# taz.de -- Regisseur Walburg über "Staatsfeind Kohlhaas": "Es kann auch dich … | |
> Heinrich von Kleist erzählt in "Michael Kohlhaas" von einem Bürger, der | |
> sich plötzlich mit dem Staat anlegt. Zum Spielzeitauftakt inszeniert | |
> Lars-Ole Walburg in Hannover die Bearbeitung "Staatsfeind Kohlhaas". | |
Bild: "Staatsfeind Kohlhaas" in Hannover: Den Staatsfeind spielt Rainer Frank. | |
taz: Herr Walburg, was hat Sie gereizt, den "Staatsfeind Kohlhaas" ins | |
Programm zu heben und selbst - programmatisch zum Beginn der Spielzeit - zu | |
inszenieren? | |
Lars-Ole Walburg: Wir haben überlegt, was wir zum 200. Todestag von Kleist | |
machen können und ein Paket mit mehreren Produktionen geschnürt, die mit | |
ihm zu tun haben. Mich hat die "Kohlhaas"-Novelle schon lange interessiert, | |
und dann habe ich das Stück eines ungarischen Autors auf den Tisch | |
gekriegt, der die Geschichte aus einer sehr ungewöhnlichen Perspektive | |
erzählt, nämlich aus der Sicht der geschundenen Pferde. Das hat mich | |
gereizt, weil es einen humorvollen Zugang zu der doch sehr bitteren | |
Geschichte ermöglicht. Und zum anderen interessiert der Kohlhaas heute | |
natürlich als Wutbürger. | |
Sie haben die Bühnenfassung von István Tasnádi gewählt - er hat einen Namen | |
als vielversprechende Stimme des ungarischen Gegenwartsdramas. Wo liegen | |
Tasnádis Stärken? | |
Die Stärke ist eindeutig, dass er den wirklich sehr komplexen Kleist-Text | |
auf eine Ebene herunterbricht, die die Geschichte erdet und sie so für die | |
Bühne verständlich macht. Und dann habe ich das Gefühl, dass der Autor | |
großen Humor besitzt, auch wenn ich ihn nicht persönlich kenne. Sein | |
skurriler Blick auf die Geschichte vermeidet eine vordergründige Moralität | |
und ermöglicht Unterhaltung. | |
Die Geschichte wird aus der Perspektive von Pferden erzählt. Ist das nicht | |
abwegig? | |
Eigentlich gar nicht, weil so die Aufmerksamkeit einmal auf die | |
Kollateralschäden gelenkt wird, die sonst zumeist unter den Tisch fallen. | |
Bei "Kohlhaas" ist es im doppelten Sinne nicht abwegig, weil dieser | |
Gerechtigkeitsfanatiker, der für die beiden Pferde bis zum Terror streitet, | |
diese Pferde als eigentliche Ursache der ganzen Angelegenheit bald aus den | |
Augen verliert. Damit wird der Spagat deutlich: Geht es jetzt wirklich um | |
die Pferde oder vielmehr ums Prinzip? Als Zuschauer kommt man durch diesen | |
geschärften Blick auf die Pferde vielleicht stärker ins Abwägen: Ist es das | |
wert? Muss oder darf man diesen Weg so weit gehen, wie Kohlhaas ihn geht? | |
Kohlhaas wird bei uns oft ein Rechthaber bezeichnet, der sich nicht | |
zufriedengibt. Wie deuten Sie Kohlhaas? | |
Es ist durchaus kein ungebrochen sympathischer Charakter. Die | |
Prinzipienreiterei und das sture Beharren auf bestimmten Grundsätzen sind | |
mir persönlich nicht unbekannt, aber dennoch nicht angenehm. Als | |
dramatische Figur sehe ich in ihm aber noch etwas anderes: Die Tatsache, | |
dass ein 30 Jahre lang unbescholten lebender Bürger auf einmal in Konflikt | |
mit der Staatsmacht und dem Gesetz gerät und wegen der ungerechten | |
Behandlung so völlig aus dem Ruder läuft, löst Irritation aus - und das | |
Nachdenken, wie kurz der Weg aus der bürgerlichen Normalität sein kann. Es | |
kann auch dich treffen, selbst wenn du jahrelang geglaubt hast, konform mit | |
Staat und Recht zu leben. Ich musste auch an den alten Mann denken, dem vor | |
dem Stuttgarter Hauptbahnhof durch Wasserwerfer die Augen ausgeschossen | |
wurden. | |
Sie sind für Ihre politischen Inszenierungen bekannt - was bedeutet für Sie | |
"Staatsfeind" in Zusammenhang mit Kohlhaas? | |
"Staatsfeind Kohlhaas" ist als Titel erstmal kräftiger. Und dann steckt für | |
mich auch eine Fragestellung drin: Ist jemand, der sich gegen die | |
