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# taz.de -- Kolumne Einfach gesagt: Das Ego-Universum expandiert
> Mit Exhibitionismus, Voyeurismus und Neid lässt sich sehr viel Geld
> verdienen und so hat der Kapitalismus die Welt noch ein bisschen mehr
> verhext.
Bild: Führt die harmlos alberne Selfie-Kultur wirklich zur Aufhebung der Über…
Eigenlob stinkt nicht mehr und deshalb geht die Welt zugrunde!“, wütete der
alte Mann im eleganten Mantel. Die zwei jungen Mädchen, die sich am
Spielbudenplatz an der Hamburger Reeperbahn vor dem Panoptikum für ein
Selfie positionierten, ignorierten ihn wie Mütter ihre schreienden
Kleinkinder. „Nun regen Sie sich mal ab“, sagte ein Junge, der zu den
beiden gehörte.
„Reg du dich lieber mal auf, Jungelchen!“ „Worüber denn?“ Er streckte …
ausgiebig, sodass die kurze Jacke seinen durchtrainierten Bauch freilegte.
Der alte Mann zeigte drauf und schüttelte den Kopf. „Über die ganze
schamlose Eitelkeit!“
„Wer bist du denn, Alter?“ fragte eines der Mädchen und richtete ihr
Smartphone auf ihn. „Ich bin einer, der sein kann, ohne dafür in ein
Telefon zu gucken, du Göre!“ „Ey geil, Alter, ich mach ’ne Live-Story mit
ihm!“ Der alte Herr nutzte seine Chance: „Eigenlob stinkt gewaltig, das
führt zu gar nichts oder zu Riesenbockmist! Nichtsnutzige Narzissten
bekommen en passant immer mehr politische Macht und bevor ihr so alt seid
wie ich, seid ihr längst tot, weil so ein Protzer die Welt in den Abgrund
geführt hat!“
Die Kids lachten.
Als ich früher mit meiner Oma das Panoptikum besuchte, um die wächsernen
Figuren von Prominenten zu bestaunen, passierte etwas Ähnliches wie heute
beim Konsum von Instagram. Ich starrte und starrte, doch das Vergnügen
blieb kurz und endete in einem Gefühl der Trostlosigkeit.
Hatte der Mann recht? Hatte die zunächst harmlos alberne Selfie-Kultur
tatsächlich zur Aufhebung der alten goldenen Überzeugung, Eigenlob stinkt,
geführt? Lag die größte Gefahr im neuen Weltruhm hohler Egozentrik?
Zu Beginn von Facebook waren sich viele einig. Es sei peinlich, wenn die
Leute sich und ihr Treiben ins beste Licht rückten und nach Bestätigung
durch Likes gierten.
Dann kam Instagram. Der ganze Quatsch galt bald als cool und das neue
Ego-Universum expandierte. Die Menge der Likes nahm zu und es entstand eine
neue Währung. Lob gegen Lob. Was wem wirklich gefällt, bleibt unklar.
Was der alte Mann vermutlich nicht weiß: Wer bei Instagram postet, macht
sich selbst zur Ware und man kann mit einem Hintern Millionen verdienen.
Ohne Anfassen. Da wirkt #metoo wie ein Furz im Wind. Und Sierra Sky Egan
ist dort nur eines unter etlichen neureichen Nackedeis.
Mit Exhibitionismus, Voyeurismus, Bewunderung und Neid lässt sich sehr viel
Geld verdienen und so hat der Kapitalismus die Welt in jüngster Zeit noch
ein bisschen mehr verhext. Was dabei zum Himmel stinkt oder zu Grunde geht
ist einerlei, solange der Rest sich gut verkauft und Spaß macht. Das hat
längst Tradition.
Der alte Herr wollte nun auch mal ins Handy sehen:
„Guck mal an, der Mantel, den hab ich schon seit 40 Jahren und er sieht
immer noch prima aus, so eine Qualität wird gar nicht mehr hergestellt! Und
jetzt lösch das wieder!“
Das Mädchen sagte:
„Stimmt, Alter, haben auch schon viele kommentiert, dass der Mantel krass
schön ist. Soll ich es trotzdem löschen?“
12 Mar 2018
## AUTOREN
Jasmin Ramadan
## TAGS
Selfie
Kapitalismus
Smartphone
Instagram
Schwerpunkt Meta
Donald Trump
Rechtsextremismus
Hamburg
Körper
Roman
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