# taz.de -- Zum Tag der Pressefreiheit: Die unerschrockenen Reporter | |
> Platz 137 auf der Liste der Pressefreiheit: In Myanmar wird zwei | |
> Reportern der Prozess gemacht, weil sie die Wahrheit über Massaker ans | |
> Licht brachten. | |
Bild: In Handschellen, die eigene Tochter im Arm: Der angeklagte Journalist Kya… | |
YANGON taz | Wa Lone und Kyaw Soe Oo stehen Schulter an Schulter, den | |
Rücken durchgestreckt, den Blick konzentriert nach vorne gerichtet, die | |
Hände in Handschellen. Es ist wieder Mittwoch und in einem stickigen | |
Gerichtssaal in Myanmar wird darüber verhandelt, ob die beiden | |
investigativen Journalismus gemacht oder ihr Volk verraten haben. Jede | |
Woche wird dieser Gerichtssaal in Myanmars größter Stadt Yangon zum | |
Schauplatz eines Kampfs um die Deutungshoheit über einen Konflikt, der als | |
Völkermord in die Geschichte eingehen könnte. | |
Nachdem aufständische Rohingya im August nach jahrzehntelanger Verfolgung | |
mehrere Polizeiposten attackiert hatten, sind fast 700.000 Angehörige der | |
muslimischen Minderheit vor einer Militäroperation aus Myanmar nach | |
Bangladesch geflohen. | |
Es geht um Frauen, die vor den Augen ihrer Kinder von Soldaten vergewaltigt | |
wurden. Es geht um aufgedunsene Leichen, die flussabwärts trieben und | |
Bewohner von Nachbardörfern eine Ahnung davon vermittelten, was ihnen | |
bevorstehen könnte. Und vor allem geht es um ein Massaker an zehn Rohingya, | |
dem Wa Lone und Kyaw Soe Oo gefährlich nahe gekommen sind. | |
Doch darüber wird im Gerichtssaal kein Wort verloren. Thema ist | |
ausschließlich, dass die beiden Reporter von Polizisten geheime | |
Informationen über die Militäroperation in dem Krisenstaat erhalten haben | |
sollen. Wegen Verrat von Staatsgeheimnissen drohen ihnen deshalb 14 Jahre | |
Haft. | |
## In Handschellen im Gerichtsaal von Yangon | |
Vorn auf der Anklagebank zieht Kyaw Soe Oo immer wieder angestrengt die | |
Stirn nach oben. Nichts kann ihn ablenken, mit Ausnahme seiner vierjährigen | |
Tochter. Wenn die zierliche Kleine zu quengeln anfängt, dreht er sich um. | |
Auch nachdem sie den Vater wochenlang nur in Handschellen gesehen hat, | |
schaut sie immer noch ungläubig auf das Metall an seinen Händen, wenn er | |
den Zeigefinger an den Mund legt und sie mahnt, still zu sein. | |
Nicht nur in solchen Momenten sitzt die Anklage wie versteinert unter den | |
schweren schwarzen Roben. Der Staatsanwalt verzieht keine Miene. Im | |
Publikum beugen sich schwitzende Diplomaten zu ihren myanmarischen | |
Mitarbeitern, um zu verstehen, was vor sich geht. Kyaw Soe Oos Tochter | |
krallt sich in den Oberschenkel der Reuters-Anwältin aus New York, die sich | |
nach vorn beugt und Wa Lone etwas ins Ohr flüstert. | |
Am 12. Dezember erhält Antoni Slodkowski, der Chef des örtlichen Büros der | |
Nachrichtenagentur Reuters, eine Textnachricht von seinem Reporter Wa Lone. | |
„Ich bin verhaftet“, heißt es darin. Zwei Wochen lang fehlt danach von Wa | |
Lone und seinem Kollegen Kyaw Soe Oo jede Spur. Einzig ein Foto in der | |
Staatszeitung gibt Auskunft darüber, was mit den beiden geschieht. Es zeigt | |
