# taz.de -- Naturstrom-Chef Oliver Hummel: „Für viele ist die Energiewende d… | |
> Den Akteuren auf dem Ökostrom-Markt wird es nicht leicht gemacht, sagt | |
> Vertriebsvorstand Oliver Hummel von der Naturstrom AG. | |
Bild: Voll natürlicher Naturstrom | |
taz: Herr Hummel, in einem Satz: Was ist an der Naturstrom AG anders? | |
Oliver Hummel: Wir orientieren uns nicht nur am Gewinn, wir wollen auch | |
übergeordnete Ziele erreichen und die Welt ein Stück verbessern. | |
Muss das jede unterschreiben, die bei Ihnen anfängt? | |
Unsere Mitarbeiter sind schon noch sehr ökologisch ausgeprägt, aber wir | |
haben hier das ganze Spektrum von den ganz Überzeugten bis zu solchen, die | |
das irgendwie gut finden. Wir machen mit niemandem den Ökotest. | |
Womit verdient Naturstrom das Label „öko-soziales Unternehmen“? | |
99 Prozent trägt unser Kernangebot dazu bei. Ökostrom ist ein nachhaltiges | |
Produkt, und unser Ziel ist es, die Erneuerbaren Energien voranzubringen | |
und damit die Energiewende insgesamt. | |
Was ist mit dem restlichen 1 Prozent? Wie nachhaltig ist das Unternehmen | |
selbst? | |
Ökonomisch haben wir durchaus eine Gewinnerzielungsabsicht, aber eine | |
langfristige. Viele neue Geschäftsfelder verursachen erst einmal | |
Anlaufkosten und werden dann nach ein paar Jahren wirtschaftlich. Wir sind | |
zwar eine Aktiengesellschaft, aber von den rund 1.266 Aktionären sind 261 | |
Mitarbeiter und die meisten Kleinstaktionäre mit weniger als 1 Prozent | |
Anteil. Die Aktien werden nicht börslich gehandelt und es gab schon sehr | |
lange keine öffentliche Kapitalerhöhung mehr. Viele Aktionäre sind Kunden | |
der ersten Stunde und Überzeugungstäter. Deswegen beschwert sich auch | |
niemand auf der Hauptversammlung, die Ausschüttung sei nicht hoch genug. | |
Stattdessen wird inhaltlich diskutiert: Wo haben wir einen neuen Windpark | |
gebaut? Welche anderen Projekte wurden neu angeschoben? | |
Warum lassen Sie das Unternehmen nicht zertifizieren, beispielsweise nach | |
den Kriterien der Gemeinwohlökonomie? | |
Prinzipiell finde ich die Idee gut. Aber wir haben uns bisher wegen des | |
zusätzlichen Dokumentationsaufwands dagegen entschieden. Wir müssen ohnehin | |
zunehmend mehr dokumentieren und mit den neuen Anforderungen im Datenschutz | |
nimmt das noch weiter zu. Für uns ist die Frage: Wird die Dokumentation zum | |
Selbstzweck oder bringt sie uns in der Praxis weiter? Außerdem glaube ich | |
nicht, dass sich jemand gegen uns entscheidet, weil uns ein Siegel oder | |
Test fehlt, davon haben wir genug. Wenn wir Kunden verlieren, dann am | |
anderen Ende des Marktes, wo es nur noch um den Preis geht. | |
Heute bietet jedes Stadtwerk und jeder Discounter Ökostrom. Ist das gut | |
oder schlecht? | |
Beides. Grundsätzlich ist es gut, dass inzwischen jeder Anbieter die | |
Erwartung der Kunden spürt, Ökostrom anzubieten. Aber viele Tarife bringen | |
dem Klima und der Umwelt gar nichts. Die Frage ist: Wo kommt der Strom her? | |
Und wird wirklich zusätzlicher Ökostrom erzeugt? Da wünsche ich mir mehr | |
Ehrlichkeit: Besser gar keinen Ökostromtarif anbieten, als eine scheinbare | |
Lösung zu präsentieren, die nichts ändert. Klar ist aber auch, dass dieser | |
fromme Wunsch wohl utopisch ist. | |
Wo gibt es den schlimmsten Etikettenschwindel? | |
Betreiber von ungeförderten Ökostrom-Anlagen erhalten Herkunftszertifikate, | |
die sie unabhängig vom erzeugten Strom europaweit verkaufen können. Die | |
meisten Zertifikate kommen aus norwegischen Wasserkraftwerken. | |
Stromanbieter können diese Zertifikate für einen Spottpreis kaufen und | |
damit den Graustrom, den sie an der Leipziger Strombörse gekauft haben, in | |
Ökostrom umetikettieren. Die Praxis ist legal, aus unserer Sicht aber | |
