# taz.de -- Debatte Krieg in Syrien: Ein Ende des Tötens? | |
> Russland, Iran und Türkei könnten den Waffenstillstand in Syrien | |
> herbeiführen. Demokratie wird es nicht geben, aber vielleicht ein | |
> bisschen Frieden. | |
Bild: Ein türkischer Panzer am Euphrat. Erdoğan will dort ein kurdisches Auto… | |
Glaubt man aktuellen Meldungen aus Syrien, dann geht dieser blutige, seit | |
sechs Jahren andauernde Krieg seinem Ende entgegen. Der sogenannte | |
[1][Islamische Staat hat nahezu sein gesamtes Territorium verloren.] | |
Zuletzt verkündeten amerikanische, russische und kurdische Militärs | |
gemeinsam, dass die letzten Bastionen des IS gefallen sind. Damit hat die | |
internationale Anti-IS-Koalition, zumindest oberflächlich gesehen, ihr Ziel | |
weitgehend erreicht. [2][Das „Kalifat“ existiert nicht mehr,] die | |
Strukturen der IS-Islamisten sind zerschlagen, und folgerichtig beginnen | |
sowohl die USA als auch [3][Russland damit, Truppen abzuziehen]. | |
Aber einmal abgesehen davon, dass niemand weiß, was aus den überlebenden | |
IS-Kämpfern wird, war der Kampf gegen den IS nur eine der vielen Facetten | |
des Kriegs in Syrien. Nur noch wenige erinnern sich daran, dass der | |
Bürgerkrieg begann, als zunächst friedliche Demonstranten die Diktatur des | |
Assad-Regimes stürzen wollten. Den sich daraus entwickelnden Bürgerkrieg | |
nutzte der IS, um sich große Teile des Landes für sein Kalifat zu | |
schnappen; Gebiete, in denen Assad die Kontrolle verloren hatte, die aber | |
von seinen ursprünglichen, demokratischen Gegnern auch nicht regiert | |
wurden, weil die Opposition weitgehend von Islamisten gekapert worden war. | |
Nun ist der IS vertrieben und zurück bleibt ein Flickenteppich | |
unterschiedlicher Einflusszonen. Assad hat mit russischer und iranischer | |
Hilfe die großen Städte im Westen, einschließlich der sunnitischen Hochburg | |
Aleppo, zurückerobert und kontrolliert die Wüste südlich und westlich des | |
Euphrat. Nordöstlich des Euphrat kontrollieren die von kurdischen Milizen | |
dominierten und von den USA unterstützten SDF (Demokratische Kräfte | |
Syriens) fast ein Viertel des syrischen Territoriums. | |
Im Westen und Süden des Landes gibt es noch wenige von Aufständischen | |
gehaltenen Enklaven. Alle anderen Aufständischen, ob Demokraten, Säkulare | |
oder Hardcore-Islamisten, sind [4][in die Provinz Idlib, die an die Türkei | |
grenzt,] abgedrängt worden und werden von Assads Luftwaffe, teilweise mit | |
Giftgas, angegriffen. Ebenfalls im Nordwesten gibt es die kurdische Enklave | |
Afrin, die keine direkte Verbindung zu den anderen von Kurden dominierten | |
Gebieten weiter östlich hat. | |
## Der Traum vom demokratischen Syrien | |
Das ist der aktuelle Stand auf dem syrischen Schlachtfeld nach dem Ende des | |
IS Kalifats. Keine der verbliebenen Kriegsparteien ist mit diesem Ergebnis | |
zufrieden; Friedensgespräche, wie die UNO sie jetzt in Genf führt, sind | |
deshalb von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Opposition, Islamisten | |
wie Demokraten, fordert nach wie vor den Rücktritt und die Verurteilung | |
Assads als Kriegsverbrecher – das mag moralisch berechtigt sein, ist | |
politisch jedoch irrelevant, weil es niemanden mehr gibt, der diese | |
Forderung durchsetzen kann oder will. | |
Die USA haben ihr Ziel, den IS zu besiegen, erreicht. Ein weiteres | |
