# taz.de -- Protest gegen die Haft für Puigdemont: Katalanen hoffen auf deutsc… | |
> Viele Führer der Separatistenbewegung sitzen in Haft, so wie Carles | |
> Puigdemont. In Barcelona scheint der Wunsch nach Unabhängigkeit | |
> ungebrochen. | |
Bild: Am Dienstag besetzten Demonstranten kurzzeitig die wichtigsten Autobahnen… | |
Barcelona taz | Das Schild am Büro steht für das ganze Dilemma. Die Namen | |
Josep Rull und Jordi Turull sind neben der Tür im ersten Stock des | |
katalanischen Parlamentsgebäudes zu lesen. Beide sind am 21. Dezember 2017 | |
auf der Liste des ehemaligen katalanischen Regierungschefs Carles | |
Puigdemont JxCat gewählt worden. Doch beide sitzen seit dem letzten Freitag | |
auf Weisung des Oberste Gerichtshofs in Madrid in Untersuchungshaft. Sie | |
und zehn weitere Personen werden der „Rebellion“ und „Veruntreuung | |
öffentlicher Gelder“ bezichtigt. Maximal 38 Jahre Haft stehen darauf. | |
Zehn weitere Politiker werden unter anderem des Ungehorsams beschuldigt. | |
Neun Angeklagte sitzen in Untersuchungshaft. Fünf weitere werden mit | |
internationalem Haftbefehl gesucht. Und Puigdemont sitzt seit dem Sonntag | |
in der Justizvollzugsanstalt im deutschen Neumünster und wartet auf eine | |
Entscheidung über seine Auslieferung. | |
„Jedes Mal, wenn ich hier vorbeikomme, spüre ich diese ungeheurere Leere“, | |
sagt Eduard Pujol, Fraktionssprecher von JxCat. Er meint die Tür mit dem | |
verwaisten Büro der beiden festgenommenen Abgeordneten in der barocken, | |
einem Schloss ähnelndem Volksvertretung. In dem Gebäude residierte einst | |
die königliche spanische Familie. | |
Der hochaufgewachsene Endvierziger sagt: „Die Situation ist schrecklich. | |
Wir müssen erst einmal richtig analysieren und begreifen, was diese Welle | |
von Repression eigentlich bedeutet. Aber sie können damit nicht vergessen | |
machen, was über zwei Millionen Menschen erlebt haben.“ | |
Er meint damit das Referendum am 1. Oktober 2017 an dem trotz eines von der | |
Zentralregierung verhängten Verbots so viele Menschen teilgenommen hatten. | |
Fast alle stimmten damals für die Loslösung Kataloniens von Spanien. | |
Dreieinhalb Wochen später erklärte das katalanische Parlament die | |
Unabhängigkeit. | |
## Vergleich mit Warschau unter Kriegsrecht | |
Die konservative Regierung in Madrid setzte daraufhin Puigdemont und sein | |
Kabinett ab, stellte Katalonien unter Zwangsverwaltung und rief Neuwahlen | |
aus. Die separatistischen Parteien erhielten erneut die Parlamentsmehrheit. | |
Seither sitzt Pujol im Parlament von Barcelona. „Bis zum 12. November war | |
ich Journalist, Direktor des meist gehörten Radios hier in Katalonien | |
RAC1“, berichtet er. Dann habe er einen Anruf von Puigdemont bekommen. | |
Dieser war mittlerweile nach Brüssel geflüchtet und stellte von dort aus | |
die Liste JxCat für die von Madrid angesetzten Neuwahlen zusammen. „Die | |
Liste eines Landes“ mit vielen Unabhängigen sollte es werden. | |
Pujol sagte sofort zu. „Ich bin Katalane“ und „Katalonien ist eine | |
politische Realität und eine Nation“, es gehe darum dies zu verteidigen, | |
erklärt er. „Ich hatte wieder die breite Avenida Diagonal vor Augen, wie | |
sie am 1. Oktober voller Polizeifahrzeuge war. Wie einst Warschau beim | |
Militärputsch“, sagt er. | |
„Unsere Führer sind eingesperrt, aber sie sind dadurch stärker denn je | |
zuvor. Das Ende der Unabhängigkeitsbewegung ist das ganz sicher nicht“, | |
macht sich Pujol Mut. Spekulationen der Madrider Presse, dass die Bewegung | |
nach den Verhaftungen führer-, strategie- und zukunftslos sei, weist er | |
zurück. „Sie haben uns sicher schon hundert Mal totgesagt. Sie vergessen | |
dabei eines. Was hier passiert, ist kein Marketing von Parteien. Unsere | |
Bewegung ist sehr breit in der Bevölkerung verankert.“ | |
Barcelona ist dieser Tage auf den ersten Blick eine normale Stadt. Es sind | |
Osterferien. Viele Einheimische sind weg, Touristen aus aller Welt | |
bevölkern die Straßen der populären Millionenstadt. Doch ganz so normal | |
geht es in Barcelona denn doch nicht zu. Immer wieder blockieren Gruppen | |
katalanischer Nationalisten manche Straßen. An diesem Dienstag besetzen | |
Demonstranten kurzzeitig die wichtigsten Autobahnen Kataloniens. | |
Am Abend soll in der Nähe des Hauptbahnhofs demonstriert werden. An vielen | |
der Balkone in Barcelona hängen katalanischen Fahnen, dazu Spruchbänder, | |
