# taz.de -- Kohlhaas-Inszenierungen im Vergleich: Zweimal mit, einmal ohne Sado… | |
> Inszenierungen von Kleists Michael Kohlhaas bescheren Schauspielhäusern | |
> volle Ränge. Derzeit läuft das Stück gleichzeitig in Hamburg, Bremen und | |
> Oldenburg. | |
Bild: Auch die Bremer Kohlhaas-Inszenierung bemüht das Fesselspiel | |
BREMEN taz | Wer glaubt, es herrschten harte Zeiten da draußen, der soll | |
erstmal gucken, wie es den Pferden im Theater geht. Das klingt bescheuert, | |
ist aber trotzdem richtig. Denn dass die Theater in dieser Spielzeit | |
landauf, landab den „Michael Kohlhaas“ geben, ist ja kein Zufall. | |
Man sorgt sich völlig zu Recht über die Moralität im politischen Handeln in | |
so Zeiten, wo die Rechte immer stärker, die Linken immer dämlicher und der | |
Staat immer verrückter wird. Und naja, dass Heinrich von Kleists Novelle in | |
Hamburg wie Bremen zum Abiturstoff auserkoren wurde und so eine | |
Inszenierung darum (schüler-)volle Häuser verspricht – das wird den | |
Spielplanmachern auch nicht entgangen sein. Er wird jedenfalls gespielt: In | |
Hamburg, Bremen und Oldenburg. | |
Pferde also. Davon verliert Rosshändler Kohlhaas zwei, weil ein lokaler | |
Herrscher sie ihm als Pfand abnimmt und sie zerschindet, während der | |
naiv-rechtschaffene Kohlhaas noch versucht, willkürlich verlangte Dokumente | |
zu beschaffen. Ärgerlich, ja, aber für den gut situierten Geschäftsmann | |
wäre das nicht existenzbedrohend. Dem aber geht es ums Prinzip und um den | |
Staat, der dieses zu schützen hätte. Dann zieht er auf Rache aus, brennt | |
Städte nieder, bekommt zwar Recht, verliert dabei aber sein Leben. So | |
simpel wie Stoff ist, so kompliziert sind die Fragen, die daran hängen. | |
Am Hamburger Thalia Theater, wo der Kohlhaas am Sonntag Premiere feierte, | |
macht es sich Regisseur Antú Romero Nunes damit allerdings eher einfach. | |
Seine Inszenierung lässt den abgezockten Pferdehändler als Reichsbürger | |
zurück, als Durchgeknallten, dessen Amoklauf nicht einmal mehr folgerichtig | |
ist – und der darum auch frühzeitig niedergeschossen wird.Klar, die | |
Handlung hat hier so einen Schwenk auf Kohlhaas’ Nachfahren gemacht und | |
erinnert an die alte Geschichte nur. Platter ist sie trotzdem geworden. | |
Das ist aber eigentlich auch egal in diesem Feuerwerk der Absurditäten. Wer | |
eingangs seine Schauspieler über eine Dreiviertelstunde wortlos | |
Slapstickchoreografie in 90er-Jahre-Bürotristesse aufführen lässt, der hat | |
offensichtlich eh etwas anderes vor. Leider ist nicht ganz klar, was | |
eigentlich. Aber es ist schon richtig lustig. Gerade weil die Besetzung aus | |
Thomas Niehaus, Jörg Pohl und Paul Schröder zwischendurch immer wieder | |
unmissverständlich klarstellt, dass sie auch einen wortgetreuen Kohlhaas | |
mit Wucht hätte darstellen können. | |
Stattdessen: Gaga. Martin Luther wird mit der (Stoff-)maus eingerieben, und | |
riecht dann eben auch nach Maus, als die Kohlhaas-Brüder eine (echte) | |
Schlange auf ihn loslassen. Dann der Reichsbürgerquatsch mit „BRD-GmbH“ und | |
„Muss man wissen“ – irgendwann Schlachtentaumel mit Pauke und Dudelsack. | |
Unsinn ist das natürlich. Aber mit einem wahren Kern. | |
Denn wenn der bürgerliche Rechtsstaat so abgewirtschaftet wäre, wie das | |
politische Feuilleton es einen glauben machen könnte – was sollte man denn | |
dann auf der Bühne auch anderes machen? In Zeiten antibürgerlichen Affekts | |
darauf zu setzen, dass der Durchschnittszuschauer irgendwie Mitleid mit dem | |
Geschäftsmann haben könnte, wäre ja auch beknackt. Da muss mindestens seine | |
