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# taz.de -- Parlamentswahl in Katalonien: Zurück auf Los
> Die Befürworter der Unabhängigkeit erzielen erneut die absolute Mehrheit.
> In Barcelona fordern viele jetzt ein neues Referendum.
Bild: Separatisten im Freudentaumel
Barcelona taz | Neun Uhr morgens. Auf dem riesigen Sant-Antoni-Markt in
Barcelona geht es ruhig zu. Viele gucken auf ihre Telefone, andere haben
die Zeitung in den Händen. Das [1][Ergebnis der Wahl] zum katalanischen
Autonomieparlament vom Vortag ist allgemeines Gesprächsthema. „Es haben die
gewonnen, die gewinnen mussten“, sagt Lluís Salvador, der an seinen
Fischstand steht.
Er meint den Block der Unabhängigkeitsbefürworter. Stärkste Kraft wurde
dort überraschend „Gemeinsam für Katalonien“ (JxCAT), die Partei von Carl…
Puigdemont, dem ehemaligen katalanischen Ministerpräsidenten, der nach
Brüssel floh, nachdem die spanische Zentralregierung ihn des Amts enthoben
hatte und Ermittlungen gegen ihn wegen „Rebellion“, „Aufstand“ und
„Veruntreuung öffentlicher Gelder“ anstrengte. Zusammen mit der Partei
Republikanische Linke Kataloniens (ERC) des inhaftierten einstigen
Vizeregierungschefs Oriol Junqueras und der antikapitalistischen, ebenfalls
auf Autonomie setzenden Partei CUP haben die Autonomiebefürworter erneut
die absolute Mehrheit im Autonomieparlament.
Lluís Salvador, 59 Jahre und Fischändler in vierter Generation, hat
Puigdemont seine Stimme gegeben. „Die schweigende Mehrheit hat gesprochen.“
Er grinst ob der Ironie, denn als „schweigende Mehrheit“ bezeichneten die
spanischen Autonomiegegner jene, die üblicherweise nicht zur Wahl gehen.
Sie hatten darauf gesetzt, dass diese gegen die Abspaltung von Spanien
votieren würden.
Es kam anders. Trotz hoher Wahlbeteiligung – sie lag bei knapp 82 Prozent
und war so hoch wie nie – gewannen die „Independendistas“, die
Unabhängigkeitsbefürworter, die absolute Mehrheit. Mit zwei Sitzen weniger
zwar, aber den Fischhändler freut das Ergebnis. „Alles beim Alten“, meint
er.
## Spuren des Konflikts
Überall auf dem Marktgelände und entlang der Reihen aus weißen Zelten, in
denen der Markt Sant Antoni während einer nicht enden wollenden Renovierung
des historischen Backsteingebäudes untergebracht ist, sind noch die Spuren
des politischen Konflikts der letzten Monate zu sehen. Da hängen Reste von
Plakaten, die zum Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober, das von der
Zentralregierung in Madrid verboten wurde, aufrufen. Auf anderen wird ein
Generalstreik gefordert. Graffiti wiederum beschwören, dass Katalonien
nicht Spanien ist. Und Schriftzüge von „Willkommen Republik“ erinnern an
den 27. Oktober, als das katalanische Parlament die Unabhängigkeit ausrief.
Nach der Unabhängigkeitserklärung schritt die Zentralregierung in Madrid
mithilfe des Verfassungsartikels 155 ein, enthob die Regierung ihres Amtes,
übernahm die Verwaltung der nordostspanischen Region, löste das
Autonomieparlament auf und setze die Neuwahlen an. Seither sind gelbe
Schleifen zum Symbol des Widerstands geworden. Wer sie trägt, bekundet
seine Solidarität mit den noch immer inhaftierten Ministern und Aktivisten,
sowie mit den fünf Politikern im Brüsseler Exil – unter ihnen der alte und
wohl auch neue katalanische Regierungschef Carles Puigdemont.
„Ich war immer für die Unabhängigkeit“, sagt der Fischhändler hinter sei…
Stand, „aber es ist gut, dass das ganze Hin und Her vorbei ist.“ Jetzt
müsse endlich verhandelt werden. Was er sich von einem Dialog zwischen der
alten und wohl auch neuen Regierung in Barcelona und der in Madrid erhofft:
„Ein Referendum über die Zukunft Kataloniens, in beiderseitigem
Einverständnis, so wie in Schottland.“
Das dürfte jetzt nicht unbedingt einfacher durchzusetzen sein als vor den
Wahlen. Die Partido Popular (PP), die Partei, der auch der spanische
Ministerpräsident Rajoy angehört, hat zwar nur noch drei Abgeordnete im
neuen katalanischen Parlament und ist damit bedeutungslos.
Unabhängigkeitsgegner liefen aber stattdessen in Scharen zu den
rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger) unter Inés Arrimadas über. Die Partei,
die erst seit zehn Jahren in der katalanischen Volksvertretung mitmischt,
wurde zur stärksten Kraft und führt jetzt die Seite der „Unionistas“, die
die Einheit mit Spanien wollen, an. „Den harten Kern der spanischen
Rechten“ sieht der Fischhändler in denen.
## Referendum nach schottischem Vorbild
Der Rentner José de Corral, der einst von Südspanien nach Barcelona zog,
ist einer von denen, die zu Ciudadanos gewechselt ist. „Ich hätte auch die
Fremdenlegion gewählt, wenn sie sich zur Wahl gestellt hätte“, meint der
72-Jährige. Irgendwie fühlt er sich um den Wahlsieg betrogen. Denn das
gesamtspanische Wahlgesetz, das, anders als in vielen Regionen, in
Katalonien auch bei Wahlen fürs Autonomieparlament gilt, bevorteilt
ländliche Gebiete. Dort sind die Hochburgen der „Independendistas“, währe…
die Unabhängigkeitsgegner in den Ballungsräumen gewonnen haben. „Ein Mann,
eine Stimme“, fordert der Rentner deshalb.
Was indes ein wenig überrascht, ist, dass auch er, anders als die Parteien,
die gegen die Abspaltung Kataloniens sind, findet, es müsse zwischen
Spanien und Katalonien ein Referendum nach schottischem Vorbild geben. Dazu
sei ein Dialog nötig. „Ich sehe aber leider auf keiner Seite das
intellektuelle Niveau für solche Verhandlungen“, sagt er, zieht an seiner
Zigarre und geht weiter.
„Wir sind wieder genau dort, wo wir auch vor dem 1. Oktober waren“, sagt
Marta Gil. Sie ist Sekretärin, und bevor sie den Familieneinkauf macht,
gönnt sie sich einen Kaffee in der Bar neben der provisorischen Markthalle.
„Die Koalition der Unabhängigkeitsbefürworter besteht weiterhin. Puigdemont
ist unser legitimer Präsident. Jetzt ist Rajoy am Zug“, sagt sie.
Sie selbst habe die Liste von Puigdemont gewählt. „Aus Protest gegen seine
Amtsenthebung“, sagt sie. Eigentlich würde sie sonst eher linke
Unabhängigkeitsbefürworter bevorzugen.
Welche Lösung sie in der verfahrenen Situation sieht? Jetzt müsse erst
einmal Puigdemont zurückkommen – „ohne dass sie ihn gleich verhaften“.
Wenn es so weit ist, will Gil auf jeden Fall bei denen sein, die den
„President“ empfangen.
22 Dec 2017
## LINKS
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## AUTOREN
Reiner Wandler
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