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# taz.de -- Aus taz FUTURZWEI: Tesla statt Titten
> Der „Schnee“ schmeckt nach Zimt, die Gans ist vegan und Santa Claus hat
> einen Waschbrettbauch: So verbringt Ariane Sommer in L.A. die Feiertage.
Bild: Oh Palmenbaum, oh Palmenbaum, wie treu sind deine Blätter: Weihnachten i…
Die Sonne strahlt auf die Stadt der Engel, sanft rascheln die Palmen in der
Zwanzig-Grad-Brise. Ein typischer Wintertag.
„Halleluja!“, sagt die Frau, die neben mir auf dem Santa Monica Boulevard
in Beverly Hills steht. Lüstern lässt sie ihren Blick auf dem
Waschbrettbauch des Weihnachtsmanns auf und abgleiten, der vor dem Eingang
eines Cookie Shops mit Keksproben versucht, Kunden in den Laden zu locken.
Bei dem Anblick kann man Gott ruhig mal danke sagen, selbst wenn der
Sixpack-Santa eher sinnlich, als besinnlich ist.
„Schenken Sie sich süße Feiertage!“ suggeriert ein Plakat-Aufsteller neben
Sexy-Santa. Der garantiert noch nie im Leben einen Keks gegessen hat. Sieht
eher nach Green Smoothies aus und so fit, dass er den Schlitten selber
zieht. Immerhin: im Angebot hat er auch glutenfreie, zuckerfreie, koschere
und vegane Kekse.
In Los Angeles wird halt alles gnadenlos optimiert. Sogar der Schnee, der
mir auf dem Rodeo Drive ins Gesicht pustet. Aus der Nähe betrachtet,
entpuppt sich das Weiß, das vom Himmel fällt, als Schaumflocken, die von
strategisch aufgestellten Maschinen in die Luft gespuckt werden. In echt
hat es in L.A. seit 1949 nicht mehr geschneit. Was ein Glück ist, in einer
Stadt, in der selbst Nieselregen zu Staus, Verkehrsunfällen und
Terminabsagen führt. Ich zerreibe eine der Flocken zwischen meinen Fingern,
sie riecht nach Zimt.
## Hilfe, die Fleischfresser kommen
Ich wende mich von den Schneeflockenmaschinen ab und meiner Mission wieder
zu. Eigentlich hatten mein Mann und ich dieses Jahr geplant, die Feiertage
gemütlich, vor allem in Ruhe und alleine in L.A. zu verbringen. Dann vor
ein paar Tagen die Schreckensmeldung: kurzfristig hat sich Familie aus
South Carolina angesagt. Dank eines geplatzten Rohres im Haus fällt für die
Verwandtschaft Weihnachten im trauten Heim aus.
Während die Wände eine Woche lang, rund um die Uhr, von lauten Bautrocknern
entnässt werden, müssen sie ausziehen, des Lärms wegen. Zum Glück gibt es
eine leise Alternative im sonnigen Kalifornien, sprich uns, da lässt es
sich aushalten.
„Da lässt sich nichts machen“, sagt mein Mann. Was bedeutet: Augen zu und
durch. Weihnachten für vegane Gastgeber bedeutet vor allem eins: Vorsicht,
Feingefühl und Vorbereitung. Soll ich nicht-vegane Optionen anbieten? An
Weihnachten unsere Werte kompromittieren und aus dem Fest der Liebe ein
Fest der Leichen auf dem Teller machen?
Nein. Bei angekündigtem Hausfriedensbruch hat die Höflichkeit ein Ende.
Statt dessen plane ich an den Festtagen eine veritable Fressorgie aus
veganen Gerichten und Beilagen. Die liebe Verwandtschaft wird Mund und
Magen so voll haben, dass sie gar nicht dazu kommen wird, sich über
fehlendes Fleisch zu beklagen. Gutes Essen ist schlussendlich eins: gutes
Essen. Wenn es lecker schmeckt, beschwert sich niemand.
## Das Las Vegas für Veganer
Bei Whole Foods, dem örtlichen Bio-Supermarkt gebe ich meine
Feiertagsvorbestellung auf. Whole Foods ist das Las Vegas für Veganer: für
Geld kriegt man hier alles, egal, wie pervers es für „Normalos“ klingt.
huhnfreie Chicken Nuggets und eierlosen Eisalat. Außerdem Reis-, Soja-,
Kokos-, Cashew-, Mandel-, Hanf- oder Leinsamenmilch. Ganz zu schweigen von
den zahllosen Fleischersatzprodukten und dutzenden Grünkohl-, Salat-,
Apfel- und Kartoffelsorten. Und genauso, wie nach Las Vegas, ist man nach
einem Whole Foods Besuch erst mal pleite.
