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# taz.de -- Krippenbauer in Neapel: Von Madonnen und Monstern
> Beim Krippenspiel geht es um den Kampf zwischen Gut und Böse. In Neapel
> erzählt jeder Krippenbauer eine eigene Weihnachtsgeschichte.
Bild: In einer Werkstatt auf der San Gregorio Armeno
Der Teufel steckt im Detail. Manchmal hockt er aber auch im
Weihnachtsidyll. In den Kunstkrippen der Geschwister Scuotto wartet er
zähnfletschend darauf, die Geburt des lichten Kindes zu vereiteln. Früher
einmal soll der Teufel zum festen Personal der neapolitanischen Krippe
gehört haben. Heute ist er verschwunden. „Wir nehmen uns die künstlerische
Freiheit, ihn wieder zum Leben zu erwecken“, erklärt Salvatore Scuotto.
Denn beim Krippenspiel gehe es immer um den Kampf zwischen Gut und Böse,
zwischen Leben und Tod, zwischen Dunkel und Licht. Im Laden der Scuottos
stehen neben flügelschlagenden Engeln missgestaltete Freaks und andere
unseelige Gestalten in der Vitrine.
Die Krippe ist ein Wahrzeichen Neapels – wie die Pizza und der Vesuv. Doch
jeder Neapolitaner hat dazu eine eigene Meinung. Bei der katholischen
Kirche kommen Teufel und Dämonen im Krippenspiel nicht gut an. Ebenso wenig
wie die Zigeunerin mit entblößter Brust oder der Feminiello, die
neapolitanische Version des Transvestiten. Diese beiden Figuren sind
traditioneller Bestandteil der volkstümlichen Krippe. Ihr Ursprung liegt
weniger im christlichen Heilsmythos als in jahrhundertelang überlieferten
Bräuchen und Kulturen. Diese haben sich seit dem 17. Jahrhundert in den
Gassen Neapels, im Schatten der unzähligen Fremdbesetzungen durch Kirche
und Adelshäuser zu einem Mosaik aus Bildern und Geschichten
zusammengesetzt. Das Jesuskind kam erst später dazu.
Bis heute ist das neapolitanische Krippenbild so unübersichtlich wie der
vorweihnachtliche Rummel in der Vesuvstadt. Durch die Krippenstraße San
Gregorio Armeno und die anliegenden Gassen des einstigen Handwerkerviertel
San Lorenzo schieben sich vor Weihnachten die Menschenmassen. Der Kitsch
ist König. Und natürlich auch Pulcinella, listige Kaspermaske und
Wahrzeichen der Stadt, und der rote hornförmige Glücksbringer Corno – in
Plastik, Glas, Metall, Plüsch, am Armband und an der Lichterkette und was
einem sonst noch so einfallen könnte.
## Heerscharen Krippenpersonal
Schon für einen Euro gibt es Kühlschrankmagnete in Pizzaform und
Weihnachtskugeln mit Disneymotiven. Dazwischen knattern die unvermeidlichen
und infernalisch stinkenden Motorini und über allem dröhnt der
neomelodische Herz-Schmerz-Sound der Camorrastars. Stille Nacht, heilige
Nacht gibt es hier nicht. Doch die Stimmung ist gut, auch der Caffè in
jeder der unzähligen Bars. Und an allen Ecken duftet es nach süßen
Sfogliatelle und frittierten Pizzette. Für die muss man oft aber Schlange
stehen. Und mitunter auch darum kämpfen, dass man einen Euro Restgeld und
keine Wasserflasche als Ersatz herausbekommt.
Mitten im Getümmel stehen auf den Ständen aufgereiht die Heerscharen des
Krippenpersonals. Das Jesuskind mit Eltern, die Heiligen Drei Könige,
Madonnen mit blutendem Herzen, Esel mit und ohne Karren, Ochsen, Schäfer,
Dudelsackspieler, Marktverkäuferinnen, Trinker mit Korbflaschen und Engel
ohne Ende. Die billigeren sind aus Plastik made in China, die besseren aus
Ton. Zu ihnen gesellen sich Fußballer, Popstars und Politiker. Die
Neapolitaner haben kein Problem damit, ihr traditionelles presepe jährlich
mit den angesagten Promis aufzupeppen.
