# taz.de -- Skandal-Justiz: Milde sorgt für Zorn | |
> Weil das Amtsgericht im Ostkurvensaal-Prozess einen rechtsradikalen | |
> Überfall verharmlost, demonstriert am Mittwoch ein Bündnis gegen die | |
> Entpolitisierung der Justiz. | |
Bild: Wer antirassistische Fan-Choreografien durchführt, riskiert Prügel und … | |
Breite Empörung haben staatsanwaltliche Ermittlungen, Prozessführung und | |
der vom Amtsrichter in Aussicht gestellte Deal im sogenannten | |
Ostkurvensaal-Verfahren ausgelöst. Eine Demo protestiert am Mittwoch gegen | |
die Entpolitisierung des Prozesses, Lidice-Haus und Fan-Projekt rügten das | |
erkennbare richterliche Interesse, den Überfall auf linke Fußball-Fans als | |
Bagatelle abzuhandeln. Zugleich thematisierten Bürgerschaftsfraktionen den | |
Vorgang. | |
Das jedoch nicht immer eindeutig: So forderte Gabi Piontkowski (CDU) "einen | |
Bericht" für die nächste Rechtsausschuss-Sitzung an, erteilte aber schon | |
vorab sowohl Staatsanwaltschaft als auch Amtsgericht Absolution: Beide | |
nähmen "Aufgaben mit einem hohen Verantwortungsbewusstsein wahr", teilte | |
sie mit. Während die Koalition sich zum Vorgang bislang nicht geäußert hat, | |
nannte Grünen-Fraktionschef Matthias Güldner auf seinem Privatblog den | |
Vorgang einen "Justizskandal". Härter noch und in ihrer offiziellen | |
Funktion als Vorsitzende der Linksfraktion ging Kristina Voigt mit der | |
bremischen Justiz ins Gericht: Diese habe sich entschieden, Täter aus dem | |
Nazi-Spektrum zu schützen und damit "die jugendlichen Opfer des Überfalls | |
auf den Ostkurvensaal verhöhnt". Gehe der Prozess, wie sich abzeichnet, am | |
zweiten Verhandlungstag mit niedrigen Geldstrafen zu Ende, sei das | |
"politisch nicht zu akzeptieren". | |
Juristisch wirft es schon jetzt Fragen auf. Denn bei der Tat Mitte Januar | |
2007 lag das politische Motiv offen zu Tage: Die Veranstaltung im | |
Ostkurvensaal des Weserstadions war die Geburtstagsparty der bekennend | |
linken Werder-Fan-Gruppe "Racaille Verte" ("Grünes Gesocks"). Und die | |
Hooligans, die jene Feier sprengten, sind Größen der Bremer Nazi-Szene, | |
gehören der "Standarte 88" an oder bewegen sich im Umfeld des nicht minder | |
braunen "Nordsturm Brema". | |
Eine Horde von 20 Angreifern stürmte den Raum, prügelte mit Stühlen und | |
Flaschen auf die Feiernden ein, isolierte einzelne Gäste, um sie mit | |
Tritten und Schlägen zu traktieren. Fliehende wurden über den Osterdeich | |
gehetzt. Zwei Schwer-, 40 Leichtverletzte. Und auf einschlägigen | |
Internetseiten war kurz darauf eine Art Bekennerschreiben zu lesen, nachdem | |
es sich bei dem Überfall um eine Racheaktion "für die linke Stadionpolitik" | |
der "Racaille Verte" gehandelt habe. Die hatten Fan-Choreografien gegen | |
Rassismus und Sexismus durchgeführt - und maßgeblich dafür gesorgt, dass | |
Kleidung von unter Rechtsextremisten beliebten Modelabels nicht mehr im | |
Weserstadion toleriert wird. | |
Die Staatsanwaltschaft hat das als "Hausfriedensbruch in Tateinheit mit | |
schwerer Körperverletzung" angeklagt. Dass die Bildung einer | |
terroristischen Vereinigung auch für Rechtsradikale verboten ist, hat sie | |
offenkundig vergessen. Und dass mit der Verfolgungsjagd auf öffentlichem | |
Terrain die Tat vom Haus- zum Landfriedensbruch wurde, blieb | |
unberücksichtigt. | |
Auf offenkundige Einschüchterungsversuche von Zeugen im Saal reagierte der | |
vorsitzende Amtsrichter am Donnerstag gelassen bis gar nicht. Beeindruckt | |
zeigte er sich hingegen von der Auffassung der Verteidiger, es habe sich um | |
eine "szenetypische Prügelei" gehandelt. Und als Verursacher für die lange | |
Verfahrensdauer - vier Jahre und acht Monate von der Tat bis zum | |
Prozessbeginn - hatte er ohne Weiteres die Opfer ausgemacht. Deshalb | |
stellte er Geldstrafen unter 90 Tagessätzen in Aussicht. | |
"Die Tat war keine Schlägerei zwischen Fußballfans", protestiert nun erneut | |
das Demo-Bündnis. Schon die Vorgänge im Gerichtssaal hätten das | |
eindrucksvoll bestätigt. Die Entpolitisierung der rechten Gewalt durch die | |
Justiz verharmlose "ein gesellschaftliches Problem". | |
Mindestens das Rechtsextremen-Spektakel im Gerichtssaal hält auch | |
Piontkowski für "mit der Würde des Gerichts" unvereinbar. Sie erinnert | |
daran, dass das Gerichtsverfassungsgesetz Möglichkeiten zur | |
Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung vorsieht. Dass der Vorsitzende | |
auf die nicht zurückgriff, dürfe jedoch keinesfalls damit erklärt werden, | |
dass die Bremer Justiz auf dem "rechten Auge blind'" sei. Davon könne nicht | |
die Rede sein, so Piontkowski. | |
Zweifel daran hegt allerdings Andrea Müller vom Lidice-Haus. Er erinnerte | |
daran, dass vor allem der besondere Schutz, der Zeugen in einem politischen | |
Verfahren zugekommen wäre, seitens des Gerichts missachtet wurde. So seien | |
"entgegen allen vorherigen Vereinbarungen" deren "Namen und Anschriften | |
öffentlich genannt" worden: Das hätte selbst in einem einfachen Fall von | |
Hausfriedensbruch kaum passieren dürfen. | |
Als das "völlig falsche Signal" bezeichnete Thomas Hafke vom Fanprojekt den | |
Prozessverlauf. Der beschädige das Rechtsstaatsverständnis der betroffenen | |
Fans. Die müssten nun davon ausgehen, "wieder Zielscheibe von körperlichen | |
Übergriffen" zu werden - ohne Schutz. Dem müssten "alle | |
zivilgesellschaftlichen Gruppen" entgegentreten. Gelegenheit dafür bietet | |
die Demo, die am Mittwoch um 17 Uhr am Weserstadion startet. | |
25 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
Benno Schirrmeister | |
## TAGS | |
Polizei Bremen | |
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