# taz.de -- Feminismus, Gleichberechtigung, #MeToo: Geh ins Haus, Frau | |
> Internationaler Bestseller und Manifest: Die bekannte Althistorikerin | |
> Mary Beard, die es lieber unorthodox mag, über Frauen und Macht. | |
Bild: Beard ist keine Verfechterin von tief gestellten Stimmen und Hosenanzüge… | |
Es ist vor allem die Autorin, die dieses Buch zu etwas macht, das der | |
Guardian schon enthusiastisch „moderner feministscher Klassiker“ nennt. | |
„Frauen und Macht. Ein Manifest“, wie es etwas großmäulig heißt, stammt … | |
einem echten britischen Original. Mary Beard, Verfasserin von | |
Standardwerken wie „SPQR. Die tausendjährige Geschichte Roms“ (2016) oder | |
der Geschichte Pompejis, ist die bekannteste Altertumsforscherin | |
Großbritanniens und sie ist eine Medienperson: Altertum geht immer, und BBC | |
und Guardian rufen gern bei der Cambridge-Professorin an, die mit hippiesk | |
langem grauem Haar und einigen „edgy“ Ansichten genau in dem Maße | |
unkonventionell ist, wie Medien es lieben. „Meet the Romans – with Mary | |
Beard“, war eines der BBC-Formate mit ihr. Für das „Times Literary | |
Supplement“ bloggt sie regelmäßig. | |
Beard ging nie direkt als Feministin und mochte es lieber unorthodox: Sie | |
veröffentlichte die Geschichte ihrer Vergewaltigung – und erklärte | |
zugleich, dass diese sie kaum weiter traumatisiert habe. Die sich neu | |
etablierenden Umgangsregeln zwischen dem Lehrpersonal und den Studierenden | |
an angelsächsischen Colleges kommentierte sie mit einer Trauerbekundung | |
darüber, dass der „pädagogische Eros“ vom Campus verschwinde. Sie meinte | |
allerdings einen Eros ohne Übergriffe. | |
Mit Twitter kamen die Shitstorms. Der letzte: Einer der Comic-Clips, mit | |
denen die BBC Schulkindern die britische Geschichte nahebringen möchte, | |
zeigt einen hochrangigen Römer mit einem dunklen Teint. Mary Beard | |
bestätigte die Wahrscheinlichkeit, dass einige Führungskräfte des | |
Weltreichs durchaus dunklere Haut gehabt haben könnten. Das Netz schäumte | |
über die vermeintliche Fälschung der Geschichte im Namen der Political | |
Correctness – obwohl alle archäologischen Befunde Beard recht geben. Die | |
Hass-Posts trieften vor sexualisierten Gewaltfantasien, in denen sich | |
Frauen- und Altersfeindlichkeit zu einer besonders perfiden Giftmischung | |
potenzieren. | |
Unvergessen auch die Reaktion auf ihr Statement nach 9/11: „The USA had it | |
coming“, gab sie zu Protokoll. Die These, dass die US-amerikanische | |
Außenpolitik nicht ganz unschuldig am Entstehen des internationalen Terrors | |
sei, ist so gewagt eigentlich nicht. Dennoch schlug daraufhin eine | |
derartige Welle internationalen Hasses über ihr zusammen – dass sie sich | |
veranlasst sah, fortan zu vergleichen: Welche Thesen dürfen Frauen | |
ungestraft vertreten, welche Männer? Die Überlegungen mündeten in zwei | |
Vorträgen – und diese wiederum bilden das „Manifest“, das nun auf Deutsch | |
vorliegt. | |
## Ovid verwandelte Frauen in Kühe | |
Ihre nicht ganz neue These: „Die abendländische Gesellschaft ist seit | |
Jahrtausenden geübt darin, Frauen den Mund zu verbieten.“ Sie beginnt mit | |
Telemachos, der seine eigene Mutter Penelope (die ewig wartende Gattin des | |
Odysseus) auf eine Bemerkung hin zurechtweist: „Geh ins Haus (…), die Rede | |
ist Sache der Männer, vor allem die meine.“ Weist auf Ovid hin, der in | |
seinen Metamorphosen Frauen wie Io gern in Kühe verwandelt und der Nymphe | |
Echo die eigene Stimme nimmt. Und stellt fest: Frauen dürfen öffentlich nur | |
in zwei Nischen auftreten: als Klageweiber oder als Vertreterinnen ihrer | |
spezifischen Frauenbedürfnisse. Keinesfalls aber ist vorgesehen, dass sie | |
sich zu Staatsangelegenheiten äußern – oder zum alten Rom. | |
Äußerungen von Frauen würden auch heute noch privatisiert und | |
trivialisiert. Jede habe wohl schon mal erlebt, wie ihre Wortbeiträge in | |
Diskussionsrunden ignoriert wurden. Frauen würden immer noch als das | |
„Außerhalb“ der Macht wahrgenommen. Nur so könne man sich Schlagzeilen | |
erklären, wie: „Frauen greifen nach der Macht“, wenn die BBC einfach nur | |
eine Chefredakteurin einstelle. | |
Wie kann weibliche Macht erlangt werden? Beard ist keine Verfechterin von | |
künstlich tief gestellten Stimmen und Hosenanzügen. Lieber ist ihr | |
„handbagging Maggie“ – die britische Regierungschefin Thatcher, deren | |
Handtasche ein gefürchtetes Schleuderutensil wurde. | |
Beard lässt ihrer vergnüglichen Analyse einen kurzen Ausblick auf Macht als | |
gemeinsames Handeln von vielen folgen. Sie will quasi den berühmten | |
Weber’schen Machtbegiff durch den Hannah Arendts ersetzen. Macht nicht als | |
Vermögen, sich gegen jemanden durchzusetzen, sondern als Ermächtigung einer | |
Gruppe. | |
Das hat sie nun nicht gerade neu erfunden. „Gemeinsam sind wir stark“, | |
sangen in den 70s die Flying Lesbians, und die Suffragetten werden | |
Ähnliches auch schon skandiert haben. Warum das Buch dennoch wichtig ist: | |
Eine prominente Wissenschaftlerin, die nicht in der Feministinnen-Nische | |
lebt, schwingt öffentlich feministische Thesen. Das ist neu. Und das ist | |
bedeutsam. Nach der weltweiten MeToo-Kampagne ist es ein weiteres Anzeichen | |
für eine feministische Renaissance nach einem längeren finsteren | |
Mittelalter. | |
18 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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