| # taz.de -- Debatte Nachhaltigkeit: Verzicht ist die neue Freiheit | |
| > Die Alternative zum Auto ist nicht das Elektroauto. Die ökologische | |
| > Lösung heißt: gar kein Auto. Wollen wir die Welt verbessern, müssen wir | |
| > uns lösen. | |
| Bild: Fehlt was? | |
| Verzicht spielt sich erst mal im Hirn ab. Und da bleibt er dann stecken. | |
| Kollektiv betrachtet scheinen die meisten Menschen den Verzicht gedanklich | |
| in jenen Gehirnregionen zu bewegen, in denen die Angst die Schaltflächen | |
| besetzt. Bei den meisten Leuten löst Verzicht ein panisches Flackern in den | |
| Gesichtszügen aus. Nicht einmal die Umweltschutzverbände oder die Grünen | |
| sprechen das Wort aus. Die Angst ist zu groß, damit SpenderInnen oder | |
| WählerInnen zu verprellen. | |
| Lieber erzählen sie den Leuten, dass mit unserer Wirtschaft in Grün alles | |
| gut wird. So wie mit dem Elektroauto, weil dann alle sauber fahren. Mit | |
| sauberer Windenergie. Als wenn die schon existierenden Autos einfach mit | |
| einem recycelten Elektromotor ausgestattet würden und auch die anderen | |
| technischen Errungenschaften unseres schönen Lebens in Wohlstand einfach | |
| so, schwuppdiwupp, naturverträglich umgebaut werden. In Bioplastik aus | |
| Mais. | |
| Verzicht erscheint als Aussicht, freiwillig zu kurz zu kommen, also zu den | |
| Abgehängten zu gehören. Und schon die Möglichkeit, etwas nicht zu bekommen, | |
| das einem zusteht, weil man das Geld dafür hat, frustriert das | |
| Belohnungssystem. In diesen kollektiven Horror Vacui will sich keine Partei | |
| begeben. | |
| Die Leute leisten sich das neue Paar Schuhe oder den Flug nach Barcelona | |
| übers Wochenende, weil sie sich das verdient haben. So wie die Brötchen am | |
| Sonntagmorgen. Zwölf Kilometer zum nächsten Bäcker war meine Nachbarin, so | |
| Ende 50, dafür gefahren. Hin. Und zurück noch mal zwölf Kilometer durch | |
| Wald und Felder Brandenburgs. „Ich will nicht verzichten“, sagte sie, und | |
| es hörte sich an wie „Ich bin doch nicht blöd“. | |
| Öko und fair gehandelt ist natürlich besser als pestizidverseucht und | |
| ausgebeutet. Aber wir können uns doch nicht allen Ernstes einreden, dass | |
| wir den Klimawandel oder das Artensterben damit abwenden, dass wir öko | |
| konsumieren. Unser kollektiver Lebensstil der vergangenen 200 Jahre hat | |
| Katastrophen ausgelöst, die wir auch mit nachhaltigem, grünem Öko-Lifestyle | |
| nicht mehr einholen. Die Alternative zum eigenen Auto ist eben nicht das | |
| Elektroauto. Die ökologisch vertretbare Alternative heißt gar kein Auto. | |
| ## Das Elektroauto ist eine 1,5 Tonnen schwere Blechkiste | |
| Das Auto eignet sich so wunderbar zum Symbol des Verzichts, weil das | |
| Gesellschaftsmodell Deutschlands und große Teile der hiesigen Wirtschaft | |
| auf dem Auto aufbauen. Das Auto ist deswegen der Normfaktor einer | |
| Gesellschaft, die an Eigenheim, Vollzeitarbeitsplatz, Schweinebraten | |
| glaubt. Wer ein Auto besitzt, bekennt sich zum Normalen. | |
| Das Elektroauto gilt gesellschaftlich noch immer als gewagt, denn ihm | |
| haftet das Image von technischem Aufbruch, von energetischer Alternative | |
| an. Es bleibt aber eine 1,5 Tonnen schwere Blechkiste, die zu viele | |
| Ressourcen bindet, um damit ökologisch verträglich ein oder zwei Menschen | |
| zu befördern. | |
| Verzicht spielt sich im Hirn ab, und wer den Gedanken zu Ende denkt und | |
