# taz.de -- Teure Insolvenz eines Jugendhilfeträgers: Der Retter ist pleite | |
> Die Insolvenz des Jugendhilfeträgers „Akademie Kannenberg“ kann teuer | |
> werden: Er schuldet der Stadt Bremen 5,6 Millionen Euro. Sozialbehörde in | |
> der Kritik | |
Bild: Nicht zimperlich: Exboxer Lothar Kannenberg trainiert mit jugendlichen Ge… | |
Bremen taz | 5,6 Millionen Euro schuldet Lothar Kannenberg der Stadt | |
Bremen. Bekommen hat er das Geld für die Unterbringung und Betreuung | |
minderjähriger, geflüchteter Jugendlicher. Und nun ist er pleite: Seine | |
„Akademie Lothar Kannenberg“ hat Insolvenz angemeldet. Die Bremer | |
Sozialbehörde muss sich nun die Frage gefallen lassen, wieso sie so hohe | |
Vorschüsse vergeben hat, ohne zu kontrollieren, ob diese überhaupt | |
zurückgezahlt werden können. | |
Viele verschiedene Jugendhilfeträger haben in Bremen die Betreuung der | |
Jugendlichen übernommen. Alle haben dafür Vorauszahlungen erhalten – und | |
niemand von ihnen ist angesichts der zurückgegangenen Zahlen Geflüchteter | |
insolvent gegangen, bloß Kannenberg. Der war im Jahr 2014 nach Bremen | |
gekommen, um ein Dutzend straffällig gewordener, minderjähriger Geflüchtete | |
zurück auf den rechten Weg zu bringen. | |
Seine Methoden waren nicht unumstritten: Kannenberg ist kein Pädagoge, | |
sondern ehemaliger Boxer und Ex-Junkie, der auf einen rauen Umgangston, | |
klare Männlichkeitsbilder und auf das Prinzip der Kollektivstrafe setzt. | |
Die geflüchteten Jugendlichen sollten in Bremen „Strukturen und Werte | |
lernen“ durch „viel Sport bis zur Erschöpfung“ und „einem straffen Pro… | |
zwischen 6 und 22 Uhr“. | |
Das hat nicht sonderlich gut funktioniert, das Haus war nie vollbelegt und | |
einige Jugendliche wuchsen selbst Kannenberg so über den Kopf, dass er sie | |
in andere Einrichtungen gab. Nichtsdestotrotz hatte er seither einen festen | |
Stand in Bremen, das wurde auch in der Debatte am gestrigen Dienstag in der | |
Bremer Bürgerschaft zur „Causa Kannenberg-Insolvenz“ deutlich: „2015 hab… | |
wir 1.600 Plätze für unbegleitete, minderjährige Geflüchtete schaffen | |
müssen. Kannenberg hat davon 40 Prozent übernommen“, sagte Sozialsenatorin | |
Anja Stahmann (Grüne). Zeitweise habe er sogar 1.000 Jugendliche | |
gleichzeitig betreut. | |
Seine „Akademie“ betreibt in Sachsen und Sachsen-Anhalt vier Einrichtungen | |
mit 40 Plätzen in der Jugendarbeit – und in Bremen sechs Einrichtungen für | |
knapp 300 Jugendliche. 236 Plätze davon sind ausschließlich für die | |
betreute Unterbringung unbegleiteter Minderjähriger. „Innerhalb kürzester | |
Zeit ist Kannenberg zu einem der größten Jugendhilfe-Träger Bremens | |
geworden“, fasste es Sofia Leonidakis (Die Linke) zusammen. Sigrid Gröhnert | |
(CDU) nannte Kannenberg gar Bremens „Rundum-Sorglos-Paket“. | |
So ganz weist das nicht einmal die Sozialbehörde zurück. „Kannenberg hat | |
sich, ohne auf die wirtschaftlichen Risiken zu achten, einer Menge | |
Jugendlicher angenommen“, sagt ein Behördensprecher. Ein Retter in der Not | |
also, als nach Bremen genauso viele Flüchtlingsjugendliche kamen wie ins | |
viermal so große Hamburg. Bloß: Was hat er mit dem Geld gemacht? | |
„Vielleicht war Kannenbergs Wagemut und Pragmatismus damals gut, aber er | |
war völlig unerfahren – und das hätte Sie wachsam machen müssen“, sagte | |
Gröhnert in Richtung Sozialsenatorin. Kannenberg habe unverhältnismäßig | |
viel Geld ausgegeben und offenbar auch seine Mitarbeiter besser bezahlt als | |
andere: „Kannenberg hat anderen Einrichtungen die Mitarbeiter regelrecht | |
abgeworben“, so Grönert. | |
Nicht nur CDU und Linke, auch die FDP-Fraktion haben Fragebögen an die | |
Sozialbehörde gerichtet. Dort beschäftigt sich die Innenrevision mit der | |
Kannenberg-Insolvenz. „Wir fordern eine lückenlose Aufklärung“, sagte | |
Leonidakis. „Und sollte es am Ende noch Fragezeichen geben, behalten wir | |
uns weitere Schritte vor.“ Soll wohl meinen: einen Parlamentarischen | |
Untersuchungsausschuss. | |
Derweil will Kannenberg weitermachen: Er strebt eine Insolvenz in | |
Eigenverwaltung an. Das bedeutet, er darf sein Unternehmen im eigenen Namen | |
weiterführen und die Sanierung anstreben. | |
8 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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