# taz.de -- Kolumne Einfach gesagt: Eine perfide Art der Traurigkeit | |
> Ist Sympathie eine Erschlaffung des Geistes? Sympathie ist nichts als | |
> Mitgefühl. Und das pflegen wir nur mit denjenigen zu haben, die wir | |
> mögen. Das ist falsch. | |
Bild: Der Körper als kleinster gemeinsame Nenner: Ronald Schill zeigt sich bei… | |
Stephen Bannon wirkt sympathisch. Auf den meisten Fotos. Habe ich neulich | |
bei einer Zigarette nach Mitternacht vor einem Lokal auf St. Pauli gesagt. | |
Ein guter Freund sagte, ich hätte damit im Grunde gesagt, Stephen Bannon | |
sei sympathisch und das sei gefährlich. Das sorgte für Aufregung. Auch bei | |
mir. Ich hatte das doch nur so dahin gesagt. In eiskalter Nacht nach zu | |
viel Rotwein. Und ich zog die Mütze tiefer und legte nach: Bannon würde | |
wirken wie ein lieber Trinker, wie einer von den netten alten Linken. Mit | |
den längeren Haaren, dem runden Gesicht, der rot geäderten Nase und dem | |
müde verträumten Blick. | |
Eine elegante Dame trat an uns heran und sprach aufgebracht, aber | |
kultiviert, Sympathie müsse man reflektieren – die netten alten Linken | |
seien nicht selten die übelsten Neurechten und Bannon verstehe sich selbst | |
als Leninist! Und ein bekannter bayerischer Schauspieler, der einen | |
Elbsegler trug, ergänzte, Stalin sei auch ein Linker gewesen – und der | |
Koch, der sich gerade ohne Jacke zu uns gesellt hatte, wollte schlotternd | |
wissen, was eigentlich unreflektierte Sympathie sei? | |
Da schossen Vorschläge aus allen Richtungen: Eine Versuchung, eine | |
Vereinfachung, die Sehnsucht nach Einhelligkeit, nur so ein Gefühl. | |
Und ich fragte, was sei falsch daran, falsche Eindrücke einfach mal wirken | |
zu lassen. Ja ja, sagte mein Ex-Freund, ja ja, man könne auch einfach so | |
denken, privat ist jemand ganz anders: Ein Tierfreund, ein guter Vater oder | |
toller großer Bruder. Aber wohin soll das führen? Die elegante Dame sagte, | |
Menschen so zu sehen, das sei der Luxus der Schriftsteller und der | |
Religiösen und der Ex-Freund nickte und sagte: genau richtig. | |
Da sagte der gute Freund leise: Jeder wird von jemandem geliebt. Und der | |
bayerische Schauspieler fügte laut und akzentbetont hinzu: Na, Gott sei | |
Dank! | |
Die introvertierte Kettenraucherin bat um ein weniger drastisches Beispiel | |
als Bannon oder Stalin oder auch Sloterdeijk. | |
Der Koch schlug Angela Merkel vor. Alle Herumstehenden, bis auf die | |
elegante Dame und der Ex-Freund, sagten, Merkel habe sie beeindruckt, | |
obwohl sie ihre Politik nicht mögen und Angela Merkel auch nicht. | |
Faszinierend stoisch und auf entspannte Weise mächtig, habe sie temporär | |
eine gewisse Sympathie geweckt. | |
Die elegante Dame schüttelte den Kopf: Ihr spinnt. Passt auf euch auf! – | |
und kehrte zurück ins Lokal. | |
Ist Sympathie gefährlich? Ein Genussmittel? Eine Erschlaffung des Geistes? | |
Sympathie ist nichts als Mitgefühl. Und das pflegen wir nur mit denjenigen | |
zu haben, die wir mögen. Das ist falsch. | |
Einfühlung nutzen selbst die durchweg Bösen, denn sie macht strategisch | |
besonders klug. Und es ist wie es ist, sagt das Mitgefühl. Stephen Bannon | |
sieht bedauernswert aus. Als würde er leicht frieren und schwitzen | |
gleichermaßen. Als habe er ein schwaches Bindegewebe und zu hohe | |
Blutfettwerte, als würde er zu Bindehautentzündungen, Reflux und Nietnägeln | |
neigen. Jämmerlich. Wie Gauland und Trump. Vorne King, hinten rum | |
chronisch. | |
Oder Beatrix von Storch. Eine böse Person von kleinem Ausmaß. Sieht aus wie | |
ein Kind, ein trauriges Kind, ein gemobbtes Kind. Ich möchte sie | |
beschützen. Was für ein perfider Reflex. | |
Sogar Frauke Petry. Durch den Bildschirm spüre ich stets ihren steinharten | |
Nacken und ihre blutarme Erschöpfung. | |
Der Körper ist der kleinste gemeinsame Nenner, noch vor der Tierliebe. | |
Erdogan – dieses bräsig-traurige Hundegesicht. Vorm Supermarkt im Regen | |
angebunden, der alte sperrige Riesenschnauzer. | |
Aber was ist mit den Aalglatten? Die machen auch Gesichter. Marine Le Pen. | |
Ich meine, sie ist von allen die Traurigste, noch vor Weidel, Strache und | |
Orban. | |
Nicht alle erledigen sich selbst, so wie bei uns im Norden einst Ronald | |
Schill, der, a propos Körper, zuletzt bei RTL nackt auf einer fernen Insel | |
herum eierte. | |
Sie alle wollen uns mit ihrer Traurigkeit überrollen und unterwandern. | |
Schluss mit den Ferndiagnosen und Duseleien, privaten Geschichten und | |
projizierten Mimositäten. Das Böse hat viele Symptome. Gefühle helfen da | |
nicht. | |
25 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Ramadan | |
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