die Journalisten in Handschellen, ihre Habseligkeiten auf einem Tisch vor | |
ihnen ausgebreitet, präsentiert wie Schwerverbrecher. | |
Die beiden haben im abgesperrten nördlichen Teil des Krisenstaats Täter | |
ausfindig gemacht und dazu gebracht, über ihre Gräueltaten zu sprechen. | |
Damit brachten sie Militär und Regierung, die Nachrichten über | |
Menschenrechtsverletzungen beharrlich als Fake News abtun, in Bedrängnis. | |
„Die Wahrheit darüber, was in Rakhine passiert ist, ist wichtig für unser | |
Land“, gibt Kyaw Soe Oo zu bedenken. Ohne die Wahrheit werden wir die | |
Probleme in unserem Land nie lösen können.“ | |
## Auch die Clintons setzen sich für die Freilassung ein | |
Auf der ganzen Welt wird den beiden für ihre Recherchen Respekt gezollt. In | |
Myanmar gelten sie vielen als Volksverräter. „Ich will überhaupt nicht laut | |
sagen, was manche auf Facebook über die beiden sagen“, erzählt Pan Ei Mon, | |
Wa Lones schwangere Ehefrau. Ihr zu einem Zopf geflochtenes Haar fällt auf | |
ihren dicken Bauch. Die Nachricht vom gemeinsamen Kind musste der Anwalt Wa | |
Lone im Gefängnis überbringen. Inzwischen darf Pan Ei Wa Lone so oft sehen, | |
wie sie möchte. Hinter einer Glasscheibe erzählt sie ihm dann, dass Bill | |
und Hillary Clinton sich für ihn einsetzen und der UNO-Generalsekretär die | |
Inhaftierung der beiden verurteilt hat. | |
Im Gerichtssaal spiegeln sich in den goldumrandeten Brillengläsern des | |
Richters die Dokumente der Anklageschrift, die er langsam vom Stapel nimmt. | |
Er wird keine Fragen stellen. Er sei ja sowieso nur eine Marionette des | |
Militärs, sagen manche. | |
Die Verhandlungen sind bisweilen innerhalb weniger Minuten beendet. Dann | |
werden die beiden Reporter wieder in den Polizeivan geschoben. Sieben | |
weitere Tage Gefängnis bis zur nächsten Verhandlung. Rechtsprechung in | |
Zeitlupe. | |
„Dieser Fall wird nun seit drei Monaten verhandelt, und wir haben nach wie | |
vor rein gar nichts gesehen, was eine Strafverfolgung rechtfertigt“, sagt | |
Sean Bain, der den Prozess für die NGO International Commission of Jurists | |
(ICJ) beobachtet. „Die Entscheidung obliegt nicht nur dem Richter“, sagt | |
er. „Die Regierung weiß, was zu tun ist.“ | |
Doch Regierung und Militär, die seit dem Ausbruch der Rohingyakrise | |
zusammenhalten zu scheinen wie Pech und Schwefel, glauben offenbar nach wie | |
vor, die Deutungshoheit über einen Konflikt beanspruchen zu können, der den | |
UNO-Sicherheitsrat beschäftigt und den Internationalen Strafgerichtshof | |
prüfen lässt, inwiefern Myanmars Militärs wegen Verbrechen gegen die | |
Menschlichkeit angeklagt werden können. | |
Eine UNO-Untersuchungskommission wird nicht ins Land gelassen, Journalisten | |
dürfen nur unter Beaufsichtigung ins Krisengebiet reisen, wo seit Monaten | |
Tatort penibel niedergewalzt werden. | |
## Feindbild internationale Presse | |
Die internationale Presse wird als Feind angesehen, der Lügen verbreite, | |
sich auf die Seite der Muslime geschlagen habe und Aung San Suu Kyi, | |
Myanmars einzige Hoffnung, zugrunde richten wolle. Seit zwei Jahren führt | |
