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# taz.de -- Puigdemonts Geburtsort vor der Wahl: Gelb tragen verboten
> Am Donnerstag wählen die Katalanen auf Anordnung der spanischen Regierung
> ein neues Parlament. In Amer sehen das viele kritisch – und protestieren.
Bild: Stille Zeit, stiller Protest. Die Farbe Gelb ist in Katalonien politisch
Amer taz | Der Gemeindesaal in Amer ist voll besetzt. Es ist der letzte Tag
der Kampagne für die von Madrid auf heute vorgezogenen Neuwahlen zum
katalanischen Autonomieparlament. Das 2.000-Seelen-Dorf am Rande der
Pyrenäen ist der Heimatort des abgesetzten und nach Belgien geflohenen
katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont, der erneut für das
Amt kandidiert. Ihm droht Haft, sollte er spanischen Boden betreten.
Deshalb findet das Ende des Wahlkampfes virtuell statt. Puigdemont redet
per Streaming zu den Seinen in Katalonien – auch in Amer. Puigdemonts
Eltern sitzen in der ersten Reihe.
Der junge Mann am Computer, der den Projektor für die Großleinwand speist,
tippt hektisch. Die Website, auf der der Stream übertragen werden sollte,
ist pünktlich zum Redebeginn abgestürtzt. „Presidente, Presidente …“, r…
sie, als ihr „Carles“ endlich doch auf der Leinwand erscheint. Per
internationaler Videoplattform hat es geklappt. Über den Grund des
Absturzes sind sich alle einig: „Madrid hat die Verbindung gekappt!“
In Amer kennt jeder Puigdemont, der durch das verbotene
Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober und die Ausrufung der
„Katalanischen Republik“ am 27. Oktober weit über Spanien hinaus von sich
reden machte. Die Älteren haben den 54-jährigen Sohn der örtlichen
Konditorenfamilie aufwachsen sehen. Die Jüngeren kennen ihn aus seinen
Ferienaufenthalten im Heimatort. Alle wissen um den politischen Werdegang
des einstigen Journalisten: von einer nationalistischen Jugendorganisation
zum Bürgermeister in der Provinzhauptstadt Girona, zum Abgeordneten im
Autonomieparlament und schließlich 2015 zum Chef der Autonomieregierung
Generalitat in Barcelona. Unter den rund 70 im Saal befinden sich neben
seinen Eltern auch ein Teil seiner sieben Geschwister, Jugendfreunde wie
Salvador Carlà, der auf Puigdemonts „Gemeinsam für Katalonien“ (JxCAT)
kandidiert.
Von Brüssel aus hat der ehemalige Regierungschef die 135 Kandidaten
persönlich zusammengestellt, gegen den Willen seiner
Demokratisch-Europäischen Partei Kataloniens (PDeCAT). „Es ist eine Liste
von einfachen Menschen und keine Parteiliste“, erklärt Carlà.
## Ein ungewöhnlicher Wahlkampf
„Die Liste eines Landes“, nennt Puigdemont dies. Es gehe um „die Würde
eines Volkes“. Er sei der „rechtmäßige Präsident der Generalitat“. Ihn…
wählen sei der einzige Weg, den Parteien, die die Zwangsverwaltung
Kataloniens mit Hilfe des Verfassungsartikels 155 zugestimmt haben, zu
zeigen, dass Katalonien entschlossen sei, sein Schicksal selbst in die Hand
zu nehmen. Die „Parteien des 155“ – wie Puigdemont sie nennt – sind die…
Madrid regierenden Partido Popular (PP), die Sozialisten und die
rechtsliberalen Ciudadanos (C’s), die darauf hoffen, heute stärkste Partei
in Katalonien zu werden.
„Schützen wir die Präsidentschaft der Generalitat!“, ruft Puigdemont. Die
Menschen applaudieren. Der Redner auf der Leinwand macht immer wieder
Pausen, als könne er sein Publikum sehen. Nur einmal applaudieren sie
nicht. Die Pointe war wohl nicht deutlich genug. Puigdemont wartet, Ruhe
im Saal, dann Gelächter und doch noch Beifall.
