# taz.de -- Indie-Horrorfilm „A Ghost Story“: Ihr Gespenst ist irritiert | |
> Ein Laken mit zwei Löchern – David Lowerys Spielfilm „A Ghost Story“ | |
> sucht nicht das große „Buh!“. Ein Meisterwerk für nur 100.000 Dollar. | |
Bild: Leiser Grusel: Rooney Mara und ihr Gespenst | |
Es ist wohl eines der ältesten und einfachsten Halloween-Kostüme: Einfach | |
unter ein Bettlaken schlüpfen, zwei Löcher für die Augen ausschneiden und | |
fertig ist das Gespenst. Im Kino wurde dieses Kostüm selbst in lange | |
zurückliegenden Zeiten weniger für Schrecken als zur Komik eingesetzt. | |
Unter einem flatternden Bettlaken durch dunkle Gemäuer zu huschen, | |
erschreckte selbst in den Anfangszeiten des Kinos kaum jemanden. | |
Dass nun David Lowery in [1][seinem großartigen Film „A Ghost Story“] genau | |
so ein Gespenst in den Mittelpunkt stellt, ist also schon mal ziemlich | |
überraschend. Grusel will er damit jedoch nicht erzeugen, sein zumindest | |
stilistisch minimalistischer Film erzählt stattdessen von Verlust und | |
Trauer, von Raum und Zeit, von Erinnerungen und der spirituellen | |
Verbundenheit mit Orten. | |
Im Zentrum steht dabei weniger ein Mensch als tatsächlich ein Geist, denn | |
den Titel „A Ghost Story“ darf man wörtlich nehmen: Das hier ist | |
tatsächlich eine Geistergeschichte und sie funktioniert deswegen so gut, | |
weil Lowery sein Thema ernst nimmt und sich nicht in Ironie flüchtet. | |
Der zweite Film des 36-jährigen Texaners, das von den Bilderwelten Terrence | |
Malicks inspiriere Drama „Ain’t Them Bodies Saint“, war noch von einer | |
Ernsthaftigkeit geprägt, die immer wieder ins Prätentiöse abdriftete. Um so | |
überraschender kam dann der letztjährige „Pete’s Dragon“, ein deutlich | |
größerer, teurerer Film, in dem Lowery den Disney-Klassiker „Elliot, der | |
Drache“ modernisierte. | |
## Eine leuchtende Öffnung erscheint | |
Trotz der aufwändigen Animation und Produktion war die besondere Qualität | |
die Haltung, die Lowery zu seinem Stoff einnahm: Den fantastischen Ansatz | |
eines Drachens, der bester Freund eines Jungens wird, nahm er nicht als | |
Ausgangspunkt einer Effektorgie, wie sie Hollywood heutzutage im Wochentakt | |
in die Multiplexe bringt, sondern nahm ihn ernst. So selbstverständlich, | |
wie dort ein Drache durch die Lüfte schwebte und mit Menschen umging, so | |
selbstverständlich muten nun die Gespenster in „A Ghost Story“ an. | |
Nur in den ersten Minuten des Films bestimmen Menschen das Bild, ein | |
namenloses Paar, gespielt von Rooney Mara und Casey Affleck, die in einem | |
kleinen, alleinstehenden Ranchhaus irgendwo in Texas leben. Während sie | |
daran denkt, umzuziehen, fühlt er sich dem Haus verbunden, auf eine Weise, | |
die er nicht in Worte fassen kann. Nächtliche Geräusche, ein Brummen des | |
Klaviers, auf dem er tagsüber Songs komponiert, irritieren ihn weniger, als | |
dass er sie als Zeichen einer spirituellen Verbindung versteht. | |
So nah sich das Paar auch ist, was in einer einzigen langen Einstellungen | |
angedeutet wird, so unterschiedlich ist ihre Wahrnehmung in dieser | |
Hinsicht. Dann, ganz plötzlich, bevor eine Entscheidung über bleiben oder | |
umziehen gefällt worden ist, stirbt der Mann bei einem Autounfall. In der | |
nächsten Einstellung liegt er tot im Krankenhaus auf der Bahre – unter | |
einem Laken. | |
Wenn sich nun die Frau von ihrem Mann verabschiedet hat, aus dem Bild tritt | |
und die Kamera lange in der Totalen verharrt, dann ahnt, nein, dann weiß | |
man, was kommt, und doch ist es eine Überraschung, wie er, wie es sich | |
erhebt und beginnt, durch die Gänge des Krankenhauses zu schreiten. Eine | |
leuchtende Öffnung erscheint, vielleicht ein Übergang ins Jenseits, doch | |
das Gespenst wählt einen anderen Weg und geht über Felder und Wiesen zum | |
Haus zurück. | |
## Das Gespenst bleibt allein zurück | |
Fortan „lebt“ das Gespenst im gleichen Raum wie die Frau, beobachtet sie, | |
ohne dass sie von seiner Präsenz etwas zu spüren scheint. Während sie mit | |
ihrer Trauer allein ist, kann das Gespenst nur beobachten und da sein, | |
