# taz.de -- Telefonieren am Steuer: Legal aber verhängnisvoll | |
> Eine 25-Jährige telefonierte mit Headset beim Fahren – ganz legal. Sie | |
> überfuhr einen Radfahrer, der starb. Nun wurde sie zu einer | |
> Bewährungsstrafe verurteilt. | |
Bild: Großes Medieninteresse: Die Angeklagte und ihr Anwalt vor Beginn der Ver… | |
HANNOVER taz | Stück für Stück kommt die Angeklagte zum Vorschein. Als die | |
Fotografen und Kamerateams den Gerichtssaal des hannoverschen Amtsgerichts | |
verlassen haben, legt sie erst die verspiegelte Sonnenbrille ab, zieht sich | |
dann die schwarze Wollmütze vom Kopf und die Winterjacke mit dem breiten | |
Fellkragen aus. Die zierliche Frau ringt um Fassung, schließt die Augen und | |
atmet tief durch. Özge C. hat einen Menschen getötet. Nun sitzt die | |
Zahnarzthelferin, die sich vorher noch nie etwas hat zu Schulden kommen | |
lassen, auf der Anklagebank. | |
Die Staatsanwaltschaft wirft ihr fahrlässige Tötung vor. Es geht um sieben | |
Sekunden ihres Lebens. Mindestens so lange hat die 25-Jährige nicht auf die | |
Straße geachtet. Das hat ein Gutachter anhand der Geschwindigkeiten, der | |
Ampelschaltungen und Fahrtwege errechnet. Am 7. Juli 2017 fuhr die junge | |
Frau morgens um kurz vor sieben Uhr zur Arbeit. Laut Gutachter mit etwa 50 | |
Stundenkilometern. Sie hatte Streit mit ihrem damaligen Freund, steckte | |
mitten in der Trennung. | |
Einen Kopfhörerstöpsel im rechten Ohr, telefonierte sie mit ihm. Elf | |
Minuten und 45 Sekunden lang. Das ist genau wie mit einer | |
Freisprecheinrichtung im Auto legal, da C. das Telefon nicht in der Hand | |
hatte. | |
Abgelenkt war sie trotzdem. Sie übersah, dass die Ampel an der Kreuzung in | |
Langenhagen bei Hannover auf Gelb sprang. Drei Sekunden lang. Dann auf Rot. | |
Weitere vier Sekunden. Erst dann überfuhr C. laut dem Gerichtsgutachter die | |
Haltelinie. Der Radfahrer, ein 67-Jähriger Familienvater, hatte da schon | |
lange Grün. | |
Als sie ihn erblickte, soll C. eine Vollbremsung eingeleitet haben. Zeugen | |
hörten das Quietschen der Reifen. Dann einen Aufprall. C. erfasste den | |
Radfahrer mit der ganzen Breite ihrer Autofront. Der Mann wurde auf die | |
Motorhaube geschleudert und knallte mit dem Kopf auf die Kante zum | |
Autodach. Zwei Tage später starb er auf der Intensivstation an den Folgen | |
seiner schweren Schädel-Hirnverletzungen. | |
Özge C. steht auf. Sie will sich selbst zu dem Unfall äußern. Doch noch vor | |
dem ersten Wort bricht sie in Tränen aus. „Ich allein habe Schuld“, sagt | |
sie als sie sich wieder etwas gefangen hat. „Bitte glauben Sie mir, es tut | |
mir leid.“ | |
Heute wisse sie, dass sie das aufwühlende Gespräch hätte abbrechen oder | |
rechts ranfahren müssen. Und dann wendet sie sich direkt an den Sohn des | |
Opfers. Er sitzt ihr gegenüber, ist der Nebenkläger. „Es ist seither kein | |
Tag und keine Nacht vergangen, ohne dass ich an Ihren Vater gedacht habe“, | |
sagt sie. | |
Mirko W. kann diese Entschuldigung nicht annehmen. „Ich nehme das zur | |
Kenntnis“, sagt er. „Mehr aber auch nicht.“ Sein Schmerz und auch seine W… | |
über den Tod seines Vaters sind spürbar, vor allem, als seine Verteidigerin | |
Nese Simsek aus einer E-Mail des Nebenklägers zitiert. Er habe gedacht, der | |
frühe Tod der Mutter sei das Schlimmste, was er in seinem Leben habe | |
erfahren müssen. Wie „einfach im Hirn“ man sein müsse, um sich so | |
fahrlässig am Steuer zu verhalten. „Was uns bleibt, ist der Anblick meines | |
Vaters auf der Intensivstation.“ Auch das von der Angeklagten angebotene | |
Schmerzensgeld lehnt W. ab. „Kein Geld der Welt wird den Verlust des Vaters | |
gutmachen“, sagt Anwältin Simsek. | |
Der Publikumsraum im Gerichtssaal ist überfüllt. Einige Zuschauer müssen | |
stehen. Auch Nadine Danowski vom Fahrradclub ADFC in Niedersachsen ist | |
gekommen. Ihr Verband hat als Mahnung an der Unfallstelle in Langenhagen | |
ein weiß bemaltes Ghost Bike aufgestellt. „Das sollte sich jeder vor Augen | |
halten“, sagt sie. „Vor solchen Fehlern sind wir alle nicht gefeit.“ Selb… | |
mit einem Headset könne man beim Telefonieren abgelenkt sein. „Deshalb | |
sollte man das Handy fernhalten aus dem Straßenverkehr.“ | |
## Sieben Sekunden | |
Sieben Sekunden. Als die Staatsanwältin ihr Plädoyer beginnt, hält sie inne | |
und schaut auf ihre Uhr. Die Stille zieht sich. „Das waren sieben | |
Sekunden“, sagt sie dann. „So lange ist die Angeklagte blind gefahren.“ | |
Auch der Verteidiger der Fahrerin, Matthias Waldraff, bestreitet die | |
„massive Fahrlässigkeit“ seiner Mandantin nicht. „Das war sicher der gr�… | |
Fehler ihres Lebens.“ C. lässt durch ihren Anwalt verlesen: „Wie stark es | |
mich ablenkte, habe ich nicht realisiert.“ Auch dass sie nach dem Unfall | |
versucht habe, zu verschleiern, dass sie telefonierte und die Anrufdaten | |
auf ihrem Handy löschte, tue ihr heute leid. | |
Richterin Monika Pinski beurteilte es positiv, dass die Angeklagte nicht | |
vor ihrer Verantwortung weglaufe. Doch aufgrund des hohen Maßes an | |
Fahrlässigkeit verurteilte sie die 25-Jährige trotzdem zu einer | |
Bewährungsstrafe von 14 Monaten. Zudem darf C. ein Jahr lang kein Auto | |
fahren und muss 3.600 Euro an die Johanniter-Unfallhilfe zahlen. | |
Sie habe C., die seit dem Unfall auch selbst in psychologischer Behandlung | |
ist, wahrgenommen „als jemanden der kein böser Mensch ist“, so die | |
Richterin. Die Fahrerin müsse lebenslang mit dieser Schuld leben. Doch | |
Pinski nahm nicht nur die Täterin in den Blick, sondern wandte sich auch | |
noch einmal an den Sohn des Opfers. „Der Weg, den sie beschritten haben, | |
ich weiß nicht, ob der ihnen hilft.“ Seine verhärtete Position sei spürbar. | |
„Ich wünsche mir, dass Sie irgendwann die Kraft finden, aufeinander | |
zuzugehen.“ | |
9 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Andrea Scharpen | |
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