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# taz.de -- Flucht von Myanmar nach Bangladesch: Kaum noch willkommen
> In Bangladesch sucht fast eine Million Rohingya Schutz vor Myanmars
> Militär. Die anfangs positive Stimmung gegenüber Flüchtlingen kippt.
Bild: Unterkünfte für Rohingya-Flüchtlinge in Kutupalong
Cox's Bazar taz | Bis vor Kurzem war Kutupalong ein Ort in Bangladesch an
der Grenze zu Myanmar, den kaum jemand kannte. Heute ist Kutupalong vor
allem Teil des weltweit bekannten sogenannten Megacamps, in dem seit August
fast 1 Million Rohingya Zuflucht vor Verfolgung in ihrer Heimat Myanmar
suchen.
Die UNO hat letztes Wochenende verkündet, dass dort für 2018 umgerechnet
weitere fast 800 Millionen Euro für Nothilfe benötigt werden. Um die
Flüchtlinge allein geht es dabei schon lange nicht mehr.
„Die Hilfsorganiationen zerstören unser Kutupalong“, ruft ein
Lokalpolitiker in ein Mikrofon, das mitten im Ort vor 300 fast
vollbesetzten Plastikstühlen aufgebaut ist. Statt Menschen aus dem
Grenzgebiet einzustellen, würden Entwicklungshelfer aus der Hauptstadt
Dhaka und dem Ausland geholt.
„Wir Einheimische bekommen keine Jobs ab, aber den ganzen Verkehr. Wir
tragen die ganze Last dieser Katastrophe, profitieren tun nur die anderen“,
sagt Mohammed Kashed Nur, ein Geschäftsmann aus dem Grenzgebiet, der den
Protest unterstützt.
Ein paar Meter entfernt schiebt sich ein weißer Jeep von Ärzte ohne Grenzen
an Tuktuks und Straßenhändlern vorbei. Auf der Rückbank blicken drei
westliche Frauen durch ihre Sonnenbrillen stumm auf den Protest. Sie sind
den Ärger der Bevölkerung inzwischen gewohnt. Hilfsorganisationen in Cox’s
Bazar arbeiten jetzt auch an Projekten für die Lokalbevölkerung, um
Spannungen abzubauen.
## Nicht wie im Herbst
Die Stimmung in Bangladesch ist längst nicht mehr so herzlich wie im
Herbst. Damals rissen sich die Bangladescher angesichts der grauenhaften
Bilder und der noch schrecklicheren Geschichten der Rohingya regelrecht
darum, den Flüchtlingen zu helfen.
Während die NGOs sich erst noch organisieren mussten, verteilte die lokale
Bevölkerung selbstlos Kleidung, Wasser und Nahrungsmittel an die Rohingya.
Dabei gehört Bangladesch selbst zu den ärmsten Ländern der Welt. Ein
Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Viele Bangladescher
zieht es selbst ins Ausland.
Zum Höhepunkt des Flüchtlingsexodus im September, als verletzte,
ausgehungerte und erschöpfte Flüchtlinge Tag und Nacht vor Myanmars Militär
in ihr Land flohen, sagte Premierministerin Sheik Hasina: „Wenn wir 160
Millionen Bangladescher ernähren können, dann können wir auch 700.000
Rohingya helfen.“
Manche in Bangladesch hofften damals, Hasina könnte für ihre Menschlichkeit
den Friedensnobelpreis bekommen. So auch Shaina. Im September nahm die
Familie der 27-Jährigen ein junges Rohingya-Mädchen in ihr Haus im
Grenzgebiet auf.
## Rauch über Rohingya-Dörfern
Von der Grenze aus konnte Shaina die Dörfer sehen, von denen die Rohingya
sagen, das Militär habe sie in Brand gesteckt. Inzwischen steigt jenseits
des Grenzflusses kein Rauch mehr auf. Das Rohingya-Mädchen hat seine
Familie wiedergefunden und lebt nun im Flüchtlingslager.
Heute sagt Shaina wie viele andere: „Die Flüchtlinge müssen zurück nach
Myanmar.“ Weil sie weiß, dass den Rohingya dort weiter Verfolgung droht,
schiebt sie schnell nach: „Oder eben anderswohin.“ Wohin weiß sie nicht.
Schon im November haben Myanmar und Bangladesch sich auf eine Rückführung
der Rohingya geeinigt. Das Abkommen ist bisher aber nicht mehr als Show.
Viele Aktivisten haben angesichts der Verfolgung der Rohingya in Myanmar
insgeheim gar nichts dagegen.