Es ist ein ungewöhnlicher Wahlkampf. Ausgerufen wurden der Urnengang nicht
etwa von der Generalitat, wie dies das Autonomiestatut vorsieht, sondern
vom spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, nachdem er die
Autonomieregierung des Amtes enthoben und die Verwaltung der
nordostspanischen Region seinen Madrider Ministerien unterstellt hatte. „Um
die Normalität wiederherzustellen“, so die Begründung.
## Das verbotene Gelb
Doch normal ist seither nichts mehr. Die gesamte katalanische Regierung und
das Präsidium des Autonomieparlaments werden von der spanischen Justiz der
„Rebellion“, des „Aufstandes“ und der „Veruntreuung öffentlicher Gel…
bezichtigt. Darauf stehen 55 Jahre Haft. Puigdemont setzte sich mit vier
Ministern nach Brüssel ab. Zwei Aktivisten, der ehemalige Innenminister und
Puigdemonts Vize, der Spitzenkandidat der Republikanischen Linken
Kataloniens (ERC) Oriol Junqueras, sitzen in Untersuchungshaft. Junqueras
liefert sich mit Puigdemont einen Wahlkampf um den Sieg im
Unabhängigkeitslager. Puigdemont schickt Videos. Junqueras schmuggelt
Tonaufnahmen aus dem Gefängnis.
Auch das Dörfchen Amer protestiert auf seine Weise gegen Madrid. Der
Weihnachtsbaum auf dem Platz in Amer ist mit gelben Schleifen dekoriert,
die Straßenlaternen ebenso – ein Symbol der Solidarität mit denen in U-Haft
und in Brüssel. Die Wahlbehörde hat die Farbe Gelb deshalb verboten.
Schleifen anzubringen oder am Wahltag Gelb zu tragen sei ein unrechtmäßiger
Eingriff in den Urnengang. „Die Idee ist, jedes Jahr die Farben zu
wechseln“, versichert Bürgermeisterin Maria Rosa Vila, die neben
Puigdemonts Eltern sitzt, und grinst.
Während sie in Amer nach Puigdemonts Rede die katalanische Hymne anstimmen,
verspricht die Kandidatin der rechtsliberalen Ciudadanos, Inés Arrimadas,
vor Hunderten von Anhängern in Barcelona, „mit dem Nationalismus Schluss zu
machen“. Es sind solche Sätze, die vielen in Katalonien Angst machen. Sie
fürchten um das katalanischsprachige Bildungssystem, das öffentliche
Fernsehen und um die Autonomierechte der Region.
„Wir brauchen keinen neuen Präsidenten, wir wollen unseren Präsidenten
zurück“, sagt Bürgermeisterin Vila. Es gehe um die Verteidigung der
Demokratie. Eigentlich seien die von Madrid ausgerufenen Wahlen nicht
legitim. Vila hofft auf eine Parlamentsmehrheit für die Kräfte, die bisher
Puigdemonts Regierung unterstützten.
„Wenn das Volk Puigdemont nicht den ersten Platz verschafft, ist das ein
Sieg für Rajoy“, sagt Carlà. Er glaubt fest daran, dass JxCAT die
Aufholjagd gelingt und die Liste doch noch stärkste Partei wird.
Dem Vater Puigdemonts ist es nicht nach reden zumute. Die Familie hat
beschlossen, die Presse zu meiden, nachdem die Medien in Madrid ihnen immer
wieder „das Wort im Munde herumgedreht“ hätten. „Ich habe ihn nicht in
Brüssel besuchen können“, sagt der alte Mann und deutet auf seinen Stock.
88 Jahre und die harte Arbeit in der Backstube haben ihre Spuren
hinterlassen. Wie alle hier glaubt er an einen erneuten Einzug Puigdemonts
in die Generalitat. „Dann kommt er zurück“, sagt er mit gebrochener Stimme
und geht.
21 Dec 2017
## AUTOREN
Reiner Wandler
## TAGS
Katalonien
Spanien
Carles Puigdemont
Lesestück Recherche und Reportage
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