Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Vor Donald Trump geflüchtet: Oh Kanada, oh Kanada
> Seit einem Jahr ist Trump US-Präsident. Tausende zogen seitdem ins
> Nachbarland Kanada. Manche freiwillig, andere, weil sie keinen anderen
> Ausweg sahen.
Bild: Der Weg nach Kanada ist für viele beschwerlich
Toronto taz | Bald. Dieses eine, kurze Wort hat sich in Mohammeds
Erinnerung eingebrannt wie eine Narbe. Bald. Houston, im März 2017.
Mohammed wird auf der Straße von einem Polizisten kontrolliert. Mal wieder.
Seit Donald Trump die Wahl gewonnen hat, passiert es häufiger, dass
Mohammed – schwarze Haare, harter Akzent – nach seinem Ausweis gefragt
wird. Woher er komme, will der Polizist wissen. „Syrien“, antwortet
Mohammed. „Bald“, zischt der Polizist daraufhin und gibt Mohammed seine
Papiere zurück. Für den Asylbewerber ist die Nachricht unmissverständlich:
Bald schmeißen wir dich raus.
Sechs Wochen zuvor hatte US-Präsident Trump die Executive Order 13769
unterschrieben. Den sogenannten Muslim Ban. Für Mohammed, der seinen
Nachnamen aus Sicherheitsgründen nicht in der Zeitung lesen möchte, ist das
Dekret ein klares Signal: Menschen wie ihn wollen sie in den USA nicht
mehr. Als ihm dann der Polizist droht, sieht er für sich nur noch eine
Chance: Er muss nach Kanada.
Mohammed ist nicht der Einzige mit diesem Plan. Seit Anfang des Jahres sind
Tausende legal und illegal aus den USA nach Kanada gekommen. Sie alle
suchen Zuflucht vor der Politik der neuen US-Regierung.
„Gewinnt Trump, gehen wir nach Toronto“, haben auch Doria und Andres vor
der Wahl gescherzt. Ein Schwur, von dem die beiden nicht erwarten, ihn
einlösen zu müssen. Ihr Plan war eigentlich ein ganz anderer: Lange
Flitterwochen in Australien wollten sie machen, ein halbes Jahr Work &
Travel und anschließend noch ein bisschen durch Südostasien reisen. Die
Flugtickets und Arbeitsvisa hatten sie schon. Doch dann kam die Wahlnacht.
Andres, 29, und Doria, 30, – auch sie wollen wegen noch unklarer Visafragen
ihren Nachnamen nicht nennen – wohnen damals in Boston. Für sie ist Clinton
die richtige Kandidatin. „Sie war der beste Kompromiss“, sagt Doria.
Zuversichtlich gehen die beiden in den Wahlabend im November 2016. Sie sind
bei Dorias Eltern, die Mutter hat Champagner kaltgestellt.
## Kisten packen zur Vereidigung
Doch je später es wird, desto unruhiger werden alle. Immer mehr Wahlbezirke
färben sich auf der USA-Karte im Fernsehen rot – die Farbe der
Republikanischen Partei. Als dann auch noch die für Clinton sicher
geglaubten Bundesstaaten Michigan und Wisconsin an Trump gehen, ist sicher:
Dieser Mann wird tatsächlich Präsident der Vereinigten Staaten.
Doria ist so aufgewühlt, dass sie eine Schlaftablette schluckt. „Ich hatte
die Hoffnung, wenn ich aufwache, dass es dann andere Resultate gibt“, sagt
sie. Andres bleibt bis zum Morgen wach. Er recherchiert im Internet, wie
sie ihre Flüge nach Australien stornieren können. Das Geld brauchen sie
jetzt für etwas anderes. „Noch in der Wahlnacht“, sagt Andres mit der
gleichen Entschlossenheit wie damals, „war mir klar, dass wir nach Kanada
gehen.“
Für Andres und Doria war Toronto immer ein möglicher gemeinsamer Wohnort
gewesen. Andres ist hier geboren, hat deshalb neben einem US-amerikanischen
auch einen kanadischen Pass. Als er zwei Monate alt ist, ziehen seine
Eltern mit ihm in die USA. Später kommt er zum Studieren nach Toronto
zurück. Doria hat ihn damals häufig besucht. Beide lieben die Stadt.