die Friedensnobelpreisträgerin das Land als Staatsrätin durch eine | |
Demokratisierung, die auf einem fragilen Deal mit dem Militär basiert. | |
Nachdem der Westen Suu Kyi jahrzehntelang als Freiheitsikone verehrt hat, | |
wird sie inzwischen umso schärfer kritisiert. Denn sie ist verstummt, | |
scheint Verbrechen des Militärs auf einmal nicht mehr zu sehen. | |
Doch wer sie angreift, muss mit Vergeltung durch nationalistische Anhänger | |
rechnen. Das gilt auf für Journalisten. Die myanmarische Reporterin der | |
Nachrichtenagentur Associated Press, Esther Htusan, lebt im Exil, nachdem | |
sie wegen einer unvorteilhaften Übersetzung einer Rede Morddrohungen von | |
fanatischen Suu-Kyi-Getreuen erhalten hat. Die Geheimpolizei lungert noch | |
immer in ihrer Nachbarschaft herum. Doch Esther Htusan wird nicht | |
zurückkehren. Im Haus ihrer Familie hängen keine Bilder mehr von der jungen | |
Frau, die vor zwei Jahren Myanmars ersten Pulitzerpreis gewann. Fast 2.000 | |
myanmarische Männer, die auf einer indonesischen Insel als Sklaven gehalten | |
wurden, sind seit ihrer Recherche befreit worden. Heute hat ihre Familie | |
Angst, dass sie wegen Esther in Schwierigkeiten geraten könnte. | |
„Die größte Verantwortung von Journalisten dieser Tage ist es, das Image | |
unseres Landes aufrechtzuerhalten, das von unethischen Berichten | |
internationaler Medien beschmutzt worden ist“, sagte der Vizevorsitzende | |
des Presserates, Aung Hla Tun, auf einer Konferenz im August. Er ist | |
inzwischen zum stellvertretenden Informationsminister befördert worden. | |
## Der kurze Frühling der Freiheit scheint beendet | |
Wa Lone zog 2010 nach Yangon. Er hatte keine Ahnung vom Leben in der | |
Großstadt und sprach kein einziges Wort Englisch. Damals herrschte | |
Aufbruchstimmung in Myanmar. Nach über einem halben Jahrhundert | |
Militärdiktatur beschlossen die Generäle, das heruntergewirtschaftete Land | |
zu öffnen. Bald wurden Exilmedien zur Rückkehr ermuntert, die Zensur wurde | |
aufgehoben, und aus dem berüchtigten Insein-Gefängnis in Yangon wurden | |
Hunderte politische Gefangene freigelassen. Seit 143 Tagen harren Wa Lone | |
und Kyaw Soe Oo nun dort aus. | |
Ihr Anwalt Khin Maung Zaw, rundes Gesicht und stets ein wenig ungekämmt, | |
beantwortet nach den Verhandlungen mit schier endloser Geduld Fragen der | |
Presse. Wenn er vor Gericht vorträgt, klingt er wie ein freundlicher | |
geschichtenerzählender Großvater. Während die Stimmung vor Gericht | |
regelmäßig zwischen Wiedersehensfreude, Hoffnung, Enttäuschung und Wut | |
changiert, macht ihm niemand etwas vor. Der Anwalt vertritt seit | |
Jahrzehnten politische Gefangene. Er habe nie wirklich daran geglaubt, dass | |
es damit vorbei sein würde, sagt er und lacht. „Der Gewehrlauf ragt noch | |
immer tief in Myanmars politische Sphäre hinein.“ | |
Auch unabhängig von dem Druck, den das verfassungsgemäß übermächtige | |
Militär ausübt, erwies sich die neue zivile Regierung nicht als Freund von | |
Medienfreiheit. Kandidaten war es im Wahlkampf verboten, mit Medien zu | |
sprechen, das Militärpropagandablatt ist anscheinend problemlos zum | |