sterbende Ehefrau Lisbeth herhalten, oder eben das edle Pferd als gequälte | |
Kreatur. | |
Die Gewalt ist hier auch in der Komik allgegenwärtig und mündet in einer | |
wüster Schießerei und dem Auftritt der Pferde. Erst ganz am Ende stolzieren | |
zwei Tanz-Statistinnen im Ponyplay-Catsuit hochhackig auf die Bühne und | |
schießen das Reichsbürgerpack mit Gewehren nieder. | |
## Doppelt und dreifach überladen | |
Das Bild ist so stark, weil es doppelt und dreifach überladen ist: Frauen | |
waren überhaupt noch nicht auf der Bühne, die geschundene Kreatur nimmt | |
selbst Rache – und dann auch noch hochgradig lustbesetzt in diesem Aufzug | |
mit Lederriemen, Kettchen, Pferdemaske und beschweift-betontem Popo. Das | |
ist der wohl bekannteste Unterwerfungsfetisch aus der | |
Fetisch-Klamottenkiste, und ja: Natürlich macht einen das irgendwie | |
hibbelig. | |
Bemerkenswert ist, dass in Bremen auch Martin Grünheit das Fesselspiel | |
bemüht, um Kohlhaas’ Verstrickung mit der Macht auf der Bühne zu zeigen. Da | |
wird die bemitleidenswerte Karin Enzler zum Ende mit so schwarz-glänzendem | |
Klebekunststoff an einem Pfeiler gefesselt, umringt von Inquisitoren, | |
Richtern oder was auch immer – in leuchtend roten Fantasieroben. | |
Hier hat man auch Kohlhaas’ einseitige Auflösung zum Wut- oder eben sogar | |
Reichsbürger vermieden und ihn stattdessen auf die Besetzung aufgespalten. | |
Da ist dann ein wütender Kohlhaas, ein zögernder, ein beleidigter und so | |
weiter – die gemeinsam über diese Plastikbahnen steigen und im Chor Teile | |
des Kleisttextes nacherzählen, was vor dröhnenden Ambientsounds nicht immer | |
ganz zu verstehen ist. | |
## Eine Regietheater-Parodie | |
Selbst die hochkarätige Besetzung, kann hier nur scheitern an unmotivierten | |
Sprecherwechseln, zu stark im Hintergrund verblassender Handlung und | |
wahllos herbeizitierten und bestenfalls angerissenen Bedeutungsebenen. Mehr | |
leid als diese Pferde (hier übrigens aufgepustete Stoffhosen auf | |
Plateausohle) tun einem nur die Schauspieler in dieser | |
Regietheater-Parodie. | |
Man möchte es kaum aussprechen, aber: Ein Segen ist dagegen das | |
traditionelle Schauspiel am Oldenburgischen Staatstheater, wo Karsten | |
Dahlem beweist, das Feingefühl im Umgang mit den Figuren sich doch eher | |
bezahlt macht als knallige Regie-Stunts. Und man feiert diese | |
Bodenständigkeit: Kohlhaas Klaas Schramm als Würgeengel in Cordhose und | |
Gummistiefel, der eben auch beim Ausraster noch die Würde der Figur zu | |
bewahren weiß. Das passiert mit perfekt dosiertem Tempo und – überhaupt – | |
einer so schlüssigen wie wirkungsvollen Dramaturgie. | |
## Bürgerliche Liebesvorstellungen | |
Bemerkenswert ist auch, dass ausgerechnet diese einzige Sado-Maso-freie | |
Inszenierung zur Geschlechterfrage überhaupt etwas zu sagen hat. Schramm | |
nämlich und Rebecca Seidel als Lisbeth entfalten ein zuckersüßes Bild der | |
bürgerlichen Zweierbeziehung: Lisbeth so ein bisschen hausmütterlich, ein | |
bisschen frech, ein bisschen sexy – und ihr Tod darum ganz schön tragisch. | |
Klar vermeidet man das heute eigentlich: Frauen effektvoll sterben zu | |
lassen, um die Handlung von Männern zu motivieren. | |
Aber das können die Kursbesten dann ja auch reinschreiben in ihre | |
Abiklausur zum Kohlhaas. Und dann werden sie eben auch merken, dass die | |
reflektierbare Dopplung bürgerlicher Liebesvorstellungen einen auch | |
weiterbringen kann – vielleicht sogar mehr noch als sexualisierte | |
Unterwerfungsmetaphern. | |
24 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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