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# taz.de -- Chicagoer Produzent Traxman: Sounds, die die Beine kreisen lassen
> Im Kopf eines Elektronikproduzenten: Das Album „Da Mind of Traxman“ des
> Chicagoer Künstlers Traxman verbindet Uptempohouse mit virtuosen
> Dancemoves.
Bild: Traxman in Chicago: Mit dem T-Shirt huldigt er dem House-Pionier Chip Ebe…
An keinem anderen Dancefloor-Genre lässt sich die seltsame Außenseiterrolle
Chicagos als bedeutende Musikstadt so gut illustrieren wie an Footwork.
Footwork, das ist: Instrumentaler HipHop auf einer Überdosis Ritalin; mit
170 Beats pro Minute; Samples zwischen Soul, Rock und Disco; krass, frontal
und ungezügelt.
Und obwohl Footwork seit mehr als zwei Jahrzehnten in den Schwarzen
Vierteln der Chicagoer West- und Southside den Ton angibt, ist dieser
Hybrid, der seine DNA mit (Ghetto-)House und UK-Garage teilt, immer
Nischenphänomen geblieben. Für eine kurze Zeitspanne, von 2010 bis 2016,
stieg das weltweite Interesse am Sound of Chicago, doch dann verebbte jener
Hype wieder.
Dabei ist Footwork ein Genuss für Ohren und Augen zugleich: Hier pochen die
Kickdrums sportlich, Hi-Hats schwirren durch die Luft, ebenso wie die
Beine von Tänzer*innen, die bei diesem Treiben im Untergeschoss penibel
darauf achten, dass ihre Oberkörper in gekonnt gespielter Lässigkeit an Ort
und Stelle bleiben – schließlich heißt es Footwork. Dass man in Chicago die
schnelleren Töne bevorzugt, ist schon lange bekannt.
## Flashback: Dance Mania Records
Bereits Anfang der 90er Jahre wurden in der Windy City am Michigansee die
Uhren auf über 145 BPM gestellt. Aus Acidhouse wurde Ghetto House und das
Label der Stunde in Chicago hieß Dance Mania. Während die beiden anderen
großen Labels Trax und D. J. International global rezipiert wurden, blieb
der Erfolg von Dance Mania lange Zeit regional.
Ghetto House war vielen zu … proletarisch, zu hart, zu transgressiv, zu
macho: Slang- und Schimpfworte, Gossenausdrücke wie „Pussy, Fuck, Dick,
Ass“ gehörten zum Standardvokabular der Musik. Und Ghetto House blieb dabei
schnell, sehr schnell, geradezu undankbar schnell. Dance Mania und Ghetto
House verschwanden um die Jahrtausendwende in der Versenkung und mit ihnen
DJs und Produzenten wie Cornelius Ferguson alias Corky „Traxman“ Strong.
Ferguson stammt aus der Chicagoer Westside, wuchs in einem Arbeiterhaushalt
auf, dessen einziger Besitz eine Plattensammlung war: Soul, Rock, Jazz –
von Teddy Pendergast bis Miles Davis hörte man zu Hause am liebsten die
Klassiker. Als in den Achtzigern DJing zur Kunst wurde, begann Ferguson im
Kindesalter mit Plattenspielern zu mixen.
## Plötzlich Street-Credibility
Seine erste eigene Vinyl-Produktion „Westside Boogie Traxs, Vol. 1“
erscheint 1996 – da ist er noch ein Teenager. „Dann kam der Niedergang des
House aus Chicago“, erzählte Traxman einmal. „House der ersten Stunde wurde
langweilig, wir kamen mit unserem Sound und die Musik wurde plötzlich
Street.“ Genau jene Street-Credibility ließ Chicago vom Radar verschwinden,
als zeitgleich der französische Filterhouse von Daft Punk und Konsorten mit
einer discoiden Spielart seinen Siegeszug um die Welt antrat.
Für Traxman bedeutet das: Zwischen seiner ersten Single und der nächsten
offiziellen Veröffentlichung liegen 15 Jahre – eine Ewigkeit. Der
Achtungserfolg war 2012 allerdings das Album „Da Mind of Traxman“,
veröffentlicht vom Londoner Mike Paradinas auf dessen Label Planet Mu.
Schon 2010 hatte Paradinas mit der Compilation „Bangs & Works Vol. 1“ dem
Chicagoer Footwork (und seinen inzwischen legendären Produzenten [1][RP
Boo], DJ Rashad, DJ Nate) zur urplötzlichen Popularisierung verholfen.
Danach sprachen Nerds von London über Warschau bis Tokio von dieser
Strukturmusik.
Wie alle großen Strukturmusiken (von Minimal Music bis Grime) basiert auch
[2][Footwork] auf relativ strengen formalen Regeln: Das Tempo wird in einem
engen Rahmen gehalten, die Beatsettings leben von strikter Vorformatierung.
Dafür sind die Texturen nicht nur austauschbar, sondern geradezu volatil:
Auch bei Traxman können Tracks soulig, jazzig, rockig, technoid, nach Rap,
Gospel oder R&B klingen.
## Nach dem Hype ist vor dem Hype
Dementsprechend entsteht Footwork in einer Art Fertigbauweise, ein House,
in dem alle Zimmer gleich aufgeteilt sind, aber Wände, Inneneinrichtung und
Badezimmerausstattung höchst individuell sein können. Nach dem ersten Hype
hatte sich das Interesse der Weltöffentlichkeit 2016 wieder verflüchtigt.
Was wiederum viel damit zu tun hatte, dass mit DJ Rashad 2014 einer der
wichtigsten und eloquentesten Botschafter des Genres verstorben ist – aber
nicht nur.
Footwork birgt durch seinen hohen Formalismus (und manchmal etwas zu rauen
Mix) die Gefahr, zu ermüden. Selbst ein großes Werk wie „Da Mind of Traxman
Vol. 3“ darf zwischen zwei Hördurchgängen gerne einmal ruhen. Dafür drück…
die tiefen Bässe wie eh und je, die flirrenden Beats erkennt man sofort.
Aber was Traxman damit macht, das kann wie in „Trax Da Prophet“ nach dem
Soundtrack eines futuristischen japanischen Videospiels klingen, nach
disruptivem Sample-HipHop („I want you to Ghost“) oder genüsslich die gro�…
Sängerin Carly Simon sampeln. In Chicago lässt man sich ohnehin nicht
reinreden und macht das eigene Glück nicht von Reputation abhängig.
Was zählt, ist das Feedback der Community, dass das Gras derbe fett ist –
und dass die Tänzer ihre Beine kreisen lassen können. Alles andere ist
zweitrangig.
13 Feb 2025
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## AUTOREN
Lars Fleischmann
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Chicago
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