während die Zeit vergeht. Wie ein Stummfilm wirkt „A Ghost Story“ hier oft, | |
ohne Worte schildert Lowery die Trauer der Frau, ihr langsames Zurückfinden | |
ins Leben, ein erstes Kennenlernen eines neuen Manns, den sie zwar an der | |
Tür zurückweist und nicht mit reinnimmt, aber allein das reicht aus, um das | |
Gespenst zu irritieren und zu einem der wenigen quasi „typischen“ | |
Gespenstermomente zu führen und wütend Bücher aus dem Regal zu schmeißen. | |
Schließlich zieht die Frau aus und das Gespenst bleibt zurück, denn es | |
scheint, dass es mit genau diesem Raum verbunden ist, allerdings nicht mit | |
der Zeit. Immer durchlässiger wird diese, immer schneller vergeht sie, neue | |
Bewohner ziehen ein, erst eine mexikanische Frau mit ihren zwei Kindern, | |
dann eine Gruppe junger Leute, bald wird das Haus abgerissen, ein | |
Wolkenkratzer entsteht, bald findet sich das Gespenst in der Vergangenheit | |
wieder, als erste Siedler ankommen, mit Holzpflöcken den Grundriss des | |
Hauses abstecken, bevor sie von Indianern niedergemacht werden. | |
All diese Ereignisse hinterlassen Spuren an diesem Ort, doch am Ende, was | |
bleibt da? Wenn das Universum irgendwann in sich zusammenfallen wird, dann | |
wird alles verschwinden, alles vergehen. So zumindest beschreibt es ein von | |
Will Oldham gespielter Hipster in der zentralen Sequenz des Films. Er ist | |
einer der vielen Bewohner, die das Haus im Lauf der Zeit bevölkern, und | |
redet in einer fünfminütigen Szene während einer Party mehr, als im Rest | |
des Films gesagt wird. Um den Wunsch der Menschen, etwas Bleibendes zu | |
schaffen, geht es, Spuren im Fluss der Welt zu hinterlassen, vielleicht | |
auch nur, geliebten Menschen im Gedächtnis zu bleiben. | |
Auch diesem Monolog hört das Gespenst schweigend zu, was es empfindet, weiß | |
man nicht, doch erstaunlicherweise kann man es ahnen, meint man trotz des | |
Bettlakens Emotionen zu vernehmen, vielleicht bildet man es sich auch nur | |
ein, da man weiß, dass unter dem Laken der stets brütende, melancholische | |
Casey Affleck steckt. So zumindest heißt es, aber man mag gern glauben, | |
dass Affleck, der ebenso wie Rooney Mara schon bei Lowerys „Ain’t Them | |
Bodies Saint“ dabei war, sich als konsequenter Method Actor erwies und | |
immer wieder unter das Laken schlüpfte. | |
## Freies und ungewöhnliches Erzählen | |
Fast ein Heimvideo ist „A Ghost Story“ dann auch, eine winzige Produktion, | |
für die Lowery nach den Dreharbeiten des Studiofilms „Pete’s Dragon“ ein… | |
Freunde zusammenrief und in einem zum Abriss vorgesehenen Haus in Texas in | |
zwei Wochen einen Film drehte. Nur 100.000 Dollar, also praktisch nichts | |
kostete der Film, was angesichts der außerordentlichen Ästhetik der Bilder | |
einmal mehr zeigt, dass talentierte Filmemacher auch mit winzigem Budget | |
enorm viel erreichen können. | |
Nicht zuletzt dank seines Kameramanns Andrew Droz Palermo, der fast nur mit | |
natürlichem Licht melancholische, stimmungsvolle Bilder einfängt, kadriert | |
im klassischen, eckigen 4:3 Format, das hier dank abgerundeter Ecken | |
zusätzlich wie aus einer anderen Zeit wirkt. Doch das enge, beengende | |
Format verweist nicht nur auf die Filmgeschichte, sondern deutet vor allem | |
zusätzlich die Isolation des Gespensts an, das im Haus gefangen zu sein | |
scheint, wie lange, das ist die Frage. | |
Im Lauf der Zeit vielleicht, im Fluss des Universums, dessen Vergangenheit, | |
Gegenwart und Zukunft hier im selben Moment zu existieren scheinen. Ein | |
ähnlich fließendes Bild von Raum und Zeit hatte letztes Jahr Denis | |
Villeneuve in seinem „Arrival“ als ungleich aufwändigeres | |
Science-Fiction-Spektakel entworfen, das von Verlust und Trauer erzählt und | |
der Suche nach einem Platz im Kosmos. Ein minimalistisches Gegenstück ist | |
„A Ghost Story“, fast ein Experimentalfilm, der die Beschränktheit seiner | |
Mittel nicht als Hindernis sieht, sondern gerade deswegen so frei und | |
ungewöhnlich erzählen kann. | |
6 Dec 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=Pa3U89lrQ-s | |
## AUTOREN | |
Michael Meyns | |
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