trotzdem hart an der Grenze zur Verbrauchertäuschung. All das wäre | |
vielleicht noch akzeptabel, wenn dafür dort, wo das Zertifikat herkommt, | |
neue Anlagen gebaut würden. Aber das passiert nicht, weil die Zertifikate | |
viel zu billig sind und keinerlei Anreiz schaffen. Für die Energiewende ist | |
das also eine Nullrunde, denn die Ökostrommenge bleibt die gleiche. | |
Was ist da schief gelaufen? | |
Im Moment fehlt der große emotionalisierende Anlass, der während der | |
Atomausstiegsdiskussion dazu führte, dass die Menschen aktiv wurden und | |
dachten: Hier liegt seit fünf Jahren der Flyer mit dem Ökostrom-Vertrag – | |
und jetzt fülle ich den aus. 2011, im Jahr des Unglücks von Fukushima, | |
haben wir unsere Kundenzahl von 100.000 auf 200.000 verdoppelt, in manchen | |
Wochen gewannen wir 10.000 Neukunden, so viel wie in den ersten zehn Jahren | |
zusammen. Bis heute sind es 240.000 geworden, die Wechselwelle ist also | |
wieder etwas abgeflaut. Erstaunlich ist, dass viele Menschen mittlerweile | |
das Gefühl haben, die Energiewende sei irgendwie schon fast geschafft und | |
dabei völlig übersehen, dass wir zwar im Strom schon Fortschritte gemacht | |
haben, aber bei Wärme und Mobilität noch ganz am Anfang stehen. | |
Aber dafür hat die Anti-Braunkohle-Bewegung einigen Zulauf, Stichwort Ende | |
Gelände. Sind die Feinde von RWE nicht unbedingt die Freunde von | |
Naturstrom? | |
Doch, aber nicht alle kaufen dann auch unsere Produkte. Viele jüngere | |
Menschen gehen auf die Demos. Die Käufer grüner Stromprodukte sind eher | |
Mitte 40. Vielleicht liegt es daran, dass junge Leute noch häufiger | |
umziehen. Oder sie denken, es wäre eine Geldfrage, was eigentlich gar nicht | |
der Fall ist. Aber das Thema Kohle bewegt die Massen auch noch nicht so | |
stark wie Atom. | |
Das sogenannte Premium-Qualitäts-Segment, zu dem Sie Ihren Ökostrom zählen, | |
wächst seit zwei, drei Jahren nicht mehr. Damit können Sie – auch als | |
nachhaltiges Unternehmen – nicht zufrieden sein. | |
Nein. Denn bei uns ist ja anders als wenn ich zum Beispiel als | |
Autohersteller wachse, eine Million Autos mehr verkaufe und dafür mehr | |
Ressourcen verbrauche. Je mehr wir verkaufen, desto besser ist das für das | |
Klima und die Umwelt, das ist also nicht nur unser wirtschaftliches Ziel. | |
Was ist Ihre Strategie, um als Unternehmen zu wachsen? | |
Wir sind dabei, uns breiter aufzustellen. Als wir vor 20 Jahren gegründet | |
wurden, war das dominierende Thema die Versorgung mit Ökostrom, den es | |
vorher nicht gab. Damit versorgen wir heute etwa 240.000 Kunden. 2010 haben | |
wir ein Biogas-Angebot eingeführt – der Markt hinkt dem Öko-Strommarkt | |
etwas hinterher. Hier sehen wir viel Potenzial, wir haben bislang knapp | |
25.000 Kunden und gewinnen 3.000 bis 4.000 im Jahr dazu. Außerdem | |
projektieren, bauen und betreiben wir auch Windkraft- und | |
Photovoltaik-Anlagen. Seit dem vergangenen Jahr können wir ein Drittel der | |
Strommenge, die wir unseren Kunden verkaufen, selbst erzeugen. Und am | |
stärksten sind wir zuletzt bei der dezentralen Energie gewachsen, also | |
dort, wo Stromerzeugung und -verbrauch nah beieinander liegen. Ob | |
Mieterstrom mit der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach, die | |
Kraft-Wärme-Kopplung-Anlage im Keller oder ganze Quartiere, wo es um | |
Wärme-, Strom- und Kälteversorgung der Gebäude geht wie im Möckernkiez in | |
Berlin, wir decken mittlerweile ein sehr breites Angebotsspektrum ab. | |
Welche Rolle spielen Bürgerenergieprojekte dabei? | |
Die Bürgerenergie ist für uns ein zentraler Pfeiler der Energiewende. Daher | |
unterstützen wir seit Jahren vielen Bürgerenergie-Gesellschaften. Denn die | |
Energiewende heißt für uns nicht nur die Umstellung auf Erneuerbare | |
