# taz.de -- Politische Debattenkultur: Ist der US-Präsident psychisch krank? | |
> Journalisten und Psychologen diagnostizieren Trump gern eine psychische | |
> Störung. Das ist fatal – für die Psychatrie und für die Gesellschaft. | |
Bild: Irre oder irre rational, indem er das tut, was seine WählerInnen von ihm… | |
Michael Wolffs [1][Insider-Reportage „Fire and fury. Inside the Trump White | |
House“] über die labile und unreife Persönlichkeit Donald Trumps hat die | |
Debatte um die psychische Gesundheit des US-amerikanischen Präsidenten neu | |
entfacht. „Donald Trump ist auf dem Weg in die Demenz“, schreibt [2][Jakob | |
Augstein auf Spiegel Online]. PsychiaterInnen und PsychologInnen äußern | |
sich in Talk- und Late-Night-Shows, [3][Interviews] und | |
[4][Zeitungsartikeln] zu der Frage, ob Trump eine psychische Erkrankung | |
hat. | |
Sie erklären diagnostische Unterscheidungen und erläutern der | |
Öffentlichkeit aktuelle wissenschaftlichen Erkenntnisse ihres Fachs. Hat | |
Trump eine narzisstische oder antisoziale Persönlichkeitsstörung? Leidet er | |
an einer wahnhaften Störung oder an einer Manie? Das gesamte diagnostische | |
Arsenal der Psychiatrie wird herangezogen: Manches mag für die eine, | |
manches für die andere, manches für mehrere schwerwiegende Diagnosen des | |
Politikers sprechen. | |
Es scheint, als ob jede/r ExpertIn glaubt, etwas zur psychiatrischen | |
Einschätzung Trumps beitragen zu müssen. Anhand des US-Politikers kann | |
damit nicht nur die eigene Fachkompetenz gezeigt werden, sondern überhaupt | |
die Relevanz der Psychiatrie mitsamt ihrer Diagnosen, Krankheitstheorien | |
und Therapieansätze der breiten Öffentlichkeit. | |
Trump ist somit ein typisches Beispiel für die Psychiatrisierung der | |
Politik, also für die Ausweitung des psychiatrischen Einflusses auf andere | |
gesellschaftliche Bereiche. Das Credo dieser Psychiatrisierung lautet: | |
Sobald wir wissen, dass Trump psychisch krank ist, werden wir ihn los – er | |
kann des Amtes enthoben werden und die Psychiatrie muss sich seiner | |
annehmen. | |
## Es könnte so schön einfach sein | |
Die Komplexität der politischen Dauerkrise in Washington wird somit auf | |
eine Einzelperson und deren Fehlhandlungen reduziert. Hinter dieser | |
Reduktion steckt offensichtlich der Wunsch nach einer einfachen, | |
kurzfristigen Lösung, die den US-Präsident aus dem Amt drängt. Dabei wird | |
nicht nur die Politik, das heißt das Handeln von einzelnen PolitikerInnen | |
und Parteien, psychiatrisiert, sondern in einem viel weiteren Sinn der | |
öffentliche Raum und der Diskurs insgesamt. Das Politische im Allgemeinen | |
wird psychiatrisiert, an dem teilzunehmen wir alle aufgerufen sind. | |
Nicht nur bei Politikern wie Trump sind psychiatrische Diagnosen immer gut | |
für eine einfache Erklärung. Ob islamistischer Terroranschlag oder | |
rechtsradikale Morde, ob Sexualverbrechen oder Amoklauf: Werden die | |
TäterInnen als „psychisch labil“, „einsamer Wolf“ oder „psychisch ge… | |
Jugendlicher“ beschrieben, tritt kollektive Erleichterung ein. | |
Entsprechende Labels entlasten oftmals nicht nur die Öffentlichkeit, | |
sondern auch die Täter selbst. Nicht umsonst reklamierte etwa Beate Zschäpe | |
im NSU-Prozess für sich, psychisch krank zu sein. | |
Woher rührt diese Sehnsucht nach psychiatrischen Erklärungen? Und woher | |