Dieses Phänomen erklärte der Metallarbeiter Umberto Iannacone, der – wie
viele Neapolitaner – aus Leidenschaft zum Objekt ein Krippenmacher wurde,
schon in den 70er Jahren. Er hängte damals in seine Krippe ein Bild von Che
Guevara. „Jede Epoche hat ihren Christus und in diesem Jahrhundert war es
der Che“, so lautet seine Theorie. Heute sehen die Erlöser anders aus. Zu
den Dauerbrennern gehören Diego Maradona, der Papst und zwei berühmte
Neapolitaner: der Schauspieler Toto und der Musiker Pino Daniele. Silvio
Berlusconi wurde nach vielen Jahren aus den Regalen geräumt und steht
manchmal noch verstaubt hinterm Ladentisch. Das Highlight ist in diesem
Jahr eine ganze Krippenszenerie mit den Figuren aus „Star Wars“.
In der Werkstatt Gambardella, um die Ecke in der Via dei Figurari, findet
man keine Promis. Dafür Tonfiguren in allen Dimensionen. Am Arbeitstisch
sitzen die Brüder Gambardella. Salvatore modelliert den Kopf einer Kundin,
die ein ganz persönliches Weihnachtsgeschenk machen möchte. Ihr Foto hat er
auf dem Smartphone vor sich liegen. Wie jeder echte Krippenbauer ist er ein
Künstler. Sein Bruder Raffaele hält einen halbfertigen Engel in der Hand.
Er ist ziemlich sauer. „Die ganze Geschichte mit den Promiköpfen ist eine
PR-Masche. Mit unserem Krippenhandwerk hat das nichts zu tun“, sagt er.
## Bars statt Werkstatt
Raffaele ist in der Werkstatt aufgewachsen. Die Familien beider Elternteile
waren Krippenbauer. Bis vor Kurzem hatten die Gambardellas drei Geschäfte.
Geblieben ist nur noch dieser eine Laden mit der Werkstatt im Hinterzimmer,
wo zwei junge Helfer kleine Tonfiguren aus Gipsformen herstellen. Die
Mieten haben sich in den letzten Jahren verdreifacht. „Für jeden
Krippenbauer, der schließt, öffnet eine Bar oder eine Frittierstube“,
erzählt er. So können sich Streetfoodketten breitmachen und die Camorra
kann ihr überschüssiges Kapital investieren. Am schnellen Imbiss verdient
man mehr als an einer mit Hand geformten Krippenfigur. Doch ohne sie würde
es die Weihnachtsmagie, die hier alle suchen, gar nicht geben.
Früher kamen Sammler aus ganz Europa, auch viele Deutsche, in die
neapolitanische Weihnachtswerkstatt. Heute beherrschen hier – wie auf jedem
deutschen Christkindlmarkt – die Reisebusse das Geschäft. „Bei uns machen
die Touristen Fotos und kaufen vielleicht mal ein Figürchen für zwei Euro“,
schimpft Raffaele. Konkurrenz kommt auch aus dem Internet, wo inzwischen
viele Heimbastler ihre Figuren anbieten. Natürlich zu günstigeren Preisen,
weil sie keine Miete zahlen. Geschäfte, die ihre Krippen und Figuren nicht
selbst fertigen, kaufen bei ihnen ein. Oft entdecken die Gambardellas
Köpfe, die bei ihnen kopiert wurden.
Das Problem der Raubkopierer hat Aldo Caliro auf eigene Weise gelöst. Er
sitzt seit 40 Jahren tagein, tagaus hinter seinem Arbeitstisch in der Via
San Biagio dei Librai und friemelt an mikroskopischen Figürchen herum, die
oft kleiner sind als ein Stecknadelkopf. „Das kann keiner kopieren“, sagt
er. Mit Engelsgeduld und Pinzette setzt er Perlchen und Metallsplitterchen
in Nüsse, Muscheln und sogar Armbanduhren. Eine davon ziert sogar den Puls
des Kardinals von Neapel. Die Minikrippen aus der Caliro-Werkstatt sind
berühmt in Italien. Sein kleinstes Modell hat er auf einer Linse
untergebracht.
## Ein universelles System
„Man braucht Fantasie für diese Arbeit“, erklärt er. Man braucht aber auch
Philosophie. Aldo interpretiert die Krippe als universelles System aus
Symbolen, die in allen Kulturen verstanden werden. Deshalb ist sie ein
Kulturgut, findet er. Die Kunst der neapolitanischen Pizzabäcker hat es vor
zwei Wochen in die Liste des Weltkulturerbes der Unesco geschafft. Die
Kunst der Krippenbauer noch nicht.
Die Ladentür klingelt. Ein Kunde fragt nach einem Minimotor für das
Wasserrad über der Grotte der Heiligen Familie. „Den führe ich nicht mehr�…
sagt Aldo. Er koste ihn selbst 25 Euro und würde für seine Kunden am Ende
viel zu teuer werden. Aber ansonsten gibt es bei ihm alles zu kaufen, was
das Sammlerherz begehrt. In seiner Vitrine sieht es aus wie beim Ausstatter
für Puppenhäuser. Ausgestellt sind Krönchen, Halskettchen, Tellerchen,
Eimerchen und Säckchen mit Miniziegelsteinen, von denen er jeden einzelnen
in seinem Ofen brennt.
