| # taz.de -- Bremer Fanbetreuer über Stadionkultur: „Auch Ultras gehören kri… | |
| > Thomas Hafke leitete 30 Jahre das Bremer Fanprojekt, nun wurde ihm | |
| > gekündigt. | |
| Bild: Geht doch: Werder-Bremen-Spieler bedanken sich im Dezember 2017 bei den e… | |
| taz: Herr Hafke, wie geht es Ihnen? | |
| Thomas Hafke: Naja, den Umständen entsprechend. | |
| Warum? | |
| Ich bin das erste Mal arbeitslos. Das ist sehr unangenehm. Gespräche mit | |
| dem Arbeitsamt, der ganze Behördenkram. Ohne Arbeit fehlt Struktur, alles | |
| ist schwammig. Manchmal weiß ich gar nicht, welcher Wochentag ist. | |
| Das Fanprojekt, wo sie seit 1988 arbeiteten, hat Ihnen zum 1. April | |
| gekündigt. Warum? | |
| Es gab immer Konflikte bei Teambesprechungen. Ich habe gewisse Dinge anders | |
| gesehen als meine Kollegen und sie warfen mir vor, dass ich den Kontakt zu | |
| den Ultras verloren hätte. Und dann gab es da noch die Geschichte nach dem | |
| Abschiedsspiel für Torsten Frings vor fünf Jahren und die Frage, wie man | |
| mit Gewalt von linken Ultras umgeht. | |
| Was war da los? | |
| Nach der Partie trauten sich ein paar Neonazis von der Fangruppe Farge Nord | |
| in die Räume des Fanprojekts, die wollten sich da wohl ein Bier holen. | |
| Antifaschistische Ultras haben das mitbekommen und die Rechten dann im | |
| Ostkurvensaal attackiert – obwohl ich immer gesagt habe: „Das könnt ihr | |
| nicht machen, da kann wer weiß was passieren! Sagt mir Bescheid, wenn Nazis | |
| kommen. Ich bin der Hausherr im Ostkurvensaal und ich schmeiß die auch | |
| raus, habe ich kein Problem mit.“ Aber trotzdem griffen sie die Rechten an. | |
| Warum war das ein Problem für Ihre Arbeit? | |
| Es ist fast jemand umgekommen und zwar ein Unbeteiligter, den ich als | |
| Besucher mit in den Ostkurvensaal genommen hatte. Ich hatte nach einer | |
| Aktion für Werder-Fans mit Behinderung einen Rollstuhlfahrer in den | |
| Ostkurvensaal eingeladen. Dort habe ich uns hinterm Tresen zwei Bier | |
| eingeschenkt. Als ich mit dem Rücken zum Raum stand, hörte ich auf einmal | |
| Unruhe. Als ich zum Tumult ging, war schon alles geschehen: Der | |
| Rollstuhlfahrer lag auf dem Boden und hat sich nicht mehr gerührt. Zum | |
| Glück waren Sanitäter in der Nähe. Die haben ihn ins Foyer gezogen und mit | |
| Elektroschocks wiederbelebt. Er hatte bei der Hauerei wohl einen Stehtisch | |
| an den Kopf bekommen, ich habe das nicht gesehen, sah ihn nur dort liegen. | |
| Er kam nach der Reanimation ins Krankenhaus und lag noch über Nacht im | |
| Koma. Am nächsten Tag wachte er zum Glück wieder auf. Das war echt Horror. | |
| Ich fragte mich, ob ich überhaupt noch weiterarbeiten kann, wenn er | |
| womöglich gestorben wäre. | |
| Wie ging die Situation im Ostkurvensaal weiter? | |
| Es kamen Ordner in den Saal, die inzwischen mitbekommen hatten, dass es | |
| eine Schlägerei gab. Die sind reingerannt wie die Bescheuerten. Das Ganze | |
| artete in eine richtige Saalschlacht aus. Ein Ordner holte noch wie irre | |
| seinen Gürtel hervor und wickelte sich den ums Handgelenk, um damit | |
| zuzuschlagen. Die Ultras haben auch ausgeteilt – es war ein einziges Chaos. | |
| Wie wurde daraus ein interner Konflikt im Fanprojekt? | |
| Ich habe am nächsten Tag den Verletzten im Krankenhaus besucht und bin | |
| danach zu den szenekundigen Polizeibeamten, den SKBs, gegangen, weil ich | |
| mit denen reden wollte. Die machten daraus aber gleich ein Verhör. Ich | |
| dachte, ich komme da eh nicht drumherum und habe eine Aussage gemacht. Das | |
| war natürlich für viele Ultras, aber auch Kollegen ein Problem: ein | |
| Mitarbeiter beim Fanprojekt, der bei der Polizei aussagt. | |
| Glauben Sie, dass das Fanprojekt zu konfliktscheu gegenüber Ultras ist? | |
