# taz.de -- Junge Geflüchtete unter Zugzwang: Ohne Ausbildung droht Abschiebung | |
> Das Problem: Das Schulsystem hat sich bei weitem noch nicht auf die | |
> Flüchtlinge eingestellt und kommt mit unterschiedlichen Bildungsniveaus | |
> nicht zurecht. | |
Bild: Weiter Weg zur Ausbildungsreife: Deutschunterricht. | |
BREMEN taz | Wer sich nicht bildet, der fliegt. Doch viele Geflüchtete | |
können direkt nach der Schule noch keine Ausbildung beginnen. Der Grund: | |
Ihnen fehlt die Ausbildungsreife, weil die Schule sie nicht richtig | |
vorbereitet. Das sagt zumindest der Bremer Flüchtlingsrat, und fordert von | |
den zuständigen Behörden mehr Unterstützung. | |
In Bremen leben 4.000 Geflüchtete in 43 Unterkünften. Alle 109 Vorkurse, | |
die auf die Schule vorbereiten, sind voll. Für die Jahrgänge sieben und | |
acht sind die Wartelisten lang – so lang, dass laut Flüchtlingsrat über 100 | |
Kinder in den Notunterkünften „rechtswidrig“ beschult werden. | |
„Junge Geflüchtete kommen zu mir und suchen eine Ausbildung, weil sie sonst | |
abgeschoben werden“ sagt Claudia Jacob vom Integrationsnetz „BIN“ (siehe | |
Infokasten). Im kommenden Jahr werden rund 850 Geflüchtete die Schule | |
verlassen. Aber dass sie direkt eine Ausbildung finden, ist fraglich. Die | |
Wirtschaft sucht zwar Fachkräfte, und es gibt in Bremen auch genügend | |
Ausbildungsplätze für Geflüchtete. Aber vielen fehlt die Bildungsreife. | |
Schuld sei das System: „Wir sollen in Geflüchtete den Stoff reindrücken, | |
den deutsche SchülerInnen in neun Jahren lernen“, sagt Lehrerin Sandra | |
Pilster. Bei unterschiedlichem Vorwissen – die einen können nicht lesen und | |
schreiben, andere gingen schon jahrelang zur Schule – sei der Unterricht | |
chaotisch. | |
Der Verein „Fluchtraum“ kritisiert auch, dass die Ausländerbehörde nur im | |
Einzelfall entscheidet. So werde schnell abgeschoben, wer nach der Schule | |
keine Ausbildung vorweist. „Dieses Damoklesschwert hindert die jungen | |
Menschen in ihrer Entwicklung“, sagt Sprecherin Anna Schroeder. Letztlich | |
sei es dann abhängig vom Glück und wer wen kennt, ob ein Geflüchteter | |
bleiben kann. „Wir wünschen uns, dass das Migrationsamt mehr Feingefühl | |
beweist und während des Übergangs nicht abschiebt“, so Schroeder. | |
Laut Rebecca Karbaumer ist die Situation belastend: „Als wir das Amt | |
betraten, wussten wir nicht, ob wir es mit einer Duldung oder einem | |
Abschiebebescheid wieder verlassen würden“, sagt sie. Karbaumer betreut | |
einen jungen Mann aus Guinea, der als Analphabet nach Deutschland kam und | |
Altenpfleger werden möchte. | |
Es gibt auch einen Betrieb, der ihn ausbilden will. „Aber er würde die | |
Berufsschule nicht schaffen“, so Karbaumer. Ein Freiwilliges Soziales Jahr | |
(FSJ) akzeptierte das Migrationsamt erst nicht als Duldungsgrund. Karbaumer | |
und ihr Mündel fühlten sich „hilflos“. „Wir hatten alles versucht“, s… | |
sie. Geholfen habe der Zufall: Die Jugendberufsagentur bezeichnete ein FSJ | |
in einem Nebensatz als einer Einstiegsqualifikation „ähnlich“. Das reichte | |
dem Migrationsamt. | |
Betroffene und Fachpersonal hatten vergangene Woche auf der | |
Podiumsdiskussion „Zukunft möglich machen“ die aktuelle Situation in Bremen | |
diskutiert. Das Ergebnis ist ein Forderungskatalog, der Bildungssenatorin | |
Claudia Bogedan, Innensenator Ulrich Mäurer und Sozialsenatorin Anja | |
Stahmann jetzt übergeben werden soll. | |
## Schulpflicht bis 27 | |
Die Beteiligten fordern darin, die Schulpflicht auf das 27. Lebensjahr | |
auszuweiten. Auch müssten Geflüchtete schneller die Schule besuchen können. | |
„Wir wünschen uns einen Vertrauensvorschuss von der Innenbehörde“, so | |
Schroeder weiter. Denn Geflüchtete bräuchten eine Perspektive, und keine | |
Angst. | |
Auch das Sozialamt sei gefragt: „Viele müssen eine Ausbildung aus | |
finanziellen Nöten abbrechen“, so Schroeder. Denn wer eine Ausbildung | |
macht, bekommt zwar die Ausbildungsförderung „Bafög“, aber keine | |
Sozialhilfe mehr. So finde eine Leistungsselektion statt. „Diese | |
Verwertungslogik lehnen wir ab“, sagt Schroeder. | |
Die Innenbehörde prüft derzeit, wie sie mit fehlender Ausbildungsreife bei | |
Geflüchteten umgeht: „Wir haben dazu noch keine feste Meinung“, sagt | |
Sprecherin Rose Gerdts-Schiffler. Fest stehe nur: Wer eine schriftliche | |
Ausbildungszusage hat, wird nicht abgeschoben. | |
Ob die Hausbeschulung in Notunterkünften rechtswidrig ist, möchte Annette | |
Kemp von der Bildungsbehörde nicht bewerten. Eine Schulpflicht bis 27 | |
„machen wir aber nicht“, so Kemp. Das könne die Behörde nicht leisten. Sie | |
bemühe sich aber, schnell zu integrieren: „Dass jemand ein halbes Jahr auf | |
einen Platz im Vorkurs warten musste, habe ich noch nicht erlebt“, sagt | |
Kemp. | |
29 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Lukas Thöle | |
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