# taz.de -- Geflüchtete auf Arbeitssuche: Der boomende Job-Markt hilft | |
> Seit einem Jahr haben Deutsche und EU-Bürger im Norden nicht mehr Vorrang | |
> bei der Job-Vergabe. Hohe Nachfrage verführt viele, einen Hilfsjob einer | |
> Lehre vorzuziehen. | |
Bild: Fachkräfte werden gesucht: Handwerkliche Betriebe können seit einem Jah… | |
HAMBURG TAZ | Auf den ersten Blick ist es ein Erfolg: Ein Jahr ist es her, | |
dass die sogenannte Vorrangprüfung im gesamten Norden ausgesetzt wurde. Die | |
Arbeitsagenturen bevorzugen seitdem nicht mehr deutsche und EU-BürgerInnen | |
bei der Arbeitsvermittlung, sondern behandeln Geflüchtete bei der | |
Vermittlung eines Arbeitsplatzes als gleichwertig. | |
Damit erhoffte sich die Agentur eine höhere Anzahl von Geflüchteten in | |
festen Jobs. Tatsächlich sind seit dieser Entscheidung die Zahlen steigend | |
– ob das allerdings mit dem Aussetzen der Vorrangprüfung zu tun hat, da | |
gehen die Meinungen auseinander. | |
In Niedersachsen haben allein in der ersten Jahreshälfte 2017 rund 4.300 | |
Geflüchtete einen Job gefunden, 400 haben in den letzten zwölf Monaten eine | |
Lehre angefangen. „Durch die Neuregelung konnten mehr Flüchtlinge eine | |
Arbeit aufnehmen, die sonst zur Untätigkeit verdammt gewesen wären“, sagt | |
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). | |
Laut Sonja Kazma von der Arbeitsagentur Niedersachsen und Bremen sorgt das | |
Aussetzen der Vorrangprüfung nicht dafür, dass nun mehr Geflüchtete einen | |
Job haben. Es sei lediglich eine Erleichterung für die Angestellten der | |
Agentur: „Dadurch hat sich für uns die Bürokratie vereinfacht.“ | |
Tatsächlich habe die Vorrangprüfung in Bremen und Niedersachsen schon vor | |
dem Aussetzen wenig Einfluss auf die Beschäftigtenzahlen von Geflüchteten | |
gehabt. „Die Konjunktur war und ist gut. Die Unternehmen haben Druck, | |
Arbeiter zu finden“, sagt Kazma. Da war die neue Gruppe von | |
Arbeitssuchenden sowieso schon willkommen. | |
Sabine Meyer von der Handwerkskammer Niedersachsen zieht hingegen ein | |
positives Fazit. „Der Wegfall der Vorrangprüfung hat viel gebracht, es war | |
ein schlimmes Hindernis für uns“, sagt sie. Sie habe Fälle betreut, in | |
denen die BewerberInnen perfekt auf die Stellen gepasst hätten, aber die | |
Vorrangprüfung dazu führte, dass die Geflüchteten die Stelle nicht bekamen. | |
Das war Meyer zufolge vor allem bei regulären Arbeitsstellen ein Problem. | |
Ausbildungsplätze seien einfacher zu vermitteln. | |
Allerdings fällt es der Arbeitsagentur schwer, Geflüchtete für eine | |
Ausbildung zu gewinnen: „Sie wollen gerne direkt mehr verdienen, als sie | |
bei einer dreijährigen Ausbildung bekommen würden“, sagt Kazma. Das laufe | |
daraus hinaus, dass sie eher Hilfsjobs annehmen. Da sei die Nachfrage aber | |
bald ausgeschöpft – Fachkräfte sind dagegen weiterhin dringend gesucht. | |
Im Handwerk sind schon heute viele Geflüchtete beschäftigt, erzählt Meyer. | |
Ob im Metallbau, KFZ-Bereich oder als MalerIn: Betriebe griffen auf | |
Geflüchtete zurück, um den Mangel an Fachkräften zu bewältigen. „Viele | |
handwerkliche Betriebe haben ihre Einstellungspolitik radikal geändert, um | |
auf den Fachkräftemangel zu reagieren“, sagt Meyer. Den Betrieben sei klar | |
geworden, dass auch sie attraktiver werden müssen. | |
Auch wenn die Zahlen zumeist positiv sind – aus Sicht der Arbeitsagenturen | |
gibt es noch eine Menge zu tun: „Wir haben immer gesagt: Geflüchtete, die | |
kommen, sind nicht die Fachkräfte von morgen, sondern von übermorgen“, sagt | |
Kazma. Insbesondere das Erlernen der Sprache brauche seine Zeit, was schon | |
wegen der Arbeitssicherheit wichtig sei. „Der Flaschenhals auf dem Weg zu | |
einer Beschäftigung für Geflüchtete ist nicht die Vorrangprüfung, sondern | |
eine gute Sprach- und Berufsqualifikation“, sagt Kazma. | |
Dem stimmt Meyer zu. Ein abgeschlossener Integrationskurs sei essenziell | |
für die Integration. „In der Regel brauchen Geflüchtete 1.300 | |
Unterrichtseinheiten, um eine Ausbildung antreten zu können“, erklärt sie. | |
Die Kurse umfassen auch Sprachkurse und politische Bildung. Nicht hilfreich | |
seien Abendkurse. Nach einem Arbeitstag sei man zu erschöpft, um aktiv an | |
den Kursen teilzunehmen. „Wir plädieren deshalb dafür, alle Fördermaßnahm… | |
und Kurse vor einem Jobeinstieg zu machen“, sagt Meyer. | |
10 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
Philippp Steffens | |
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