| Ja, zur sozialen Arbeit gehört auch, Ultras zu kritisieren, und einzelnen | |
| auch mal ein Hausverbot zu erteilen. Wenn Ultras gewalttätig sind, musst | |
| du Grenzen setzen. Es ist ja nicht so, dass die alle nur nette, alternative | |
| Linke sind. Das hat man auch bei der Prügelei an der „Schänke“ im | |
| vergangenen Dezember gesehen. Das war eine ähnliche Situation wie damals | |
| nach dem Frings-Spiel: Natürlich waren da auch ein paar Essener Hooligans | |
| in der Kneipe, die wissen, wie man sich kloppt und das geil finden. Für die | |
| anderen Gäste ist das aber natürlich scheiße – da hätte wer weiß was | |
| passieren können. Und spätestens dann muss man Stellung gegen diejenigen | |
| beziehen, die das gemacht haben. Ich kenne keine Stellungnahme vom | |
| Fanprojekt. | |
| Das Fanprojekt hat die Polizei kritisiert, weil diese wohl die rechten | |
| Hools nach dem Spiel aus den Augen verloren hatten. | |
| Die Polizei kann ja nicht immer vor den Ultras laufen und Hooligans | |
| wegräumen. Es stimmt einfach nicht, dass immer nur die Polizei schuld ist. | |
| Da macht man es sich einfach. Das Feindbild ist eh groß genug, das sollte | |
| man als Fanprojekt nicht auch noch fördern. Man kann nicht nur offene | |
| Briefe gegen die Polizei schreiben. | |
| War das Verhältnis zur Polizei denn schon mal besser? | |
| Es wäre schön, wenn es wieder einen Dialog gäbe. Aber das sehe ich | |
| mittlerweile nicht mehr. Damals nach dem Ostkurven-Überfall, als | |
| Nazi-Hooligans junge linke Ultras überfallen hatten, kniete sich der bei | |
| der Polizei zuständige Rainer Zottmann richtig rein, um in den Dialog zu | |
| kommen. Inzwischen gibt es von Seiten der Polizei leider eine ganz andere | |
| Strategie, es gibt neue SKBs, die überhaupt keine Zugeständnisse mehr | |
| machen. Die alten haben sich auf Deals eingelassen, so nach dem Motto: Ihr | |
| dürft diesen Weg hier langgehen, aber dafür müsst ihr am Bahnhof ruhig | |
| sein. Die neuen SKBs sind eigentlich nur noch auf Investigation und | |
| Repression aus. | |
| Wie hat sich die Fanarbeit im Laufe der Zeit verändert? | |
| Politische Bildung hat mit den Jahren zugenommen. Früher gab es weniger | |
| Interesse daran von Seiten der Fans, aber mit dem Aufkommen der Ultras und | |
| der Spaltung der Fanszene 2006 kristallisierten sich in Bremen immer mehr | |
| Gruppen heraus, die sich als politisch verstanden und die rechte Hooligans | |
| aus der Kurve drängten. Ich habe dann die Anti-Diskriminierungs-AG mit Fans | |
| gegründet und da haben wir uns mit allen Diskriminierungsformen beschäftigt | |
| und sogar Fans anderer Vereine fortgebildet. Selbst die Ordner in unserem | |
| Stadion haben wir geschult und ihnen rechte Symbolik beigebracht, damit die | |
| wissen, wie die Nazi-Marke Thor-Steinar aussieht. | |
| Wie Nazi-Klamotten aussehen, war aber im Fanprojekt nicht immer wichtig. | |
| Die Nazi-Band Kategorie C durfte dort sogar mal auf der Weihnachtsfeier | |
| spielen. Wieso? | |
| Wir haben natürlich auch Fehler gemacht. Die Antifa hatte natürlich | |
| vollkommen recht mit ihrer Kritik an akzeptierender Jugendarbeit. Der | |
| Vorwurf lautete ja, dass man Glatzen gestreichelt hatte – aber das geht | |
| genauso wenig mit Ultras, die gewaltbereit sind. Natürlich muss man die vor | |
| Nazis schützen, keine Frage. Aber man sollte sie nicht noch schützen, wenn | |
| sie Scheiße gebaut haben. Aber richtig akzeptierende Jugendarbeit haben wir | |
| im Bremer Fanprojekt auch nie gemacht. Uns gab es ja schon vorher. | |
| Sind Sie Werder-Fan? | |
| Nein. Allerdings bin ich keine 500 Meter vom Stadion geboren und | |
| aufgewachsen. Als Kind bin ich öfter zur zweiten Halbzeit ins Weserstadion, | |
| wenn sie die Tore geöffnet hatten. Aber irgendwann habe ich mich weniger | |
