# taz.de -- Puppenspieler über seine Arbeit: „Die Leute sollen mich vergesse… | |
> Der Bremer Sebastian Kautz ist Schauspieler. Doch seit sechs Jahren hat | |
> er sich dem Figurentheater verschrieben. Jetzt darf er in der | |
> Elbphilharmonie auftreten. | |
Bild: Da und doch unsichtbar: Sebastian Kautz auf der Bühne | |
taz: Herr Kautz, kann man in der Elbphilharmonie Puppentheater machen? | |
Sebastian Kautz: Das werden wir jetzt sehen. | |
Sie und der Musiker Gero John alias Bühne Cipolla sind die ersten, die das | |
ausprobieren dürfen? | |
Ja. Wir waren anfangs auch skeptisch. Aber es ist schon ein toller Saal – | |
der kleine Saal natürlich. Der große Saal wäre auch uns zu groß. Aber | |
dieser kleine Saal ist so kompakt gebaut, dass ich denke, es wird | |
funktionieren. Wir werden auch schwarzen Tanzboden auslegen, dass ein | |
bisschen mehr Theaterambiente entsteht. Aber sonst – die Beleuchtung ist | |
vom Feinsten, natürlich. Und einzigartig ist die Akustik: Ich wollte zuerst | |
eine Sprechprobe machen, aber schon bei der normalen Unterhaltung mit den | |
Technikern, beim Arbeitsgespräch, da habe ich gemerkt: Das ist nicht nötig. | |
Ein tolles Gefühl? | |
Ja, und nicht nur für mich als Spieler: Auch für Gero John als Musiker ist | |
es natürlich ein Highlight, in einem Saal mit solch phänomenaler Akustik | |
aufzutreten. Sein gelooptes Violoncello-Spiel mit originären Kompositionen | |
und diverse Keyboardsounds sind ein wesentlicher Bestandteil der | |
Inszenierung. | |
Wie kam es denn dazu? | |
Wir haben uns ganz frech beworben. | |
Trotz Skepsis? | |
Ja, wir fanden das Gebäude von vornherein so toll, von außen. Und wir | |
hatten gelesen, dass die als Credo fürs Programm haben, auch | |
spartenübergreifend und jenseits der traditionellen Hochklassik Angebote zu | |
machen. Dann haben die uns angeguckt – und uns geschrieben: Sie können | |
auftreten. | |
Wenn Sie da jetzt Kleists Michael Kohlhaas spielen, ist das keine | |
Hochklassik…? | |
Naja, in der Form, wie wir es machen, als Puppentheater, da erfüllt es doch | |
eher nicht die bürgerlich-konservativen Konventionen fürs Blankeneser | |
Publikum. Das ist schon etwas sehr Originäres, was wir vorführen. | |
Sie treten an gegen die neodadaistische Kohlhaas-Performance des | |
Thalia-Theaters. | |
Da habe ich keine Scheu. Nein, ich glaube wirklich, die Geschichten, die | |
wir machen, deswegen machen wir es jetzt ja schon im achten Jahr, die sieht | |
man nicht so oft. Das muss ich so selbstbewusst einfach mal sagen. An sich | |
wird Puppentheater ja schon nicht so oft gemacht. Und Truppen, die nur für | |
Erwachsene spielen, und die so ambitionierte Stoffe nehmen wie Gero John | |
und ich, die könnte ich an einer Hand abzählen: Wir machen ja immer solche | |
Weltliteratur-Adaptionen. | |
Wieso eigentlich? | |
Wir haben einfach Bock auf diese ernsten Themen. Wir hatten angefangen mit | |
„Mario und der Zauberer“, da hatten wir Blut geleckt, Gero John und ich, | |
und wir haben beschlossen: Das müssen wir weitermachen. Dann kam „Bestie | |
Mensch“, | |
… oh, cool, Zola! | |
… dann Stefan Zweigs „Schachnovelle“, der Kohlhaas, und jetzt machen wir | |
einen Edgar-Allen-Poe-Abend. Da proben wir gerade dran: Im November ist | |
Premiere. | |
So viel Probenzeit?! | |
Ja, wir arbeiten zwei Jahre an einer Produktion: Selbstverständlich proben | |
wir in Blöcken, und nicht ununterbrochen. Wir machen zwischendurch auch | |
jeder für sich andere Sachen. Aber das ist der totale Luxus, das ist mir | |
klar. Und es tut den Sachen gut, sie so langsam reifen zu lassen. | |
Jetzt liegt es bei Kleist ja einigermaßen nahe, mit Puppentheater | |
ranzugehen. | |
Wegen seines Aufsatzes? Ja, vielleicht. Wobei das nicht unser Ansatz war. | |
Es war eher so, dass ich Lust hatte, endlich einmal einen Kleist zu | |
sprechen. Ich glaube, das will jeder Schauspieler, und da komme ich ja her: | |
Das letzte Mal, dass ich einen Kleist-Monolog gesprochen hatte, das war in | |
Leipzig auf der Schauspielschule. Die habe ich ganz klassisch absolviert, | |
mit Ziel Sprechbühne, am besten Stadt- oder Staatstheater, wobei ich da | |
ziemlich schnell gemerkt hatte, dass ich da nicht hinpasse. | |
… und da machen Sie lieber den Michael Kohlhaas als den Prinzen Friedrich | |
von Homburg? | |
Zu unserer Arbeitsweise gehört, dass wir keine fertigen Dramen nehmen. Das | |
wollen wir nicht. Wir adaptieren grundsätzlich Texte, Romane, Erzählungen | |
oder auch Gedichte. Das lief bei Kleist schnell auf eine Novelle heraus, | |
und dann musste es für mich der Kohlhaas sein, weil mich das Thema brennend | |
interessiert – diese Terroristenwerdung, dieser Wutbürger, das ist ja | |
leider Gottes aktuell. | |
