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# taz.de -- Transitzone Griechenland: Flüchtlinge in der Parallelwelt
> Ein Containerdorf bei Athen bietet Tausenden Unterschlupf – eigentlich
> temporär. Mittlerweile haben sich Dorfstrukturen gebildet.
Bild: Hesham Jreedah und Lea Dao Van haben sich in Skaramagas kennengelernt; mi…
SKARAMAGAS taz | Ein kleines Mädchen rennt über den weiten Vorplatz des
Flüchtlingszentrums Skaramagas. Hesham Jreedah breitet die Arme aus und
wirbelt sie durch die Luft. Dann setzt der 32-jährige Syrer das Mädchen mit
den wirren Locken vorsichtig ab. „Dass du noch hier bist!“, sagt er leise.
Er nimmt sie an der Hand und geht langsam auf die graue Containerfront zu.
Heute ist der kräftige Mann, der in Syrien als Sportlehrer arbeitete, nur
zu Besuch hier. Aber er lebte über Monate in Skaramagas, bis er Asyl in
Frankreich bekam.
Etwa 2.500 Menschen hausen in den insgesamt vierhundert Containern –
jeweils zwei Zimmer und Bad mit eigener Dusche. Sie stehen dicht an dicht
nebeneinander auf dem weiten, ehemaligen Industriegelände, das ans Meer
grenzt. Vor knapp zwei Jahren wurde die Flüchtlingsunterkunft Skaramagas im
gleichnamigen westlich gelegenen Vorort von Athen eröffnet. Das Camp steht
unter Aufsicht der griechischen Regierung.
„Bis zum Sommer gab es hier noch Aufsichtspersonal der griechischen
Marine“, sagt Jreedah. Die Behörden bestätigen, dass die Marine nicht mehr
vor Ort ist und auch die PolizistInnen am Eingangstor zum Camp nur noch
sporadisch am Platz sind. Die Flüchtlingsunterkunft sei ein offenes Camp,
eine ständige Aufsicht nicht geplant, heißt es von Regierungsseite.
Das sich selbst überlassene Containerdorf entwickelt nun immer stärker
eigene Strukturen – eine Parallelwelt zur griechischen Gesellschaft. Kioske
und kleine Läden bieten Nahrungsmittel, Süßwaren, Kleidung und Tabakwaren
an. Ein Friseursalon und ein Restaurant haben eröffnet. Die meisten der
BewohnerInnen sind nicht registriert. Sie halten sich deshalb ohne
Unterstützung der Hilfsorganisationen über Wasser. Nachts verlasse man kaum
noch die Container, berichten sie. Drogendealer und andere finstere
Gestalten machten das Leben hier unsicher.
## Das Glück kommt aus Paris und heißt Lea
Jreedah schüttelt immer wieder den Kopf. „Wenn ich die Lage der Menschen im
Camp sehe, kann ich mein eigenes Glück kaum fassen“, sagt er. Er hat seine
Verlobte hier kennengelernt: Lea Dao Van aus Paris, Angestellte der
Hilfsorganisation El Sistema. Das Paar wird in Paris bald in ein eigenes
Apartment ziehen, doch noch lebt Hesham Jreedah bei Leas Mutter Catherine
Dao Van.
Die 24-jährige Lea arbeitet noch bis Ende des Jahres in Skaramagas. Das
Paar ist heute in die Flüchtlingsunterkunft gekommen, um Hesham Jreedahs
Freund und dessen Frau sehen. Das Paar ist erst vor kurzem aus Syrien
geflüchtet und lebt seit zwei Wochen in Skaramagas. Zu ihrem Schutz sind
sie in diesem Text anonymisiert.
Jreedahs Freund und seine Frau öffnen die Tür des Containers. Bei schwarzem
Tee und Nüssen berichten sie von ihrer Flucht. Das Paar bekommt die Folgen
des Abzugs der griechischen Staatskräfte direkt zu spüren: Neuankömmlinge
müssen die Container, welche das Flüchlingshilfswerk UNHCR der griechischen
Regierung stellte, nun von anderen CampbewohnerInnen käuflich erwerben. Die
Preise variieren von einmalig 200 Euro bis 1.000 Euro pro Container. Die
Aufsichtsleitung des Camps weiß davon, wartet aber auf eine „Linie des
griechischen Migrationsministeriums, der wir dann folgen“.
„Es wird immer schwerer, das Vertrauen der Menschen hier zu gewinnen“, sagt
Lea Dao Van. Ohne die Kontrolle der griechischen Staatskräfte sei sich
niemand mehr sicher, ob die Leute, die sich im Flüchtlingscamp aufhalten,
vertrauenswürdig seien, berichtet sie.
## Fast alle wollen weg aus Griechenland
In Griechenland zu bleiben, ist für die meisten Flüchtlinge keine Option.
Deshalb melden sie sich gar nicht erst den Behörden. Auch Jreedahs Freund
und seine Frau haben sich nicht gemeldet, um die Dublin-Regelung
auszureizen und sich erst im „richtigen Land zu melden“, wie der Freund
erklärt. Die Dublin-Regelung besagt, dass politisch Verfolgte in dem Land
Asyl beantragen müssen, in dem sie erstmals EU-Boden betreten haben. Er
wisse, dass Griechenland ein armes Land sei. „Selbst GriechInnen bekommen
keinen Job mehr. Wie soll ich da einen finden? Deshalb müssen wir weiter“,
sagt Jreedahs Freund.
Der junge Mann hat etwas Geld gespart, den Rest wird er sich von Freunden
und Familie leihen. Ein Schlepper ist leicht zu finden. „Schmuggler“ höre
sich so schlimm an, sagt er und lacht: „Fast alle hier sind mittlerweile
Schmuggler.“ Es sei eine Win-win-Situation: Der Schlepper helfe einem,
weiterzureisen und bekomme so Geld. Oft holt er damit selbst seine Familie
nach oder versorgt seine Angehörigen. Die Preise sind hoch: 10.000 Euro für
zwei Personen, um nach Deutschland zu kommen.
Viele versuchen, das Geld mit kleinen Läden zusammenzubekommen: Insgesamt
20 Geschäfte haben in den vergangenen Monaten in Skaramagas eröffnet –
gezimmert aus Holzresten und Planen. Das Restaurant direkt am Meer hat
Mhamad Mustafa vor knapp einem Jahr eröffnet. In Syrien arbeitete der
45-jährige Vater von drei Kindern als Barkeeper. In seinem Restaurant
bietet er Falafel, Humus, Sandwiches und Smoothies an.
Es ist seine einzige Chance, seine Familie durchzubringen, bis er das Geld
für die Schlepper zusammen hat. „Das hoffnungslose Leben hier ist
unerträglich“, sagt der Familienvater. „Ich sehe, wie es meine einst
fröhlichen Kinder verändert – und ich kann sie nicht davor bewahren.“
Hesham Jreedah und seine Verlobte Lea Dao Van setzten sich an einen der
Tische des Restaurants und bestellen Falafel. Dann holen sie ihre Freunde
vor ihrem Container ab. Es ist Samstag, die vier werden heute in Athen
ausgehen. „Die beiden brauchen etwas Normalität. Es wird alles noch
schwierig genug werden“, sagt Hesham Jreedah.
24 Apr 2018
## AUTOREN
Theodora Mavropoulos
## TAGS
Griechenland
Schwerpunkt Flucht
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