| für Fußball als für Mädchen und Politik interessiert. Für Letzteres habe | |
| ich an der Schule damals von Nazis und Grauen Wölfen richtig aufs Maul | |
| gekriegt, weil ein Lehrer mich vor der Klasse „Kommunist“ nannte. | |
| Wie kamen Sie dann zurück zum Weserstadion? | |
| Ich habe 1985 Sozialwissenschaften studiert, mich mit Soziologie und | |
| Sozialpsychologie beschäftigt. Als 1987 die DVU ins Bremer Parlament kam, | |
| fand ich das interessant, und fragte mich, wer die auf einmal wählt. Ein | |
| Kommilitone meinte: Probiere es mal im Fanprojekt – die arbeiten mit | |
| solchen Leuten. Ich kannte keine rechten Skins und habe dann ein Praktikum | |
| im Fanprojekt gemacht. Ich fand die Arbeit sehr spannend und kam gut mit | |
| Fans zurecht. Später schrieb ich meine Diplomarbeit über Hooligans und den | |
| sozialen Wandel im Fußball. | |
| Welche Konzepte verfolgten Sie als Sozialwissenschaftler in der Fanarbeit? | |
| Aufsuchende Arbeit, die offene Tür, Gruppenarbeit, politische Bildung, und | |
| ganz wichtig: „Sitzen ist für’n Arsch.“ Der DFB-Präsident Neuberger wol… | |
| Ende der Achtziger nach der Katastrophe von Hillsborough die Stehplätze | |
| abschaffen. Auch im Weserstadion war die Abschaffung schon geplant. Wir | |
| haben die Fans alarmiert – die sind vom Glauben abgefallen. Dann | |
| entwickelten wir ein Alternativmodell mit Stehplätzen und Räumen für Fans | |
| im Stadion, sind damit bundesweit auf Tour gegangen und haben auch in | |
| anderen Fanszenen Anklang gefunden. Schließlich gab es eine Riesendemo von | |
| Fußballfans verschiedener Vereine vor der DFB-Zentrale in Frankfurt und die | |
| Stehplätze blieben erhalten. | |
| Und die Tiefpunkte? | |
| Für mich die WM 1998, als deutsche Hooligans einen französischen Polizisten | |
| fast totschlugen. Ich war als Fan-Arbeiter vor Ort in Lens. Die deutschen | |
| Hooligans sind über die Hauptstraße marschiert und grölten: „Wir sind | |
| wieder einmarschiert.“ Dann haben sie draußen an Cafés Stühle, Tische und | |
| Leute weggetreten. Als die Polizei eingriff, war sie überrascht von der | |
| Masse der Hooligans und hat sich zurückgezogen. Außer Daniel Nivel. Der | |
| blieb stehen. Die Hools haben ihm den Schädel eingeschlagen. Ich brach die | |
| Fanarbeit für die WM ab, konnte nicht weitermachen. Frankreich ist meine | |
| zweite Heimat. | |
| Waren Sie selbst Gewalt ausgesetzt? | |
| Ich wurde von Nazis attackiert. Die haben mich immer mal wieder | |
| terrorisiert. Ich habe eine Backpfeife von einem Standarte-Mitglied vor dem | |
| OstKurvenSaal einstecken müssen und hatte einige Male eine drohende Faust | |
| vor dem Gesicht. „Hafke, wir kriegen dich!“-Sprüche waren auch keine | |
| Seltenheit. Es gab auch mal Steckbriefe, die mich als „Antifa-Gewalttäter“ | |
| bezeichneten. | |
| Würden Sie rückblickend nochmal den gleichen Beruf wählen? | |
| Beim Fußball erlebst du natürlich unglaublich viel. Ich war mit Werder-Fans | |
| auf Welt- und Europameisterschaften. Wir sind auch mal zu einem Länderspiel | |
| nach Holland gefahren, wo ich erst mit zahnlosen und randalierenden | |
| Skinheads aus dem Osten in der Kurve stand, nur um anschließend vom | |
| niederländischen Fußballverband in die Königliche Loge eingeladen zu | |
| werden, wo ich den holländischen Kronprinzen mit einem Bediensteten | |
| verwechselte und ihn nach dem Weg fragte. Diese Spannweite zeigt sehr | |
| schön, was meinen Beruf ausgemacht hat. | |
| Schon eine Idee, wie es jetzt weitergehen könnte? | |
| Ja, ich habe meine freie Zeit genutzt, um ein Konzept zu schreiben. Es | |
| geht darum, mit Jugendlichen zum Thema Antisemitismus zu arbeiten. Derzeit | |
| such ich nach einem Träger. | |
| 16 Apr 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Gareth Joswig | |
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