# taz.de -- EU-Emissionshandel und Klimaziele: Europa macht ein bisschen Ernst | |
> Die EU einigt sich auf einen Kompromiss zur Zukunft des Emissionshandels. | |
> Kurzfristig ändert sich wenig. Langfristig gibt es Hoffnung. | |
Bild: Jetzt müssen nur noch die EU-Staaten zustimmen | |
BERLIN taz | Die EU macht beim Klimaschutz ein bisschen Ernst. Mit einem | |
Kompromiss im „Trilog“-Verfahren haben die Vertreter von Europäischem | |
Parlament, Kommission und den Mitgliedsstaaten am frühen Donnerstagmorgen | |
die Zukunft des Europäischen Emissionshandels festgelegt. Demnach soll das | |
Angebot an CO2-Lizenzen zwischen 2021 und 2030 schneller verknappt werden | |
als geplant. Überschüssige Lizenzen sollen teilweise stillgelegt werden, um | |
den Preis zu stabilisieren. Die Fortschritte zur Wiederbelebung des | |
Emissionshandels werden erkauft mit weiteren Subventionen für | |
Kohlekraftwerke vor allem im Osten Europas. | |
„Der Emissionshandel muss reformiert werden, um zu wirken und zu unseren | |
Klimazielen beizutragen“, hieß es in einer Erklärung der estnischen | |
EU-Ratspräsidentschaft. „Wir glauben, dass unsere vorläufige Einigung das | |
garantiert.“ Während Umweltschützer das „nächste verlorene Jahrzehnt“ | |
befürchten, sehen andere Kritiker Chancen für eine deutliche Verbesserung | |
im System. | |
Unter dem Emissionshandel, der 45 Prozent der europäischen CO2-Abgase | |
abdeckt, müssen 11.000 Unternehmen für jede Tonne CO2, die sie emittieren | |
wollen, eine Lizenz erwerben. Diese Lizenzen sind handelbar. Weil die | |
Staaten unter dem Druck der Industrie zu viele Lizenzen ausgeben und weil | |
die Wirtschaftskrise die Nachfrage schwächte, kostet eine Tonne CO2 derzeit | |
etwa nur sechs bis sieben Euro. Nötig wäre aber nach Schätzungen von | |
Experten ein Preis von etwa 30 Euro, um Energiesparen und den Umstieg auf | |
Öko-Energien attraktiv zu machen. Um den schwachen Markt von Zertifikaten | |
zu beleben und damit den CO2-Ausstoß der EU so zu senken, dass die Ziele | |
des Pariser Abkommens erreicht werden, haben die Europäer nun lange um die | |
Zukunft des Emissionshandels gerungen. Die informelle Lösung muss noch von | |
den EU-Staaten gebilligt werden. | |
Im Kern geht es immer darum, wie man Zertifikate vom aufgeblähten Markt | |
nehmen kann. Deshalb sieht der Kompromiss so aus: Zwischen 2021 und 2030 | |
werden jährlich 2,2 Prozent der Zertifikate gelöscht. Bisher waren das nur | |
1,7 Prozent. Ungenutzte Lizenzen, die bisher in einer „Stabilitätsreserve“ | |
geparkt wurden, sollen ab 2023 stillgelegt werden. Auch können nun einzelne | |
Staaten selbst Zertifikate löschen, wenn sie durch nationale Politik (etwa | |
einen Kohleausstieg oder Zubau von erneuerbaren Energien) ihre Emissionen | |
senken. Das ist zum Beispiel wichtig für den Klimanutzen der deutschen | |
Energiewende – denn bisher kann jede in Deutschland vermiedene Tonne CO2 | |
anderswo in der EU emittiert werden. | |
Allerdings hat auch die Industrie ihre Pfründe gesichert: Firmen, die viel | |
Energie verbrauchen und im internationalen Wettbewerb stehen, bekommen | |
weiter ihre Zertifikate umsonst zugeteilt – nach Schätzungen der EU sind | |
das indirekte Subventionen von mindestens 60 Milliarden Euro zwischen 2021 | |
und 2030. Und durchgesetzt haben sich auch die Kohlestaaten aus Osteuropa. | |
Ihre Industrien bekommen aus EU-Töpfen etwa 5 Milliarden für die | |
Modernisierung ihrer Anlagen. Und die Länder dürfen ihren Kohlekraftwerken | |
weiterhin mit Gratis-Lizenzen im Wert von etwa 10 Milliarden am Leben | |
halten. | |
Die Umweltschutzgruppen im „Climate Action Network“ kritisierten, die EU | |
bringe statt echter Anstrengung zu mehr Klimaschutz nur eine Reform | |
zustande, die „ihren Kohlenstoffmarkt für ein weiteres Jahrzehnt | |
wirkungslos belässt. Das verfehlt dramatisch die Ziele des Pariser | |
Abkommens“. | |
Der Energieexperte der grünen Fraktion im Europa-Parlament, Claude Turmes, | |
dagegen, sieht Chancen in der Einigung: „Das ist keine große Verbesserung | |
für die nächsten 5 bis 8 Jahre, aber ein systemischer Durchbruch“. Weil die | |
Länder nun auf eigene Faust CO2-Lizenzen stilllegen könnten, rechnet er mit | |
deutlich höheren Preisen im Emissionshandel zum Ende der 2020er Jahre. | |
Jetzt müssten Länder wie Deutschland, Frankreich oder die Benelux-Staaten | |
mit eigenen CO2-Mindestpreisen den Markt schon früher stabilisieren. „Dann | |
zahlen sich der Zubau von Erneuerbaren, die Abschaltung von | |
Kohlekraftwerken und Energiesparen endlich auch aus, indem die Emissionen | |
sinken.“ | |
9 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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