die „Freiheit für die politischen Gefangenen“ verlangen. Passanten tragen | |
gelben Schleifen am Revers – das Symbol der Solidarität mit den | |
Inhaftierten. | |
## „Vielleicht gar nicht so schlecht“ | |
Auch Xavier Ferre hat sich eine solche Schleife angesteckt. Er besucht | |
zusammen mit seiner Frau Montse Besora den Mercat del Born, nur wenige | |
Meter vom Parlament entfernt. Die Markthalle, oder vielmehr das was unter | |
dem Boden des Gebäudes gefunden wurde, gilt vielen Katalanen als eine Art | |
Nationaldenkmal. Hier befinden sich die Reste der 1714 beim Erbfolgekrieg | |
zerstörten Altstadt. Seither gehört Katalonien zur spanischen Krone. | |
Der 51-jährige Ingenieur und die 46-jährige Lehrerin stammen aus einem | |
kleinen Ort in der Provinz Tarragona und sind zum Osterurlaub hier. „Mit | |
den Verhaftungen sind wir an einem Punkt angekommen, an dem es kein zurück | |
mehr gibt“, sagt Ferre. Einen Dialog mit Madrid könne es nur noch geben, um | |
die Unabhängigkeit voranzutreiben. „Das wird sicher ein langer Prozess, | |
aber die aktuelle Situation ist einfach nicht mehr tragbar“, sagt Besora. | |
„Dass Puigdemont ausgerechnet in Deutschland festgenommen wurde, ist | |
vielleicht gar nicht so schlecht“, meint Montse Besora. Denn eine Debatte | |
über die Auslieferung im wichtigsten Land der Europäischen Union habe ein | |
anderes Gewicht als etwa in Belgien. „Und die einzige Chance, dass wir | |
weiterkommen, ist die Internationalisierung des Konflikte“, gibt sie zu | |
bedenken. Beide setzten auf die Unabhängigkeit der deutschen Justiz. Die | |
Anklage wegen „Rebellion“ nennen sie rein politisch begründet, „denn Gew… | |
hat es hier nicht gegeben“, erklärt Besora warum. | |
Wer heutzutage Unabhängigkeitsgegner in Barcelona befragen will, muss eine | |
gewisse Geduld mitbringen. „Wir reden zu dem Thema nicht“, sagt ein älteres | |
Ehepaar auf einer Bank im Park vor dem Parlament. „Wir sind Kastilier“, | |
fügen sie dann hinzu. Sicher, sie seien fast das ganze Leben hier in | |
Barcelona, „aber zu dem was passiert, haben wir keine Meinung“. | |
Doch dann macht Luis Vazquez den Mund auf. „Die sitzen zu recht im | |
Gefängnis“, sagt der 75-jährige Rentner. Vazquez ist Ende der 1960er Jahre | |
aus Galicien nach Katalonien gekommen, wo er in der Autozulieferindustrie | |
Arbeit fand. „Was die gemacht haben, hat keinen Namen“, sagt er über die | |
Nationalisten. Die Wirtschaft leide unter der politischen Krise. Vazquez | |
spricht von Chaos, vom Fehlen einer Regierung. Bisher habe er immer die | |
Sozialisten gewählt, bekennt er. Doch die seien nicht entschieden genug | |
gegen die Unabhängigkeitsbewegung vorgegangen. „Jetzt wähle ich | |
Ciudadanos“, erklärt Vazquez. | |
## Es drohen schon wieder Neuwahlen | |
Die Rechtsliberalen, die am meisten für einen starken Zentralstaat werben, | |
wurden bei letzten Mal stärkste Partei in Katalonien. „Würde es nach mir | |
gehen, würde ich diese Anstifter Steine klopfen oder Straßen bauen lassen“, | |
beendet er seine Sicht der Dinge. | |
„Wir waren in den letzten Tagen vollständig mit juristischen Problemen | |
beschäftigt“, sagt drinnen im Parlament JxCat-Fraktionssprecher Pujol. | |
Jetzt müsse es wieder darum gehen, einen Weg zu finden, um doch noch eine | |
Regierung zu bilden. Sollte dies bis zum 22. Mai nicht gelingen, drohen | |
schon wieder Neuwahlen, und die wolle er nicht. Wer denn nun in das Amt des | |
Regierungschefs gewählt werden soll, „das müssen wir in den nächsten Tagen | |
entscheiden.“ Puigdemont hatte seine Bewerbung zurückgezogen, nachdem ihn | |
der Oberste Gerichtshof mit der Verhaftung im Falle einer Einreise gedroht | |
hatte. | |
„Ich glaube Madrid hat ein Problem damit, dass wir uns selbst regieren | |
wollen. Und manchmal denke ich, sie haben ganz generell ein Problem mit der | |
Existenz Kataloniens“, sagt Eduard Pujol und verabschiedet sich zu einem | |
Treffen seiner Fraktion. Es geht darum, die Parlamentssitzung vom heutigen | |
Mittwoch vorzubereiten. Dort soll es um die politischen Gefangen gehen, und | |
auch darum, ob sie ihren Führer Puigdemont trotz seiner Haft in | |
Deutschland dennoch in sein einstiges Amt als „President de la Generalitat“ | |
– Chef der katalanischen Regierung – wählen. | |
27 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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