Der Vergleich mit dem Puppenhaus oder dem Puppentheater ergibt durchaus
Sinn. Denn die neapolitanische Krippe war von Anfang ein Spiel und kein
statisches Bild. Von dem jungen Bourbonenkönig Karl III., der die
Krippenkunst im Barock vorangetrieben hat, erzählt man, dass er mit den
Figuren immer neue Szenen erfand. Die Figuren waren damals rund 40
Zentimeter groß, in Samt und Seide gekleidet und beweglich. Die Körper
bestanden aus Stroh und Metalldraht, Köpfe, Hände und Füße aus Ton. Sie
konnten auseinandergelegt und in immer neue Stellungen gebracht werden. Die
Brüder und Schwestern Scuotto fertigen bis heute eigenhändig in dieser
Technik. In der Werkstatt von Aldo Caliro hängen zur Anschauung Modelle in
verschiedenen Größen.
Diese reich ausgeschmückte und teure Version des Krippenspiels war dem Adel
und später auch der wohlhabenden Bürgerschicht vorbehalten. Das presepe
stand in jedem feinen Salon Neapels und wurde zu einer Art Statussymbol,
für das sich manche Familien sogar in den Ruin trieben. Die großen
Sammlerfiguren waren teuer, damals wie heute. Bei den Scuottos beginnen die
Preise bei 500 Euro. Die barocke Szenerie stellte einerseits Christi
Geburt, andererseits das Leben und die Bräuche des Volkes dar, so wie die
Adeligen sie sich vorstellten. Sakrales und Profanes gehören zur Krippe wie
das Gute und das Böse. Letzteres wird traditionell durch die Völlerei in
der Osteria und den Wirt dargestellt. In der Wurstkette, die er um den Hals
trägt, soll Menschenfleisch verarbeitet sein. In der damals weniger
verbreiteten kirchlichen Version stehen die Heiligen Drei Könige im
Mittelpunkt des Geschehens.
## Heidnische Bräuche
Die volkstümliche Krippe hingegen hat eine andere Tradition. Sie wird seit
20 Jahren vor allem von dem neapolitanischen Musikologen und
Theaterregisseur Roberto De Simone erforscht. Seiner Meinung nach liegen
die Wurzeln des Krippenspiels in vorchristlichen, heidnischen Bräuchen.
Bereits in der Römerzeit gab es in den Wohnhäusern einen Schrein mit
Figuren der verstorbenen Ahnen, die den Kindern zum Winterfest Süßigkeiten
brachten.
Auch De Simone beschreibt die Krippe als Spiel mit Szenen die sich
verändern und mit Geschichten, die erzählt werden. Es sei sogar für jeden
der 12 Tage zwischen Heiligabend und Heilige Drei Könige ein bestimmtes
Bild vorgesehen. Zudem verbindet er die Krippenszenen mit den Symbolen der
neapolitanischen Tombola. „Sie ist eine der antikesten
Weihnachtstraditionen und in ihren Bildern verlöschen die Dimensionen der
Zeit, der Unterschied zwischen Vergangenheit und Gegenwart“, erklärt er in
einem seiner Bücher. Im Zahlensystem der Tombola steht 1 für die Sonne und
77 für den Teufel.
Für De Simone gehören Teufel und Dämonen zum traditionellen
Krippenpersonal. Die Geschwister Scuotto schätzen ihn als Berater. Seine
Forschungen fördern immer neue Gruselfiguren zutage, die ihre Krippenszenen
mit einem Schuss Horror garnieren. Eine von ihnen ist die schaurige Mönchin
Mafalda, die in einem Sack den abgetrennten Kopf ihres Geliebten trägt.
„Diese Figuren werden von der Kirche nicht anerkannt“, sagt Scuotto.
Die Krippen der Scuottos erzählen aber auch Geschichten der Barmherzigkeit
und der politischen Gegenwart, so wie es schon immer Tradition war in
Neapel. In einer Szene ziehen Fischer Gestrandete aus dem Meer, wie es sich
vor den Küsten Süditaliens täglich abspielt. „Denn“, so erklärt Salvato…
„die Krippe zeigt das große Spiel des Lebens. Und dazu gibt es mehr zu
zeigen als Fußballerköpfe.“
24 Dec 2017
## AUTOREN
Michaela Namuth
## TAGS
Neapel
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Elena Ferrante
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