An dem Tag, an dem Donald Trump als 45. Präsident der Vereinigten Staaten
vereidigt wird, packen Doria und Andres Kisten in ihrer neuen Wohnung in
Toronto aus.
## Wo mal eine Wand war, klafft ein riesiges Loch
In dem gepflegten Hinterhofgarten in Toronto, in dem Mohammed im Sommer
2017 sitzt und in kurzen, knappen Sätzen von seiner Flucht erzählt, ist der
Krieg in Syrien weit weg. Nicht aber für Mohammed. Der 47-Jährige stammt
aus Syrien, aus Homs. Nach unzähligen Bombardierungen ist von der einst
drittgrößten Stadt des Landes heute nicht mehr viel übrig. Auf seinem
Smartphone zeigt Mohammed Fotos seines zerstörten Hauses. Grauer Schutt,
überall. Da, wo mal eine Außenwand war, klafft ein riesiges Loch. Während
er mit seinen Fingern über den Bildschirm wischt, plingt sein Handy immer
wieder. „Meine Tochter …“, sagt er entschuldigend.
Seine Ehefrau lebt noch mit den drei gemeinsamen Kindern in Dubai, sie hat
dort einen halbwegs guten Job. Mohammed hatte seine Familie dorthin
gebracht, als der Krieg losging. Warum ist er nicht auch geblieben? „Das
Leben in Dubai ist viel zu teuer. Und als Syrer kann man sich nie sicher
sein, dass sie einen nicht ausweisen.“
2015 beschließt Mohammed, in die Vereinigten Staaten zu kommen. Einer
seiner Brüder lebt in Houston. Mit dem Flugzeug fliegt er von Dubai nach
Texas. Dort angekommen, beantragt Mohammed ein Bleiberecht als
Geflüchteter.
Mohammed hatte sich viel von Houston versprochen. Er wollte Geld verdienen,
um seine Familie nachzuholen. Texas sollte ein neues Zuhause werden für
ihn, seine Frau und die drei Kinder.
## Existenzangst und Ekel
Doch die ersten sechs Monate darf er nicht arbeiten. Dann findet er nur
Aushilfsjobs. Mal putzt er Autos, mal fährt er Lebensmittel aus. Von dem
wenigen Geld, das er verdient, kann Mohammed kaum etwas zurücklegen. „5.000
Dollar musste ich einem Anwalt für das Aufenthaltsverfahren zahlen“,
erzählt er und kneift dabei seine Augen leicht zusammen. So viel Geld, so
wenig Ertrag. Denn auch der Anwalt schafft es nicht, Klarheit über seinen
Status zu bekommen. Nach fast zwei Jahren hat Mohammed immer noch keine
dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung, seine Unsicherheit wächst. Und dann wird
Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten.
Mohammed hat sich aus Existenzangst zur Flucht entschieden. Vor was aber
sind Doria und Andres geflohen?
Während des Wahlkampfes sind sie angewidert von Trumps Sexismus und
Rassismus. „Am meisten stört mich aber, dass er keine Scheu davor hatte,
den Leuten ins Gesicht zu lügen“, sagt Andres. Trump habe die Sorgen der
Arbeiter ausgenutzt, habe den Autobauern in Michigan und den Kohlekumpels
in Wyoming Jobs und Wohlstand versprochen, obwohl er genau wisse, dass all
das nicht mehr zurückkomme. In seinem Job als Zimmermann hat Andres auf
Baustellen viele getroffen, die an diese Verheißungen geglaubt haben.