Engagement Trumps in Syrien ist nicht erkennbar, es sei denn, er will das | |
gemeinsam mit der SDF eroberte Territorium für einen späteren Feldzug gegen | |
den Iran nutzen und deshalb gegenüber Assad verteidigen. Assad selbst | |
verkündet bei jeder Gelegenheit, dass er die Kontrolle über alle Gebiete | |
Syriens zurückerobern will, doch ohne die massive Unterstützung des Iran | |
und vor allem Russlands bleibt das reine Propaganda. | |
Allerdings hat weder Putin noch die iranische Führung ein Interesse daran, | |
den Krieg für Assad fortzusetzen. Putin will seine Truppen zurückholen und | |
die enormen Kriegskosten reduzieren. Gleichzeitig will er seine Erfolge in | |
Syrien stabilisieren, ohne auf Dauer Assad weiter militärisch unterstützen | |
zu müssen. Deshalb sind Putin und mit Abstrichen auch der Iran im Moment | |
die Einzigen, die den syrischen Flickenteppich so ordnen wollen, dass | |
mindestens ein stabiler Waffenstillstand möglich wird. Weil Russland bei | |
den Aufständischen keine Ansprechpartner hat, hat Putin die Türkei mit ins | |
Boot geholt. | |
Der Traum eines demokratischen Syrien, in dem die verschiedenen ethnischen | |
und religiösen Gruppen friedlich zusammenleben können, ist damit in weite | |
Ferne gerückt. Das ist eine Tragödie, aber noch schlimmer wäre es, einen | |
aussichtslosen Krieg endlos fortzusetzen. Syrien ist lange genug das | |
Schlachthaus gewesen, in dem ausländische Mächte ihre Kämpfe ausgetragen | |
haben. Wenn Putin nun auf einen Waffenstillstand hinarbeitet, ist das | |
zunächst einmal mehr, als die UNO im Moment erreichen kann. | |
## Wieviel Macht hat Putin tatsächlich? | |
Auch wenn ein Frieden noch lange nicht erreicht wird – wenigstens das Töten | |
könnte aufhören. Dafür müsste Putin seinen Protegé Assad zu Kompromissen | |
zwingen. Anderseits muss Erdoğan auf die Rebellen einwirken, die jetzt noch | |
in der Umgebung von Damaskus ausharren. Wenn Assad Idlib als sicheres | |
Gebiet anerkennt, könnten die Kämpfer aus den Enklaven im Westen dorthin | |
ausweichen. Außerdem müsste es eine vorläufige Regelung für die Kurden | |
geben. | |
Die Kurden sind bislang die einzigen Gewinner des Bürgerkriegs. Vor dem | |
Krieg eine verfemte Minderheit, der das Regime sogar oft die syrische | |
Staatsangehörigkeit absprach, sind sie jetzt dabei, in „Rojeva“ eine | |
gesicherte Autonomiezone aufzubauen. Assad ist wohl im Prinzip bereit, sich | |
damit zu arrangieren, strittig ist indes, wie groß das kurdische | |
Territorium sein soll. Hier kommt die Türkei ins Spiel. Erdoğan will ein | |
kurdisches Autonomiegebiet am liebsten ganz verhindern, zumindest aber die | |
Kurden westlich des Euphrat vertreiben. Dort liegt aber die kurdische | |
Enklave Afrin, traditionelles Siedlungsgebiet der Kurden, das diese niemals | |
kampflos aufgeben werden. | |
Erdoğan ist drauf und dran, seine Armee nach Afrin zu schicken. Türkische | |
Truppen sind als Beobachter in der Deeskalationszone Idlib stationiert | |
und könnten von dort aus nach Afrin marschieren. Bald wird sich zeigen, ob | |
Putin tatsächlich die Macht hat, Erdoğan zu einem Kompromiss mit den Kurden | |
zu zwingen. Das wäre immerhin ein positives Ergebnis der russischen | |
Hegemonie in Syrien. | |
14 Dec 2017 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
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