Warum keine fertigen Dramen? | |
Wir lieben einfach so eine Fassung: Dieser Umgang mit der Literatur, das | |
ist für uns ganz zentral. Ich mag das ungeheuer, dort die Essenz zu finden, | |
wirklich Schicht für Schicht sich einzugraben und auf das zu stoßen, was | |
wir erzählen und theatral umsetzen wollen. | |
In der Literatur begegnen uns Personen als Menschen – gleich groß, auf | |
Augenhöhe, ebenbürtig – oder noch größer. Das ist wenigstens meine | |
Leseerfahrung. Was macht es mit ihnen, sie ins Puppentheater zu übertragen? | |
Ich glaube, dass es noch ganz viele Sachen verstärkt. | |
Warum das? | |
Es sind ja schon rein technisch, visuell mit Puppen ganz andere Sachen | |
möglich als mit Schauspielern. Ich kann eine Puppe fliegen lassen, ich kann | |
sie spalten, um, wie in der Schachnovelle, die Schizophrenie wirklich | |
bildlich umzusetzen, oder für die neue Produktion hat uns Melanie Kuhl eine | |
Puppe gebaut, die sich komplett zerlegen und mit wenigen Handgriffen auf | |
der Bühne wieder zusammensetzen lässt. | |
Die Puppen werden jeweils für die Produktionen entwickelt? | |
Ja, ich mache die Entwürfe, und Melanie Kuhl baut sie selbst. Die ist | |
großartig: Sie baut zum Beispiel auch eigene, ganz spezielle Augen mit | |
Reflektoren, die sind sehr ausdrucksstark. Und sie lässt sich immer | |
unglaubliche Sachen einfallen für meine Sonderwünsche, auch für die | |
Kohlhaas-Puppe. Die durchlebt während des Stücks eine Verwandlung vom | |
Biedermann mit Bart und Kotletten hin zum echten Monster. Das ist eine ganz | |
andere Optik, eine andere Körperlichkeit, als ich sie als Schauspieler | |
jemals erreichen könnte, es sei denn, ich geh erst mal zwei Stunden in die | |
Maske. Aber es gibt auch noch eine andere … | |
Welche? | |
Die Ebene der Projektion: Zur Puppe hat man erst einmal eine gewisse | |
Distanz. Sie ist, egal ob kleiner oder größer, jedenfalls nicht menschlich, | |
sie ist manchmal auch nur ein Torso, anatomisch gar nicht lebensfähig. Das | |
fordert, glaube ich, dazu heraus, als Zuschauer die Geschichte im eigenen | |
Kopf mitzudenken, und zwar viel stärker als bei einem normalen Schauspiel. | |
Ich kenne das auch vom Maskentheater: Ich spiele ja viel mit der Gruppe | |
Familie Flöz aus Berlin, und oft mit Vollmasken. Da tritt genau derselbe | |
Effekt ein – eine anfängliche Irritation, gerade wenn Leute das nicht | |
kennen. Und dann verfällt man dem regelrecht. | |
Ist es nicht ein großer Wunsch oder Ehrgeiz von Schauspieler*innen, das | |
Mitleiden der Zuschauer*innen auf sich selbst zu ziehen? | |
Meine Situation ist schon ein bisschen schizophren: Ich verstecke mich | |
nicht, ich mache weder die Kasperle-Theater-Situation oder vermumme mich | |
komplett schwarz, um unsichtbar zu werden. Das gibt es ja auch im | |
Puppenspiel. Ich bin immer neben oder hinter den Puppen auf der Bühne. Ich | |
zeige mich – und trotzdem: Mein größter Ehrgeiz, mein Ziel ist, dass die | |
Leute mich vergessen. Wenn die sagen: Ich habe nur noch auf die Puppe | |
geguckt – dann bin ich glücklich. Weil genau dann das Geheimnis dieser | |
Puppen eintritt: Dass sie ein Verstärker sind, für die Geschichte im Herzen | |
und Hirn der Zuschauer. | |
Wie verändert das denn Ihre Sicht auf den Text, ihn mit Puppen umzusetzen? | |
Es ist schon so, dass die Textfassungen durch mich entsteht: Am Anfang sind | |
ja noch keine Puppen da, die verkörpern ja erst meine Sicht auf den Text. | |
Logisch. | |
Und dann, gerade im Michael Kohlhaas – das ist bislang unser Stück mit den | |
meisten Personen, der ist ständig im Dialog mit Leuten, und folglich spiele | |
ich fast immer zwei und manchmal fünf Personen zugleich – wenn dann die | |
Puppen nach und nach dazukommen, dann entsteht da noch eine Komponente, die | |
sich nur sehr schwer in Worte fassen lässt. Ich möchte da gar nicht so ins | |
Spirituelle gehen, dazu bin ich viel zu sehr Atheist. Aber es ist schon | |
faszinierend, wenn die Puppe anfängt, wirklich zu übernehmen. | |
Zu übernehmen? | |
Ja, übernehmen: An manchen Abenden, da bin ich wirklich verwundert, wohin | |
mich die Puppe diesmal führt. Und dann sagt auch Gero John: Also heute hast | |
du da Sachen gemacht – und wir haben das Stück schon oft gezeigt! – das | |
waren völlig neue Töne, keine Ahnung, so hast du das jedenfalls noch nie | |
gespielt. Und es ist wirklich so: Wenn man 100 Prozent seiner Energie in | |
diese Puppe gibt, und alles versucht, durch sie zu kanalisieren, nur dann | |
kann man gut sein. Und dann entstehen da schon auch Sachen, die sind – | |
manchmal richtig unheimlich. | |
12 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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