Doria sorgt sich, was Trump mit der Umwelt in den USA anrichten wird. Als
Umweltpädagogin fuhr sie in Boston von Schule zu Schule, hat den Kindern
lebende Käfer gezeigt und ihnen so erklärt, was Biodiversität bedeutet. Der
von Trump angekündigte Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen und die
Deregulierung von Umweltgesetzen – all das werde Folgen haben: „Trump sorgt
dafür, dass ganze Ökosysteme in den USA für immer verschwinden.“
## Rückschritt statt Fortschritt
Allerdings erklären all diese Punkte nicht, weshalb Andres und Doria fast
schon panikartig die USA verlassen haben. Der Grund für ihre Flucht liegt
tiefer. Es scheint, als hätte Trump ein Grundvertrauen zerstört, mit dem
die beiden aufgewachsen sind – nämlich die Annahme, in einem Land des
gesellschaftlichen Fortschritts zu leben.
Doria stammt aus einer jüdisch-demokratischen Ostküstenfamilie. Andres wird
im kalifornischen Berkeley groß, die Universitätsstadt gilt als Keimzelle
des liberalen Amerikas. Zum ersten Mal wählen durften beide 2008. „Obama
war wie eine Befreiung“, sagt Andres. Für einen kurzen Moment schien es,
als könnten Rassismus und Ungleichbehandlung tatsächlich überwunden werden.
„Es fühlte sich wirklich nach Fortschritt an.“ Fortschritt, der eigentlich
dazu führen sollte, dass es 2016 zum ersten Mal eine Frau an die Spitze der
USA schafft.
Doch diese Idee fällt in der Wahlnacht in sich zusammen. Trump war für
Andres und Doria der Beweis, dass eine Mehrheit in den Vereinigten Staaten
gar keinen Fortschritt will. „Für mich war da klar: Ich bin fertig mit den
USA“, sagt Andres.
Das Ehepaar will bald Kinder haben. Doch die Entfremdung von ihrer Heimat
ist so groß, dass sie sich nicht mehr vorstellen können, dort eine Familie
zu gründen.
## Hysterie wirft ihnen keiner mehr vor
Weil sie sich all das vor ihrem Umzug überlegt haben, verstehen Doria und
Andres ihre Entscheidung auch nicht als Kurzschlussreaktion – so wie manch
einer in ihrem Umfeld. „Hysterisch“ würden sie sich verhalten, meint
Andres’ Familie, als er ihnen von dem Umzug erzählt. Damit seien sie doch
genauso angstgesteuert und impulsiv wie die Leute, die Trump erst zum
Präsidenten gemacht haben.
Doch je mehr Zeit vergeht, desto besser verstehen die Leute die beiden.
„Mittlerweile wirft uns niemand mehr vor, hysterisch zu sein. Weil alle den
Wahnsinn namens Trump erleben“, so Andres.
Ein Wahnsinn, der bei Heather Segal dafür sorgt, dass ihr Telefon nicht
mehr stillsteht. Segal ist Anwältin für Einwanderungsrecht in Toronto und
berät Menschen, die nach Kanada immigrieren wollen. Sie ist gerade erst mit
ihrem Team in ein neues Büro gezogen. Überall stehen noch Umzugskisten.
Aber das Bild hinter ihr an der Wand, das hängt schon. Es sieht aus wie von
Jackson Pollock. „Hat mein Sohn in der Schule gemalt“, sagt Segal.
Für gewöhnlich kommen ihre Klienten aus Europa oder Asien. Seit Anfang des
Jahres sind es aber vor allem US-Amerikaner. Es ist nicht das erste Mal,
dass sich auf einen Schlag so viele US-Amerikaner bei Segal melden. Als
George W. Bush 2000 zum Präsidenten gewählt wurde, sei das ähnlich gewesen.
Allerdings haben damals lediglich zwei der Anrufer Segals Dienste auch
wirklich in Anspruch genommen. Anders jetzt bei Trump: „Die Leute meinen es
ernst.“
## Die Dreamers werden folgen
Eine Massenauswanderung in Richtung Kanada ist bislang allerdings
ausgeblieben. Lediglich 1.900 US-Amerikaner haben im ersten Quartal 2017
eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung in Kanada beantragt. Kurz nach der
Wahl hatte es noch Meldungen gegeben, dass die Webseite der kanadischen
Einwanderungsbehörde zusammengebrochen sei, weil zu viele Menschen aus den
USA gleichzeitig auf sie zugegriffen hatten.
