüchtete, die plötzlich ungefragt die Welt
kommentieren – braucht es ohnehin keine neuen Argumente, nichts, was die
Debatte voran brächte. Im Gegenteil: bloß keine Überraschungen. Nicht noch
mehr Ängste oder Bedrohungen in einer Welt, in der gleiche Rechte für alle
gelten sollen. Was Jessen schreibt, ist die Selbstvergewisserung der
hegemonialen Männlichkeit: Es gibt uns noch, wir sind noch da.
## So ist das, wenn man Macht verliert
Auch wenn sonst nicht viel stimmt an diesem Text: Das zumindest ist wahr.
Weshalb es auch ziemlich lustig ist, dass Jessen das Patriarchat im
Präteritum verortet – schön wär’s. Und trotzdem werden alle anderen, die,
die die Jessen’sche Beruhigung nicht nötig haben, den Saal schon nach der
Pause verlassen haben. Jessen wird abgehen müssen von der großen Bühne,
ohne dass das Publikum schreit und tobt und mit ihm heult und applaudiert.
Was bleibt, ist das leise Bedürfnis, diesem Mann #MeToo und den Feminismus
zu erklären. Einen, der keine Gegnerschaft aufbaut, wie Jessen zu wissen
glaubt, sondern Gemeinsamkeit. Und einen, mit dem es nicht nur den Frauen
besser ginge, sondern vor allem auch ihm, Jens Jessen, weil er sich nicht
mehr in Erregungszustände hineinsteigern müsste, die seinem Herzen schaden.
Aber vielleicht wäre das gar nicht, was Jessen braucht. Vielleicht braucht
er nur eine, die einen alten Mann, der die Welt nicht mehr versteht, an der
Hand nimmt, wenn er sich ausgeweint hat. Die ihm ganz sanft sagt, so ist
das, wenn man Macht verliert, Jens, so ist das, wenn das alte System wankt.
Du darfst verunsichert sein, das ist in Ordnung. Die ihn von der Bühne
führt, über der das Scheinwerferlicht längst ausgegangen ist, ihm über den
Kopf streichelt und sagt: Lieber Jens Jessen, sorge dich nicht. Alles wird
gut.
5 Apr 2018
## AUTOREN
Patricia Hecht
## TAGS
Schwerpunkt #metoo
Feminismus
Patriarchat
Die Zeit
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Lesestück Meinung und Analyse
Handwerk
Schwerpunkt #metoo
Sexismus
Kolumne Wirtschaftsweisen
taz FUTURZWEI
Politisches Buch
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