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# taz.de -- Vorgaben für Umgang mit Abfall: EU gibt sich neue Recyclingquoten
> Nach vier Jahren soll am Mittwoch das EU-Gesetzespaket zum Abfall
> beschlossen werden – mit Quoten, die vorerst wohl kein Land erreicht.
Bild: Nur noch 10 Prozent des Abfalls eines Staates dürfen auf Deponien gelage…
BERLIN taz | Indikativ oder Konjunktiv? Wie immer bei neuen Gesetzestexten
gilt es auch beim EU-Abfallpaket auf die Grammatik zu achten. Nach vier
Jahren und unzähligen Verhandlungsrunden beschließt das EU-Parlament am
heutigen Mittwoch in Straßburg das umfängliche Gesetzeswerk zum Umgang mit
Abfall in der EU. Darin stehen ganz konkrete Vorgaben sowie, an
wesentlichen Stellen, allerlei Wolkiges.
So gibt sich die Europäische Union nicht nur neue Recyclingquoten, sondern
auch neue Methoden, mit denen diese ermittelt werden. Bis 2035 sollen die
Mitgliedstaaten 65 Prozent ihres Siedlungsabfalls recyceln. Dabei müssen
sie genau feststellen, wie viel Abfall aus Plastik, Papier oder Metall
wirklich zu neuen Produkten oder Rohstoffen verarbeitet wird. „Erst einmal
wird wohl kein Land diese Quoten erreichen“, sagt Thomas Obermeier von der
Deutschen Gesellschaft für Abfallwirtschaft (DGAW). In Deutschland haben
die Statistiker bislang nur ermittelt, wie viel Abfall sortiert wurde und
somit potenziell hätte recycelt werden können – egal ob er hinterher
teilweise verbrannt oder exportiert worden ist. „Wenn man die neuen
Vorgaben streng anwendet, schaffen wir nicht mal 60 Prozent“, so Obermeier.
Offiziell, nach alter Zählung, werden in der Bundesrepublik 67 Prozent
aller Siedlungsabfälle – also das, was in der grauen, gelben oder blauen
Tonne landet – recycelt.
Konkrete Vorgaben macht die EU künftig auch für Müllkippen. Nur noch
höchstens 10 Prozent des Abfalls eines Mitgliedstaates dürfen auf Deponien
gelagert werden. Für einige Länder wie Bulgarien, Estland oder Malta, die
bis zu 82 Prozent ihres Abfalls deponieren, ist das eine echte
Herausforderung. Daher bekommen sie längere Übergangsfristen. Zielvorgaben
für Zwischenschritte gibt es allerdings nicht – ein Manko, glaubt Günter
Dehoust, beim Freiburger Öko-Institut für nachhaltige Stoffströme und
Kreislaufwirtschaft zuständig. „Der Weg weg von der Müllkippe ist nicht
konkret geregelt“, sagt er, „die Gefahr besteht, dass in den nächsten zehn
Jahren wieder nichts passiert.“
Auf die Frage, wie in Europa Märkte für Reyclingmaterial geschaffen oder
ausgebaut werden können, liefert das Kreislaufwirtschaftspaket ebenfalls
keine Antworten. Schon lange bemängeln Wirtschaftsverbände, etwa der
Bundesverband der Entsorgungswirtschaft BDE, dass die Nachfrage für
hochwertige Recyclingprodukte – wie bestimmte Kunststoffgranulate – viel
geringer sei als das Angebot. Immer wieder keimen in der Industrie Zweifel
an der Qualität von Sekundärrohstoffen, außerdem sind sie teils teurer als
ihre Primärkonkurrenz. Als Sekundärrohstoffe werden Recyclingmaterialien
bezeichnet; Primärrohstoffe werden in der Natur gewonnen, etwa als Erdöl.
BDE-Verbandspräsident Peter Kurth fordert daher, die Hersteller von
Industrie- und Konsumgütern zu verpflichten, beispielsweise ein Viertel
Recyclingmaterial in ihren Produkten einzusetzen. Eine Quote also nicht nur
für den Müll, sondern auch für die Produktion.
Die Idee ventiliert man auch in der Bundesregierung. Im Koalitionsvertrag
von Union und SPD heißt es: „Wir wollen, auch im Rahmen des europäischen
Kreislaufwirtschaftspakets und der weiteren Arbeiten an der europäischen
Plastikstrategie … die Einsatzmöglichkeiten für recycelte Materialien
verbessern und entsprechende Anreize sowie mögliche gesetzliche Pflichten
prüfen“. Als möglicher Weg werde auch eine Quote für Sekundärmaterial
diskutiert, noch hält man die Idee dort aber für zu unausgereift.
Für „Blabla“ hält Abfallexperte Obermeier den Teil des Kreislaufpakets mit
Vorgaben zur Abfallvermeidung. Die Mitgliedstaaten sollen Maßnahmen
bewerben, befördern, unterstützen, die dazu führen, dass Dinge weniger
verpackt, länger genutzt oder häufiger repariert werden. Konkrete Vorgaben,
wie etwa Quoten, fehlen hier. „Seit Jahren wird darüber geredet, dass wir
Produkte länger nutzen müssen, aber es ändert sich überhaupt nichts“, sagt
Claudio Vendramin von der Recyclingbörse Herford.
Ganz im Gegenteil verliert das Thema in der Wirtschaft an Bedeutung. Nach
Zahlen des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie hat sich der
Anteil der Patente zum Thema „Reparierbarkeit“ seit 20 Jahren halbiert. Nur
2,1 Prozent aller Elektrogeräte werden nach ihrer ersten Nutzungsphase auf
Vordermann gebracht und dann weiterverwendet.
In einem breit angelegten Forschungsprojekt in Berlin wollen die
Wuppertaler Nachhaltigkeitsforscher nun herausfinden, wie sich ein
funktionierender Markt für alte, reparierte Dinge aufbauen lässt. Der
Ostwestfale Vendramin versucht das schon länger; im vergangenen Jahr hat er
daher eine Dachmarke für Second-Hand-Kaufhäuser initiiert. Inzwischen sind
14 Betriebe mit 58 Filialen Mitglied bei WIRD, den „Wiederverwendungs- und
Reparaturzentren in Deutschland“, 12 davon in Nordrhein-Westfalen. Derzeit
überlegen sie in Herford, wie sie ihr Label weiterentwickeln können.
Rückenwind durch das neue Kreislaufwirtschaftspaket aus Brüssel bekommen
sie dabei nicht.
18 Apr 2018
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
## TAGS
Müll
Abfall
Europäische Union
Recycling
Abfallwirtschaft
Dieselskandal
Schadstoffe
Obst und Gemüse
Abfall
Müll
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