Für einen deutlichen Einwanderungsschub in Richtung Kanada könnte aber eine
Anfang September getroffene Entscheidung von Trump sorgen. Der Präsident
hatte beschlossen, den Abschiebeschutz von Kindern illegal Eingewanderter
zu beenden. Sollte der Kongress keine Regelung finden, dann droht den
sogenannten Dreamers ab März nächsten Jahres die Abschiebung. Viele der
rund 800.000 jungen Menschen könnten dann versuchen nach Kanada zu kommen.
Auch jetzt schon sind unter Segals Klienten Menschen, die ohne gültige
Papiere in den USA leben und hoffen, in Kanada einen gesicherten
Aufenthaltsstatus zu bekommen.
Segal erzählt in ihrem Büro in Toronto aber auch von anderen Anrufern, etwa
von dem weißen Ehepaar mit ihrem Adoptivsohn aus Lateinamerika. Die Eltern
fürchten, dass ihrem Kind wegen seiner Herkunft etwas angetan werden
könnte. Sie wollen ihn nicht in einem Land großziehen, in dem der Präsident
Einwanderer aus Südamerika „Vergewaltiger und Kriminelle“ nennt. „Es wird
gerade alles in Frage gestellt, was nicht zum Mainstream gehört“, so Segal.
„Und Mainstream heißt, weiß zu sein.“
## Aus Syrien geflohen, in den USA nicht sicher
Die Anwältin berät auch ein schwules Paar. Zwar sind Homosexuelle noch
nicht im Fadenkreuz der Regierung. Aber „alles scheint möglich“, sagt
Segal. Bald könnten auch sie an der Reihe sein.
Das „Bald“ des Polizisten hallt noch in Mohammeds Kopf, als er im März,
wenige Tage nach dem Vorfall, das Nötigste zusammenpackt. Die Worte des
Polizisten vermischen sich mit anderen unguten Erinnerungsfetzen der
vergangenen 20 Monate. Der Kunde im Supermarkt, der einem Arabisch
sprechenden Mann sagt, er habe hier in den USA nichts zu suchen. Die Frau,
die einen Parkplatzwächter anschreit, er solle dahin zurückgehen, wo er
herkomme.
Mohammed hat es in Houston vermieden, Arabisch auf der Straße zu sprechen.
Sowieso meidet er die Öffentlichkeit, geht nicht ins Café oder Kino.
Wohnung–Arbeit–Wohnung, das ist seine Route. Tagein, tagaus. Alles andere
sei zu gefährlich. Es sagt viel über die Vereinigten Staaten aus, wenn ein
Mann, der vor dem Krieg in Syrien geflohen ist, sich mitten in den USA
nicht sicher fühlt.
Mohammed schaut in den USA keine Nachrichten. „Die haben mir Kopfschmerzen
gemacht.“ Trotzdem bekommt er mit, wie Trump über den Islam spricht. Und
Mohammed bekommt auch mit, wie Menschen aus Syrien nach Inkrafttreten des
Muslim Ban Ende Januar für einige Tage nicht mehr in die USA einreisen
dürfen.
## Trudeau twitterte Willkommensgruß
Dass ein Gericht das Dekret Anfang Februar zunächst kippt, spielt für
Mohammed schon keine Rolle mehr. Er fürchtet, seine Familie nie mehr
wiederzusehen. Im Internet hatte Mohammed gelesen, dass die kanadische
Regierung Geflüchteten hilft, gemeint ist damit wohl ein Tweet von Justin
Trudeau. Einen Tag nachdem Trump seine Unterschrift unter den Muslim Ban
setzt, schreibt der kanadische Premierminister auf Twitter: „An alle, die
vor Terror und Krieg fliehen, egal welchen Glaubens: Kanada heißt euch
willkommen. Vielfalt ist unsere Stärke.“
Doch so schön die Worte Trudeaus im Internet auch klingen – Mohammed hat
ein Problem: Auf legalem Weg kommt er nicht nach Kanada. Als registriertem
Asylbewerber in den USA würden sie ihm an der kanadischen Grenze die
Einreise verweigern. So regelt es ein Abkommen zwischen Kanada und den USA.