Energien, sondern auch ein große, bürgernahe Akteursvielfalt. Weg von drei, | |
vier Konzernen, die noch vor 15 Jahren etwa 90 Prozent der Kraftwerke | |
hatten, zu Millionen von Bürgern, die an der Energieerzeugung beteiligt | |
sind. | |
Was genau hat Naturstrom von Bürgerenergie? | |
Ein Geschäft ist sie für uns nicht, wir verstehen unser Engagement eher als | |
gesellschaftliche Aufgabe. Wir haben viele Bürgerenergie-Gesellschaften | |
beraten, auch ohne Vergütung. Im Idealfall spricht uns eine | |
Bürgerenergiegenossenschaft an, ob wir als Partner in ihr Projekt | |
einsteigen wollen. Wenn es ein Projekt gibt, profitieren die Regionen und | |
der Mittelstand dort – über die Installation von Anlagen, Serviceaufträge, | |
Reparaturen – die Wertschöpfung bleibt vor Ort. | |
Viele Energiegenossenschaften und kleinere Projekte kommen nicht richtig in | |
Gang. Woran hapert es? | |
Die Bundesregierung will große Konzerne, die stabil und international | |
wettbewerbsfähig sein sollen, statt auf Akteursvielfalt, die Einbeziehung | |
möglichst vieler Bürger und die Verankerung in der Region zu setzen. Das | |
hat sich zum Beispiel bei den neuen Ausschreibemodellen für die | |
Ökostromförderung gezeigt: Die EU hatte die Möglichkeit eingeräumt, | |
kleinere Projekte bei den Ausschreibungen auszuklammern und weiter mit | |
festen Sätzen zu fördern. Die Bundesregierung aber will diese Entlastung | |
nicht und schaltet auf stur. Oder sie macht Gesetze einfach nicht | |
konsequent, wie jetzt beim Mieterstrom. Das größte Problem aber ist: Die | |
Rahmenbedingungen ändern sich ständig. Selbst wenn man als Unternehmen | |
alles richtig macht, kann einem eine neue Änderung den Boden wegziehen. | |
Vor der Naturstrom-Zentrale stehen Ladesäulen. Wie gut passt E-Mobilität | |
zur Energiewende? | |
Wir sind in diesem Feld schon seit einigen Jahren engagiert. Und jetzt ist | |
langsam absehbar, dass der Knoten platzt. Unsere Rolle ist dabei primär, | |
den Öko-Strom zum Fahren zu liefern. Denn der Austausch eines sparsamen | |
Benziners gegen ein E-Mobil bringt der Umwelt und dem Klima ja nichts, wenn | |
es mit konventionellen Strom fährt. Mit dem Verleih von 50 E-Lastenrädern | |
in Köln tasten wir uns außerdem daran heran, eigene nachhaltige | |
Mobilitätsdienstleistungen anzubieten. | |
Wir haben bislang in Deutschland 30 Prozent Strom aus Erneuerbaren Quellen. | |
Das reicht doch nie für eine Verkehrswende. | |
Nein, und da merkt man, dass die Energiewende noch am Anfang steht und | |
nicht etwa, wie aktuell viele Menschen zu denken scheinen, fast abgehakt | |
ist. Wir werden deutlich mehr Strom brauchen, nicht nur für E-Mobile, auch | |
für die Energiewende im Wärmemarkt. Wenn man den Energiebedarf für Strom, | |
Wärme und Mobilität zusammen nimmt, haben wir tatsächlich in Summe erst | |
etwa 10 Prozent Energie, die heute nachhaltig erzeugt wird. Da muss auch | |
die Regierung noch richtig anpacken und nicht weiter zögern und bremsen. | |
Wie bekommt man es hin, dass der Strom für die E-Mobilität künftig nicht | |
von RWE und Eon kommt? | |
Jemand der ein E-Mobil kauft, will damit ein Statement abgeben: Seht, ich | |
bin innovativ, ein Vorreiter. Für den ist es dann peinlich, wenn er auf die | |
Frage, wo sein Strom herkommt, sagen muss: aus dem Kohlekraftwerk. | |
Innovation und Erneuerbare gehören da untrennbar zusammen. Vielleicht | |
bietet diese Logik auch die Möglichkeit, dem Umbau insgesamt wieder einen | |
Schub zu geben: Energiewende ist nicht dieses Klein-klein aus Paragraphen | |
und Fördergeldern, sondern auch ein gesellschaftliches Projekt, das Spaß | |
macht. | |
18 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Beate Willms | |
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