Ungerechtigkeit staatlicher Willkür wehrt, tatsächlich ein Staatsfeind? Das | |
ist eine Frage, die sich vielleicht innerhalb des Abends auftun wird und wo | |
dann jeder Zuschauer selbst entscheiden muss, wie er das sieht. | |
Wen machen Sie verantwortlich für den Aufstand von Kohlhaas und seinen | |
Männern? | |
Es ist eindeutig die Korruption der staatlichen Stellen, die ihn in den | |
Amok treiben. Es ist die Ohnmacht desjenigen, der sich mit legalen | |
rechtlichen Mitteln nicht mehr zu wehren weiß. Es gibt einen sehr | |
interessanten Satz im Stück. Da diskutiert Kohlhaas mit Martin Luther und | |
sagt: "Verstoßen nenne ich den, dem der Schutz der Gesetze verwehrt ist. | |
Der ist ein Wilder und muss die Keule, die ihn schützt, selbst in die Hand | |
nehmen." | |
Am Ende von Kleists Novelle gibt es noch eine Warnung an einen der Fürsten, | |
der das Recht gebeugt hat. Hat Heinrich von Kleist seine Standesgenossen | |
warnen wollen? | |
Klar steckt da eine Warnung drin. Letztlich tradiert Kleist einen Stoff aus | |
dem 16. Jahrhundert über sein eigenes Denken auch in seine Zeit. Die | |
Niederlage von 1806 gegen Napoleon hatte ja einen grundlegenden Einfluss | |
auf das preußische Nationalgefühl. Die Entrüstung über die schwache, sich | |
nicht bestimmt gebende Monarchie, die ungewisse politische Zukunft Preußens | |
belasteten auch Kleist und seine späten Schriften. Und "Michael Kohlhaas" | |
entstand in dieser Zeit und schließt mit einem Verweis auf die Endlichkeit | |
der sächsischen Monarchie. Das ist natürlich eine Drohung. | |
Was wollen Sie als Regisseur besonders herauspräparieren? | |
Mich interessiert der Weg von Kohlhaas. Was bringt diesen braven Bürger | |
dazu, sich so zu verhalten? Es geht um die Wut, die durch Ungerechtigkeit | |
ausgelöst wird und ihre Folgen. | |
Wir sind im Kleistjahr. Wie fügt sich "Staatsfeind Kohlhaas" in Ihren | |
Spielplan für diese Saison ein? | |
Es ist die erste von drei Produktionen, die wir dem Dichter widmen. Nach | |
"Staatsfeind Kohlhaas" setzt sich Kornél Mundruczó in "Die Verlobung in | |
Santo Domingo oder My Sweet Haiti" mit einer anderen Novelle von Heinrich | |
von Kleist auseinander. Als Drittes folgt direkt zum 200. Todestag im | |
November ein Live-Hörspiel mit dem Titel "Heinrich von Kleist oder die | |
gebrechliche Einrichtung der Welt", das wir in Zusammenarbeit mit NDR | |
Kultur auf die Bühne bringen. | |
Was denken Sie über Heinrich von Kleist? Welchen Rang räumen Sie ihm ein | |
und welches seiner Dramen halten Sie für sein bestes? | |
Da geht es mir ähnlich wie mit Michael Kohlhaas. Heinrich von Kleist ist | |
mir, wenn ich seine Lebensgeschichte betrachte, nicht unbedingt | |
sympathisch. Aber als Dichter finde ich ihn unglaublich, angefangen bei | |
seiner Produktivität bis hin zur Radikalität, mit der er sich seinen Platz | |
in der Welt im wahrsten Sinne erschrieben hat. Beim Lesen seiner Biografie | |
fällt die Rastlosigkeit, das permanente Reisen auf. Und die gleichzeitige | |
ständige Geldnot. Insofern empfinde ich sein Leben tatsächlich als ein | |
Künstlerdasein mit dem Mut zur Selbstfindung. Und daraus resultiert dann | |
eine Sprache, die vielen Zeitgenossen unglaublich vorkam, aber bis heute | |
ihre Faszination nicht verloren hat. An Dramen-Rankings beteilige ich mich | |
grundsätzlich nicht. | |
Welche Wirkung erhoffen Sie sich von Ihrer Inszenierung? | |
Eine Mischung aus Lachen und Betroffenheit. | |
## "Staatsfeind Kohlhaas": Deutschsprachige Erstaufführung: 15. 9. 11, | |
19.30 Uhr, Hannover, Schauspielhaus. Uraufführung "Die Verlobung in Santo | |
Domingo oder MY SWEET HAITI": 16. 9. 11, 20 Uhr, Cumberlandsche Bühne | |
13 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Fischer | |
## TAGS | |
Thalia-Theater | |
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