Mohammed muss sich also über die Grenze schleichen. Irgendwo im Bundesstaat
New York überquert er sie im März, zu Fuß. Wo genau, das will er auch
Monate danach nicht erzählen.
Mehr als 15.000 Menschen sind wie Mohammed in diesem Jahr illegal zu Fuß
über die Grenze nach Kanada gelangt. Die meisten von ihnen stammen aus
Haiti. Sie waren nach dem verheerenden Erdbeben 2010 in die USA gekommen.
Im Januar 2018 läuft ihr Schutzstatus dort aus. Darum suchen sie Zuflucht
in Kanada.
## Mit Erfrierungen angekommen
Im Internet sind Videos davon zu sehen, wie Flüchtlinge illegal die Grenze
überqueren: Taxis halten auf einer Straße. Menschen mit Koffern steigen
aus, laufen an einem Schild vorbei, auf dem „Road closed“ steht. Hinter dem
Schild: Kanada. Es gibt keinen Zaun, keine Barrikade.
Auf der anderen Seite warten kanadische Grenzpolizisten. Sie warnen die
Menschen mit ihren Koffern davor, die Grenze illegal zu überqueren. Die
Leute laufen trotzdem weiter. Schließlich werden sie von den Polizisten
durchsucht und in einem Streifenwagen weggebracht.
So ähnlich war es auch bei Mohammed. Auch bei ihm wartet ein kanadischer
Grenzpolizist. Er fragt Mohammed, wo er herkommt. Schon wieder diese Frage,
wie in Houston. Doch diesmal ist sie keine Drohung. „Er sagte: ‚Willkommen�…
zu mir“, sagt Mohammed und lächelt.
Nicht bei allen verläuft der Fußmarsch über die Grenze so glimpflich. Im
vergangenen Winter irrten zwei Männer aus Ghana stundenlang durch den
hüfthohen Schnee im Grenzgebiet der kanadischen Provinz Manitoba. Als ein
Truckfahrer sie schließlich an einer Straße aufsammelte, hatten sie so
schwere Erfrierungen, dass ihnen im Krankenhaus fast alle Finger amputiert
werden mussten. Im Mai erfror eine Frau aus Ghana an der Grenze. Die
Behörden vermuten, dass auch sie nach Kanada wollte.
## „Ich fühle mich schon ein bisschen feige“
Wer es nach Kanada schafft, kann Asyl beantragen. So macht es auch
Mohammed. Die kanadische Einwanderungsbehörde hat die Vorgabe, nicht länger
als 60 Tage für die Prüfung eines Antrags zu brauchen. Und exakt nach zwei
Monaten bekommt Mohammed eine Antwort.
Doria spricht von Leuten wie Mohammed, wenn sie sagt: „Es gibt Menschen,
die brauchen Kanada. Wir wollten einfach nur hierher.“ Andres und sie
fliehen nicht vor Rassismus und Abschiebung. Als weißes, privilegiertes
Ehepaar hatten sie wenig von Trump zu befürchten.
Im Gegenteil: Sie besitzen die Ressourcen und Fähigkeiten, etwas gegen
seine Politik zu unternehmen. So wie es Hunderttausende Menschen gerade in
den USA tun. „Ich hätte mich engagieren können. Aber stattdessen bin ich
gegangen“, sagt Andres ein halbes Jahr nach ihrem Umzug in seiner hübschen
Wohnung in Toronto. „Ich kann meinen schwarzen Freunden nicht beistehen bei
einer Demo.“ Er kann ihnen nicht helfen, wenn sie von der Polizei oder
Rassisten angegangen werden. „Ich fühle mich schon ein bisschen feige.“
Trotzdem bereuen die beiden ihre Entscheidung nicht. Toronto ist jener
liberale, multikulturelle Ort, nach dem sie sich gesehnt haben. Die Stadt
genießt den Ruf, mehr für Minderheiten zu tun als viele andere Orte in
Nordamerika. Doria und Andres haben Freunde hier, eine schöne Wohnung und
Jobs. Dazu leben Andres’ Großeltern in der Nähe. „Wir haben unser Zuhause
nicht verlassen, sondern wir bauen es uns hier gerade auf“, sagt Andres.