kommt das kollektive Entlastungsgefühl? Wenn wir über eine Person sagen, | |
dass sie psychisch krank ist, lösen wir den Kontext auf, in dem sie mit uns | |
steht. Wir reduzieren die gemeinsame Situation auf ein individuelles | |
Problem, das nur diese Person hat. Wir sprechen ihr die Möglichkeit ab, | |
diese Situation realistisch einzuschätzen und angemessen auf sie zu | |
reagieren. | |
Psychiatrische Diagnosen werden häufig wie aus dem Zusammenhang gerissene | |
Tautologien verwendet, in denen sich auffälliges Verhalten und | |
Krankheitszuschreibung gegenseitig begründen: Jemand verhält sich verrückt, | |
weil er offensichtlich psychisch krank ist – und er ist psychisch krank, | |
weil er sich offensichtlich verrückt verhält. Dass aber verrücktes | |
Verhalten immer auch aus einer verrückten Situation hervorgeht, fällt dabei | |
ebenso unter den Tisch wie die Tatsache, dass wir selbst Teil dieser | |
verrückten Situation sind. | |
So lässt etwa die Rede vom „einsamen Wolf“ vergessen, dass wir Teil einer | |
Gesellschaft sind, die „einsame Wölfe“ hervorbringt und diese nicht | |
teilhaben lässt. Das gilt auch für schwerwiegende psychiatrische Störungen, | |
die Psychosen. Sie treten deutlich häufiger bei Menschen mit | |
Migrationshintergrund auf, die regelmäßig Rassismus und Ausgrenzung in | |
ihrem Alltag erleben. | |
## Das Problem ist die politische Situation | |
Was hat das mit Trump zu tun? Seine psychische Gesundheit ist nicht das | |
Problem – oder allenfalls das von einigen PsychiaterInnen. Das Problem ist | |
die gemeinsame politische Situation, aus der Trump hervorgeht. Es ist der | |
Trumpismus, der für die sich seit vielen Jahren vollziehende Verwerfung | |
beziehungsweise Verrückung im gesamten gesellschaftlichen Raum steht. Der | |
Trumpismus steht unter anderem für die Verschärfung und rechtspopulistische | |
Ausschlachtung sozialer Ungleichheiten, für eine der größten | |
wirtschaftlichen Deregulationsmaßnahmen in der US-Geschichte und für eine | |
massive Diskreditierung des Journalismus. | |
Er steht außenpolitisch für eine weitere Polarisierung und Militarisierung | |
der Diplomatie. Er steht schließlich für eine Verrohung des Diskurses und | |
für das offene Ausleben von Ressentiments gegen alles, was den eigenen, | |
einst sicher geglaubten sozialen Status zu bedrohen scheint – von den | |
Teilhabeforderungen von Minderheiten bis zu den angeblichen „Denkverboten“ | |
einer pluralen Gesellschaft. | |
Zum Verständnis des Trumpismus braucht es Trump nicht und schon gar nicht | |
die Psychiatrie, die uns sagt, ob Trump krank ist oder nicht. Was wir | |
brauchen, ist eine Auseinandersetzung über den speziellen politischen | |
Moment und die Gesellschaft, die den Trumpismus möglich macht. Statt Trump | |
psychiatrisch zu behandeln, sollten wir den Trumpismus politisch behandeln. | |
9 Jan 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Buch-ueber-Donald-Trump/!5472353 | |
[2] http://www.spiegel.de/politik/ausland/fire-and-fury-donald-trump-ist-auf-de… | |
[3] https://www.shz.de/deutschland-welt/psychiater-draengen-auf-untersuchung-do… | |
[4] https://www.psychologytoday.com/blog/the-time-cure/201702/the-elephant-in-t… | |
## AUTOREN | |
Samuel Thoma | |
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