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# taz.de -- Footwork-Album „Still Trippin'“: Zwei Seiten einer Geschichte
> Der Tanz wie die Musik ist auf der South Side von Chicago entstanden. Mit
> seinem Debütalbum präsentiert DJ Taye ein Stück Überschall-Dancefloor.
Bild: In Chicago aufgewachsen: DJ Taye
Ein Sonntag in einem Park auf der South Side von Chicago. Bald wird an
dieser Stelle die Präsidentenbibliothek von Barack Obama stehen, der hier
ein Haus besitzt. Nun dominiert eine Hüpfburg die Szenerie, wie überall
wird auch im Jackson Park Schulanfang gefeiert. Grills rauchen, Bier wird
aus Kühlboxen gereicht – und ein DJ legt Drill auf, den Hip-Hop-Sound der
South Side: lang nachhallende, schlurfende Bassdrums, Orchestersamples,
zischelnde Hi-Hats, monotone, simpel gehaltene Reime.
Zwischendurch zieht das Tempo an, die Hi-Hats zischeln schneller, die
Bassdrum stolpert. Dann tritt ein junger Mann auf die Tanzfläche, seine
Beine folgen der Bassdrum, die Moves werden schneller, bis ihn schließlich
jemand ablöst. Footwork heißt der Tanz, genau wie die Musik. Beide sind auf
der South Side von Chicago entstanden. Auch DJ Taye ist hier geboren und in
der Nähe aufgewachsen.
Als Teenager hat ihm ein Freund Footwork vorgespielt, Videos der
Bud-Billiken-Parade, die alljährlich zu Ehren der afroamerikanischen
Community durch die South Side zieht. RP Boo, der „Godfather of Footwork“,
legt dabei stets auf. Boos Crew trägt beim Picknick im Park eine
Tanz-Battle aus. RP Boo gehört zur Teklife-Crew, einem Kollektiv aus
Produzenten, DJs und Footwork-Tänzern. Im Alter von 16 spielte DJ Taye den
beiden Gründungsmitgliedern, DJ Spinn und dem 2014 verstorbenen DJ Rashad,
seine Tracks vor, seitdem gehört auch er dazu. Rashad sei sein Mentor
gewesen, erzählt DJ Taye heute.
Mit 23 Jahren ist er das jüngste Mitglied der Footwork-Crew und hat gerade
sein Debütalbum veröffentlicht. Es ist ein Meilenstein. „Still trippin’�…
so der Titel seines Debütalbums, trägt Footwork in bislang unbekannte
Galaxien. Trotz des Zusammenhalts der Teklife-Crew haben alle Produzenten
eigene Signature-Sounds. Die minimalistischen Beats von RP Boo bilden den
Kontrast zu den MDMA-geschwängerten Euphorie-Eruptionen der Tracks von
Spinn und DJ Rashad.
Es sind Codes für Insider, die lange in Chicago verfeinert wurden, bevor
sie dank YouTube schließlich auf der ganzen Welt gefeiert wurden. DJ Taye
bringt jetzt den Dirty South in diese Mixe, den Hip-Hop-Sound aus Atlanta.
Auf „Trippin’“, dem Titelstück des Albums, erzählt er mit zurückhalten…
Stimme von Drogen-Trips. Die Sounds stammen aus Videospielen, die Bassdrum
schwankt zwischen tiefenentspannt und der Hektik einer Tanz-Battle. Auf
anderen Stücken plündert DJ Taye die breite Soundpalette des
cannabisgeschwängerten Westküstensounds der Neunziger. Das alles produziert
er nonchalant, so als wären Raps und Reime schon immer Bestandteil von
Footwork gewesen.
## Rhythmische Vielfalt
Herausragend auf „Still Trippin'“ ist die rhythmische Vielfalt. Zu Footwork
müsse man tanzen, erklärt DJ Taye und stellt seine präzise programmierten
Beats in den Mittelpunkt. „Bangers for your legs“, rappt Chuck Inglish auf
„Get It Jukin’“, bevor seine Stimme im Refrain gecuttet wird und der
rhythmischen Untermalung der Beinarbeit dient. Die Tanzfläche ist der
Fluchtpunkt, das hat Footwork mit House und Ghetto-Tech, den anderen großen
afrofuturistischen Dance-Stilen Chicagos, gemeinsam.
Und trotzdem ist „Still Trippin‘“ ein Album, das die Euphorie gegen
Melancholie eingetauscht. Die Reime sind vernuschelt, die Beats werden nie
zum psychedelischen Breakout geschichtet. Denn in „Still Trippin'“ ist auch
eine Niedergangsgeschichte enthalten. „Chicago ist die Stadt mit der
größten Diversität, aber sie ist auch eine der am stärksten segregierten
Städte der USA“, hat DJ Taye im Interview erklärt.
Seine hyperschnelle Musik legt davon Zeugnis ab. Sie erzählt vom
musikalischen Reichtum der afroamerikanischen Communities, die in Chicago
bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts eine einmalige Blütezeit
feiern konnten – und von ihrem ökonomischen Niedergang bis hin zu
Gangkonflikten und der momentan höchsten Mordrate der USA. Zwei Seiten
einer Geschichte der South Side.
24 Mar 2018
## AUTOREN
Christian Werthschulte
## TAGS
Chicago
Dancefloor
Chicago
China
Klanginstallation
Soul
In a Paraventral Scale
Musik
Disco
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