Aber es ist schon sehr schön hier. „It’s the most wonderful time of the
year“, dudelt es gerade aus den Lautsprechern. Die Michael-Bublé-Version.
Sozusagen das Valium der Weihnachtslieder. Das ist gut, denn ein paar Tage
vor Heiligabend ist die Stimmung hier ungefähr so besinnlich wie ein Date
mit Bill Cosby. „Ich hoffe, sie erstickt dran!“ zischt eine Frau im
Namaste-Shirt, als eine andere ihr gerade die letzten Paleo-Donuts vor der
Nase wegschnappt. Sie ist schon hart, die Welt des oberen
Mittelklasse-Privilegs.
Um meiner Feiertagsvorbereitungspanik nach dem Shopping Frau zu werden gehe
ich um die Ecke ins Gratitude-Restaurant auf dem Canon Drive und bestelle
Unicorn Milk. Dafür werden, Gott sei Dank, keine Einhörner gemolken. So
heißt nur der vegane Cocktail, der aus Mezcal, Kokosmilch, Spirulina-Algen,
Ingwer, Vanille und Wermut besteht.
## Gerichte mit lebensbejahenden Namen
„I am Magical“ teile ich der Kellnerin mit, die zustimmend nickt, als sie
meine Bestellung, den veganen Burger, aufnimmt. Im Gratitude haben alle
Gerichte lebensbejahende Namen. So wie I am Lucky (mexikanischer Salat), I
am Warm-Hearted (Polenta mit Grünkohl), oder I am Intuitive (Pommes). Das
soll für gute Schwingungen sorgen.
Das Pärchen am Nebentisch hat trotzdem eine Auseinandersetzung. Er: ein
bekannter Technologie Unternehmer und im Tierschutz aktiver Veganer. Sie:
unbekannt, ihm zuliebe neu-Veganerin und beruflich pendelnd irgendwo
zwischen Instagram-Model und Premierenparty-Dekoration. Sie wünscht sich zu
Weihnachten eine Brustvergrößerung. Klischee, aber durchaus konsequent aus
ihrer Perspektive: „Weil das auf Fotos authentischer aussieht, als
Push-up-Polster“.
Der Tech-Millionär schüttelt vehement den Kopf. „Die Implantate“, belehrt
er sie streng, „werden, bevor sie zur kommerziellen Nutzung erlaubt sind,
an Tieren getestet. Auf Verträglichkeit und Toxizität“.
Vegane Brustimplantate gibt es insofern noch nicht. Das ist ein Problem.
Überhaupt ist das ganze Geschenkgedöns zu Weihnachten für Veganer ein
Minenfeld. Bagdad ist gemütlicher als eine Bescherung für uns.
Das mit dem Schenken bekomme ich inzwischen einigermaßen hin. Anstatt
Weihnachtsgans bekommt der Bruder meines Mannes eine lebendige Gans
geschenkt. Via einer Spende an einen Gnadenhof, wo die Gans ganz glücklich
bis zum Ende ihrer Tage leben darf. Jeden Monat bekommt er ein Foto seines
Schützlings ge-emailt samt Updates. Meine Schwägerin kriegt eine echte
Fake-Felljacke und der kleine Sohn das Walking-Dead-Spiel für die Konsole.
Da werden nur menschliche Gehirne gegessen, keine Tiere. Insofern
pädagogisch wertvoll.
## Durchatmen und dankbar sein
Schwieriger wird es mit den Geschenken, die meinem Mann und mir eventuell
gemacht werden. Was, wenn wir Wollpullover, Ledergeldbeutel, oder
Kosmetika, die Tierprodukte enthält, geschenkt bekommen? Da ist Diplomatie
angesagt. Durchatmen und dankbar sein. Geschenke sind schließlich gut
gemeint. Lieber still und heimlich im Anschluss an eine örtliche
Wohltätigkeitsorganisation spenden und nächstes Jahr lange vor den
Feiertagen kommunizieren, dass unser veganer Lebensstil auch bedeutet, dass
wir keine Tierprodukte tragen.
Das Pärchen am Nebentisch hat sich inzwischen geeinigt. Anstatt Titten
bekommt sie jetzt einen Tesla. Das macht sich auf Instagram noch besser.
Damit tut man schließlich etwas für die Umwelt.
Auch die Einhornmilch tut inzwischen ihre Wirkung. Ich bin jetzt
zuversichtlich: Die Feiertage mit der fleischfressenden Familie zu Besuch
kriegen wir ohne Blutvergießen jeglicher Art herum. Weihnachtsbaum und
Palme koexistieren in Los Angeles schließlich auch friedlich nebeneinander.
28 Dec 2017
## AUTOREN
Ariane Sommer
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