Sprachrohr der zivilen Regierung mutiert, und Auskünfte werden generell nur | |
widerwillig erteilt. | |
Viele Reporter, die meisten mit mehr Erfahrung als demokratische Aktivisten | |
denn als investigative Journalisten, hielten lange zur Regierung. Doch im | |
Jahr 2017 wurden laut Reporter ohne Grenzen 20 Journalisten strafrechtlich | |
verfolgt – viele auf der Grundlage von Gesetzen aus Zeiten der | |
Militärdiktatur, die das Parlament nicht antasten wollte. | |
## „Was soll das für eine Demokratie sein?“ | |
„Als Journalist kannst du in Myanmar inzwischen wieder jederzeit verhaftet | |
werden“, sagt etwa Lawi Weng. Der Journalist der myanmarischen | |
Nachrichtenplattform Irrawaddy saß im vergangenen Sommer selbst für mehrere | |
Monate im Gefängnis, weil er sich für eine Recherche bei Rebellen aufhielt. | |
Die Verhaftung von Wa Lone und Kyaw Soe Oo wurde offiziell vom | |
Präsidentenamt abgesegnet. So wie Lawi fragen sich dieser Tage viele | |
Journalisten, wozu sie im Dienste der Demokratiebewegung Gefängnisstrafen | |
und Exil auf sich genommen haben. „Was soll das für eine Demokratie sein, | |
in der Journalisten eingesperrt werden, weil sie ihren Job machen?“, fragt | |
er wütend. | |
Der Fall der für Reuters arbeitenden Journalisten hat international | |
Aufsehen erregt und droht jegliche verbliebene Hoffnung des Westens in die | |
so lange unterstützte Regierung zu zerstören. Aber auch in Myanmar regt | |
sich Protest: Während die als illegale Einwanderer aus Bangladesch | |
geltenden Rohingya kaum jemandem Sympathie und Solidarität abringen können, | |
geht der Angriff auf die Journalisten vielen zu weit. | |
„Wozu haben wir die Regierung denn gewählt, wenn sowieso alles ist wie | |
früher?“, fragen manche. Die angeblich geheimen Informationen wurden | |
bereits in Zeitungen abgedruckt, Zeugen der Anklage erscheinen mit Notizen | |
auf den Handflächen vor Gericht, und ihre Aussagen widersprechen sich. Der | |
Staatsanwalt spult weiter stur sein Programm ab. | |
Doch mit einem hat offenbar niemand gerechnet: dass am 20. April | |
Polizei-Captain Moe Yan Naing auf den Plan treten und das Spiel nicht mehr | |
mitspielen würde. „Unser Vorgesetzter drohte uns mit Gefängnis, wenn wir es | |
nicht schaffen, Wa Lone zu schnappen“, berichtet er vor Gericht. Im | |
Publikum konnte man die plötzliche Wendung damals kaum fassen. Kommende | |
Woche soll der Polizist noch einmal vor Gericht aussagen. | |
Weniger als 24 Stunden nach der Verhandlung wurde seine Familie aus dem | |
Polizeiwohnheim geworfen. Er selbst ist inzwischen zu einer Gefängnisstrafe | |
verurteilt worden. Mehr Informationen gebe es dazu nicht, sagt die Polizei. | |
Fragestunde beendet. | |
In einem Flüchtlingslager in Bangladesch hat eine Rohingya namens Rahama | |
Khatun endlich Gewissheit. Seit die Recherchen von Wa Lone und Kyaw Soe Oo | |
veröffentlicht worden sind, weiß sie, was mit ihrem Ehemann geschehen ist. | |
Das letzte Foto zeigt ihn in einer Reihe mit neun anderen Männern am Boden | |
kniend. Wenig später waren alle tot. | |
3 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Verena Hölzl | |
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