## Arabisch auf der Straße
Eine Heimat möchte sich auch Mohammed in Kanada aufbauen. Als syrischer
Bürgerkriegsflüchtling bekommt er im Mai eine zeitlich unbeschränkte
Aufenthaltsgenehmigung. Wenn er nichts falsch macht, kann er in vier Jahren
die kanadische Staatsbürgerschaft beantragen.
Die ersten Wochen in Kanada verbringt er in einem christlichen
Flüchtlingshaus in Toronto. Hier verbessert er sein Englisch und er bekommt
Hilfe bei der Jobsuche. „Die Menschen in Kanada heißen dich willkommen“,
erzählt er im Garten der Flüchtlingsunterkunft. Es ist das erste Mal, dass
er befreit lächelt. „Glaub mir, hier in Kanada ist man viel freier als in
den USA.“
Er traut sich sogar, Arabisch auf der Straße zu sprechen. „Ich war in den
ersten Wochen in Toronto mehr in der Stadt unterwegs als während meiner
gesamten Zeit in Houston.“
Wenn alles gut läuft, dann kann er seine Familie in ein paar Monaten
endlich nachholen. Er hofft, dass er nicht mehr allzu lange warten muss.
Das Wort „Bald“ macht ihm jetzt keine Angst mehr. Es steckt wieder Hoffnung
drin.
David Donschen, 30, war im Sommer in Toronto. Er glaubt nicht daran, dass
Trump nächstes Jahr noch US-Präsident ist.
5 Nov 2017
## AUTOREN
David Donschen
## TAGS
Schwerpunkt USA unter Trump
Dreamer-Programm
Homosexuelle
Kanada
Syrische Flüchtlinge
Syrischer Bürgerkrieg
Justin Trudeau
Gender
Architektur
Schwerpunkt USA unter Trump
USA
Donald Trump
Schwerpunkt USA unter Trump
Kanada
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kanada gendert seine Nationalhymne: Von Söhnen und Töchtern
Wenn der Premier ein Feminist ist: Nach über 100 Jahren wird der Text von
Kanadas Nationalhymne geschlechtsneutral.
Architektur in Montreal: Die Zukunft von gestern
Vor 50 Jahren wurde in Kanada der Wohnungsbau neu erfunden. Zur
Weltausstellung in Montreal entstand Habitat 67, ein Komplex aus
Betonboxen.
Mehr Abschiebungen in den USA: Angehalten und abgeschoben
In Texas werden viele Menschen nach Straßenkontrollen abgeschoben. Auch im
Rest der USA gehen die Behörden härter gegen Migranten vor.
Gouverneurswahlen in den USA: Demokraten holen auf
In New York und New Jersey haben die US-Republikaner wieder mal keine
Chance. Überraschung: Auch in Virginia gewinnen die Demokraten deutlich.
Trump beginnt Asienreise: Ein Problem für Peking
China hatte gehofft, dass unter Präsident Donald Trump der Einfluss der USA
in Asien sinken würde. Doch das ist weit gefehlt.
Kanada empfängt Flüchtlinge aus den USA: Zelte an der Grenze
Zahlreiche Haitianer ziehen wegen Trumps Politik gen Norden. Kanada
bereitet sich mit Notunterkünften auf steigende Flüchtlingszahlen vor.
Angst vor Trumps Einwanderungspolitik: Flüchtlinge reisen nach Kanada aus
Aus Angst vor US-Präsident Trumps Politik reisen Asylsuchende in
Rekordzahlen nach Kanada weiter. Behörden zufolge hat sich ihre Zahl seit
Juli verdreifacht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.