| sich nicht im Belohnungssystem verheddert, schafft sich eine Freiheit | |
| ohnegleichen. Zu verzichten bedeutet, eine bewusste Entscheidung zu | |
| treffen. Verzicht heißt, den ökologischen Konflikt anzuerkennen, die | |
| Alternativen abzuwägen und dann zu entscheiden. | |
| Wer verzichtet, ist also Herr im eigenen Oberstübchen. Wer auf die Produkte | |
| verzichtet, die angeblich immerzu alle kaufen müssen, um dazuzugehören, | |
| schafft sich den Freiraum, sein eigenes Ding zu machen. Und das wollen | |
| ziemlich viele. | |
| Autos sind schon lange nicht mehr hip bei den urbanen Mittelstandskindern. | |
| Nur jeder fünfte Jugendliche macht einen Führerschein. In Berlin hat nicht | |
| einmal die Hälfte aller Haushalte ein Auto, Tendenz sinkend. Mobil sind die | |
| Leute unter 35 im Internet, denn dort sind sie mit der Welt vernetzt. Und | |
| die Generation Global surft nicht nur mit dem Zeigefinger durch die Welt, | |
| sondern düst zum Praktikum nach Neuseeland und für den Halbjahresjob nach | |
| Chile, der Besitz gleitet im Rollkoffer nebenher. | |
| ## Die Konsumgesellschaft langweilt | |
| Ewig hin- und herjetten hält nicht jeder auf ewig aus. Doch zum Entsetzen | |
| der heimischen Unternehmen wollen die jungen Leistungsträger gar nicht | |
| immerzu arbeiten. Sie wollen eine halbe Stelle, maximal 25 Stunden in der | |
| Woche der Lohnarbeit nachgehen, weil sie Zeit für ihren Garten brauchen und | |
| für das Projekt in der Flüchtlingsintegration. | |
| Die Konsumgesellschaft langweilt. Das ist natürlich noch ein Signal von der | |
| Peripherie, doch jede gesellschaftliche Umwälzung fängt draußen am Rande | |
| des gesellschaftlichen Mainstreams an. Wer hätte vor drei Wochen gedacht, | |
| dass protestierende SchülerInnen in den USA so viel Druck aufbauen, dass | |
| Unternehmen ihre Zusammenarbeit mit der Waffenlobby NRA kündigen? | |
| Vor ein paar Jahren schien undenkbar, dass ein nennenswerter Teil der | |
| Gesellschaft Deutschlands nur noch Gemüse isst. Mittlerweile ernähren sich | |
| rund 1,3 Millionen Menschen hierzulande vegan, rund acht Millionen Menschen | |
| leben vegetarisch. Knapp zwölf Prozent der Bevölkerung besetzen den | |
| Verzicht auf Fleisch, Käse, Milch, Eier positiv. Zwölf Prozent sind keine | |
| Avantgarde mehr. Das nähert sich dem Tipping Point, und ein Gang durch | |
| Supermärkte zeigt, dass vegan Mainstream ist. | |
| Große politische Veränderungen beginnen mit einer Idee. Nicht mit einem | |
| Plan. „I have a dream“, beginnt Martin Luther King seine Rede vor 250.000 | |
| Menschen und der erfolgreichen Bürgerrechtsbewegung. Er sagt nicht: „I have | |
| a plan.“ Gesellschaftspolitisch nützt es nichts, einen Luftreinehalteplan, | |
| einen Klimaschutzplan, eine Strategie zur biologischen Vielfalt zu haben, | |
| wenn die politisch Verantwortlichen die Vision eines guten Lebens in | |
| naturverträglichem Miteinander selbst nicht kennen. Und nicht daran | |
| glauben. | |
| Die Signale der Peripherie jedoch erzählen eine Geschichte, in der das | |
| Leben gut ist ohne Auto. Ohne Fleisch. Ohne Eigenheim. Und das ganz ohne | |
| das Gefühl, zu kurz zu kommen. Der Verzicht verliert seine politische | |
| Schreckensbotschaft. Es müsste jetzt nur mal eine Partei die Möglichkeit | |
| nutzen. | |
| 5 Mar 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Fokken | |
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