Ende des Jahres sollen in Bangladesch Wahlen stattfinden. Bis dahin muss
Premierministerin Sheik Hasina dafür sorgen, dass ihr Volk die
Großzügigkeit gegenüber den Rohingya zumindest mitträgt. „Unsere Kinder
konnten wochenlang nicht zur Schule gehen, weil die mit Flüchtlingen voll
waren“, erzählt in seinem Büro in Cox’s Bazar Flüchtlingskommissar Abul
Kalam. Auf dem Markt kosten manche Lebensmittel dreimal so viel wie noch
vor einem Jahr. Gleichzeitig sankt das Lohnniveau mit der Ankunft der
Flüchtlinge.
## Minderheit in eigener Heimat
Die lokale Bevölkerung sei in ihrer eigenen Heimat zu einer Minderheit
geworden, sagt er. „Dabei sind wir in keiner Weise für diese
menschengemachte Katastrophe verantwortlich.“ Mehr als 1.500 zusätzliche
Regierungsbeamte seien seit der Flüchtlingskrise in die Region Cox’s Bazar
bestellt worden. Sie fehlen nun anderswo im Land.
Organisation und Koordination sind dringend notwendig. Was
Entwicklungshelfer inzwischen nur noch „das Megacamp“ nennen, ist eines der
größten Flüchtlingslager der Welt. Die Ansiedlung ist so schnell und
unkontrolliert gewachsen, dass sogar das Ökosystem gestört ist. So wurden
seit September zehn Menschen von Elefanten totgetrampelt.
Wo die Tiere früher nach Futter suchten, leben heute Flüchtlinge in Zelten
aus Plastikplanen und Bambus. Das Problem könnte sich ausweiten, denn die
Flüchtlinge haben so viel Wald abgeholzt, dass der Lebensraum der Elefanten
ernsthaft bedroht ist. Die UNO baut derzeit 50 Elefantenwachtürme, um die
Campbewohner besser schützen zu können.
Nur ein paar Autominuten von den Camps entfernt führt ein kleiner Weg zum
Haus von Saed Mohammed Kamal. Der Kontrast zum Chaos im Lager könnte größer
nicht sein. Hinter einem großen Tor vor seinem steinernen Haus gibt es
einen Rosengarten. Kamals Frau liebt Blumen.
## Seit Jahrzehnten diskriminiert
Drinnen sitzt an einem mit Zitronentee und Teigbällchen gedeckten Tisch der
47-jährige Geschäftsmann und seufzt. „Die Rohingya können natürlich nicht
ewig hierbleiben“, sagt er. Aber was stattdessen mit ihnen passieren soll,
wisse er auch nicht. Zurück nach Myanmar könne man sie ja nicht schicken.
Manchmal geht er selbst ins Camp, um sich anzusehen, wie viele neue
Toiletten oder Wasserhähne installiert worden sind. Seinen Stiefsohn nimmt
er nie mit, der Krankheiten im Camp wegen. „Nur ihre Hülle ist noch
Mensch“, sagt er über die Rohingya.
Seit Jahrzehnten wird die muslimische Minderheit in Myanmar systematisch
diskriminiert. In den Achtzigern wurde ihnen die Staatsbürgerschaft
aberkannt. Seitdem büßten sie immer mehr Rechte ein. Rohingya sein bedeutet
in Myanmar sich den Zugang zu Schulen und medizinischer Versorgung
erkaufen zu müssen und als Eindringling aus Bangladesch zu gelten.
Seitdem eine Gruppe Aufständischer im Oktober 2016 Polizeiposten angriff,
haftet den Muslimen außerdem das Stigma des Terrorismus an. Seit das
Militär im August besonders hart durchgriff, schließt die UNO Völkermord
inzwischen nicht mehr aus, vor dem Aktivisten schon seit Jahren warnten.
## Doch keine PR-Strategie
400 Kilometer von den Camps entfernt bereitet Bangladeschs Regierung
unabhängig von der internationalen Gemeinschaft im Golf von Bengalen ihre
ganz eigene „Lösung“ des Flüchtlingsproblems vor. Lange Zeit hielten
ausländische Beobachter es für eine PR-Strategie der Regierung, um Rohingya
abzuschrecken nach Bangladesch zu kommen.
Doch seit Kurzem wird nun tatsächlich gebaut auf Thengar Char. Die Insel
soll laut Dhaka Tribune 100.000 Flüchtlinge aufnehmen. Sie gilt als
unfruchtbar und ist noch anfälliger als die Camps für die Zyklone, die
Bangladesch in der Regenzeit regelmäßig heimsuchen und die nächste
Katastrophe für die Rohingya bedeuten könnte.
22 Mar 2018
## AUTOREN
Verena Hölzl
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